Vom Pissoir zur Szenekneipe: Vor mehr als 25 Jahren hat der „Palast der Republik“ in dem kleinen Häuschen an der Stuttgarter Friedrichstraße aufgemacht. Die Geschichte des Gebäudes reicht noch viel weiter zurück und hält Überraschendes bereit.

Digital Desk: Anja Treiber (atr)

Stuttgart - „In Stuttgart gibt es einen ‚Palast der Republik’?“ Nicht schlecht staunte der inzwischen verstorbene Oberbürgermeister Manfred Rommel, als er von der Existenz der gleichnamigen Bar gehört hat. Im März 1989 – also vor mehr als 25 Jahren – wurde die Mini-Kneipe mit Außenbereich eröffnet. Und schon damals war das kleine Häuschen an der Ecke Bolz-/Friedrichstraße ein beliebter Szenetreff in der Stuttgarter Innenstadt. Wenn es die Temperaturen zuließen, setzte man sich auch damals schon auf den Boden rund um den Palast der Republik, trank sein Feierabend-Bier und palaverte bis spät in die Nacht hinein. So wie heute eben.

 

Der Palast der Republik war Kult

„In den 1980er Jahren war es eine Besonderheit, wenn eine Bar bis nachts offen hatte“, erinnert sich Stefan Schneider, der 1992 die Geschäfte im Palast der Republik übernommen hat. Anderswo seien schon um 22 Uhr die Bordsteine hochgeklappt worden. Auch deshalb war der Palast der Republik Kult.

Und wie kam man auf den Namen? „Unser Palast ist das krasse Gegenteil des DDR-Pendants in Berlin, weil er alles ist nur kein Protzbau“, erklärt Schneider und lacht. Das hat früher insbesondere für die Sanitäranlagen gegolten. „Die waren eine Zumutung und hatten tatsächlich noch den Charme der öffentlichen Toilette aus den 1920er Jahren“, sagt der heutige Betreiber. Inzwischen seien sie aber modernisiert. Im ursprünglichen Zustand sind noch die Säulen aus Cannstatter Travertin, die das denkmalgeschützte Häuschen einfassen, ein Treppengeländer und die Stufen, die hinunter zu den Toiletten führen.

Öffentliches Pissoir, Buchverkauf und Imbissbude

Dort unten stößt man auf den historischen Zweck des Häuschens, das 1926 als öffentliche Bedürfnisanstalt gebaut wurde. Seit den 1930er Jahren hat Wittwer dann den kleinen Raum über den WCs von der Stadt gepachtet, um dort Zeitschriften zu verkaufen.

Nach der Zerstörung seiner eigentlichen Buchhandlung in der Schlossstraße verkaufte Wittwer von 1944 bis 1947 übergangsweise auch seine Bücher in dem Kiosk. „In diesen Jahren gab es ohnehin kaum Bücher, der Platz hat ausgereicht“, erinnert sich der 86-jährige Konrad Paul Wittwer, der ehemalige Geschäftsführer des Familienunternehmens. Später wurde das Angebot im Kiosk wieder auf Zeitschriften reduziert. Bis in die 1980er Jahre hinein hat Wittwer an dieser Verkaufsstelle festgehalten. „Dann hat sich der Standort für uns nicht mehr gelohnt“, erzählt Konrad Paul Wittwer. Es folgte das Intermezzo der Imbissbude „Musentempel“. „Die soll aber eher schlecht als recht gelaufen sein“, erzählt Stefan Schneider.

Und so war der Weg frei für die Palastrevolte.

Die Fotos aus der Vergangenheit des Palasts sehen Sie hier!

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