„Reconquista 21“-Aktivisten steigen auf den Königsbau, zeigen Deutschlandfahnen und werden von der Polizei gestoppt. Der Staatsschutz ermittelt – aber nicht allein wegen der Fahnen.
Aus einem Fenster gelangen die beiden Männer auf das Blechdach des Königsbaus. Mit Blick auf den Schlossplatz stellt sich einer vorne an die Kante und breitet hinter seinem Rücken mit ausgestreckten Armen die Deutschlandfahne aus: So sind zwei Aktivisten der rechtsextremen Gruppierung „Reconquista 21“ auf einem Video zu sehen, das in den sozialen Medien verbreitet wird. „Stuttgart bleibt deutsch!“, titeln die Extremisten über der Aufnahme, auf der weitere wehende Deutschlandfahnen am Dach des Königsbaus zu sehen sind.
Falsche Behauptungen zum Grund der Ermittlungen des Staatsschutzes
Die Aktion hat bereits am vorigen Donnerstag – einen Tag vor Halloween – stattgefunden, wie die Polizei Stuttgart auf Anfrage mitteilt. Als plötzlich zwei Männer auf dem Dach des Königsbaus mit den Deutschlandflaggen zu sehen waren, riefen demnach Zeugen die Polizei. Vor Ort konnten die Beamten noch im Gebäude zwei Tatverdächtige vorläufig festnehmen. Nach den polizeilichen Maßnahmen wurden sie wieder freigelassen. Jetzt ermittelt der Staatsschutz gegen die Männer wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs in Kombination mit einem möglichen politischen Motiv.
Über ihrem Video verbreiten die Extremisten auch den Hashtag „Hiss die Flagge“. Dahinter könnte möglicherweise eine „Desinformationskampagne aus der rechtsextremen Szene“ stecken, heißt es vom baden-württembergischen Landesverfassungsschutz. Die dahinterstehende falsche Behauptung, die seit Wochen im Netz kursiert und auch von der AfD aufgegriffen und verbreitet wurde: In Deutschland würde der Staatsschutz allein wegen des Hissens einer Deutschlandfahne ermitteln. Doch das stimmt nicht. Auslöser war offenbar ein Fall aus einer Gemeinde in Nordrhein-Westfalen, wo über Nacht 40 Deutschlandflaggen angebracht wurden. Doch der Staatsschutz ermittelte nicht wegen des bloßen Anbringens der schwarz-rot-goldenen Flaggen, sondern wegen Hausfriedensbruchs in Kombination mit einem möglichen politischen Motiv, da eine der Flaggen an einem Funkmast auf eingezäuntem Privatgelände angebracht wurde – ohne Zustimmung des Eigentümers und mit einem Zettel, auf dem „National Stolz ist kein Verbrechen“ geschrieben stand.
Regionalgruppe der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“
Jetzt wird auch in Stuttgart der Staatsschutz tätig, weil sich hier ebenfalls die beiden Aktivisten unerlaubt Zugang zum Dach des Königsbaus verschafft hatten – und vermutlich mit einem politischen Motiv handelten. Denn die Gruppierung „Reconquista 21“ ist als Regionalgruppe der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung Deutschland“ (IBD) in Baden-Württemberg tätig, informiert der Landesverfassungsschutz auf Nachfrage: „Die Identitäre Bewegung spricht in erster Linie junge Menschen an und vertritt fremdenfeindliche und islamfeindliche Positionen“, heißt es. Die Gruppe will mit Aktionen wie der kürzlich in Stuttgart eine möglichst hohe Aufmerksamkeit generieren – und verbreitet sie deshalb auch in den sozialen Medien. Das staatliche Vorgehen gegen die Rechtsextremisten diene als Narrativ des „Repressionsstaats“, wodurch mögliche Spender motiviert werden sollen. Die Aktion auf dem Königsbau ist dem Landesverfassungsschutz bekannt und füge sich „in diese Vorgehensweise“ ein. Zu vergleichbaren Aktionen sei es in den vergangenen Tagen aber nicht gekommen.
Aktion auf dem Königsbau füge sich in Vorgehensweise der Gruppe ein
Die Absurdität daran: Die Verfassungsfeinde missbrauchen damit eine Flagge, die eigentlich für ganz andere Werte steht: „Es ist zutiefst irritierend, dass die Farben, die historisch für eine demokratische, freiheitliche Tradition stehen, in extremistischen Kontexten auftauchen“, sagte der Historiker Kristian Buchna im März unserer Zeitung. Doch bereits seit Jahrzehnten übernehmen Rechtsextreme, die früher eher mit der schwarz-weiß-roten Reichsflagge sympathisiert haben, Schwarz-Rot-Gold, um für ein Deutschland nach ihrer fremdenfeindlichen Überzeugung zu werben.