„Wir sind wieder zu Hause! Danke, Berlin!“ Am Wochenende traten Rammstein und ihr Leadsänger Till Lindemann im Berliner Olympiastadion auf. Die Stuttgarter Aktivistin Kim Hoss und ihre Mitstreiterin Lise van Wersch hatten genau das verhindern wollen. Mit einer Petition, veröffentlicht auf der Plattform innn.it, wollte Hoss’ und van Werschs „The Sirens Collective“ die Absage der Konzerte in der Hauptstadt und in München erreichen – wegen der Vorwürfe mehrerer Frauen gegen Lindemann. Über 33 000-mal wurde der Antrag unterschrieben (Stand: 18. Juli). Dann flatterte Hoss und van Wersch Post ins Haus: eine Unterlassungsaufforderung der Anwälte Simon Bergmann und Christian Schertz, die Lindemann rechtlich vertreten.
Mehrere Frauen haben – teilweise anonym – Vorwürfe gegen Lindemann erhoben. Sie schildern Situationen mit dem Rammstein-Sänger, die sie als beängstigend empfunden haben. Bei After-Show-Partys soll es demnach auch zu sexuellen Handlungen gekommen sein. Der 60-Jährige bestreitet die Anschuldigungen. Inzwischen erhebt eine Frau laut Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ und des NDR auch Vorwürfe gegen den Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz – auch er weist diese zurück.
„The Sirens Collective“ engagiert sich gegen Missbrauch und sexualisierte Gewalt. Anfang Juni startete die Gruppe, wie andere Initiativen auch, eine Petition, die sich unter anderem an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter richtete. Darin hieß es: „Wir appellieren an Ihre moralische und ethische Verantwortung als Städte und als Konzert-Bühne, die geplanten Auftritte (. . .) abzusagen.“ Hoss und van Wersch wollten erwirken, dass die Auftritte ausgesetzt werden, „bis zur Klärung der schwerwiegenden Vorwürfe“.
Die Rammstein-Auftritte seien „ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen von systematischer Gewalt, Machtmissbrauch und sexualisierten Übergriffen, die seit Jahren für ihre Aufklärung und Rechte kämpfen“, sagten die Aktivistinnen unserer Zeitung.
„Hat uns das kurz eingeschüchtert? Klar!“
Die Unterlassungsaufforderung der Berliner Kanzlei empfinden Hoss und van Wersch als Einschüchterungsversuch: „Die Strategie ist klar: Ein millionenschwerer Künstler und seine berühmten Anwälte gehen auf zwei junge künstlerische Aktivistinnen ohne finanziellen Hintergrund. Hat uns das kurz eingeschüchtert? Klar! Genau das ist das Ziel“, hieß es in ihrem Aufruf auf der Plattform „Go Fund Me“. Hier sammeln die Stuttgarterin Hoss und die Kielerin van Wersch inzwischen Geld für eine eventuelle juristische Auseinandersetzung mit Lindemann. Denn eine Unterlassungserklärung abgeben wollen sie auf keinen Fall.
Hoss und van Wersch geben sich kämpferisch: „Wir bleiben laut und unangenehm.“ Rund 200 Menschen haben bereits gespendet, zusammengekommen sind bislang knapp 20 500 Euro (Stand: 18. Juli). 50 000 Euro haben die Aktivistinnen für eine eventuelle juristische Auseinandersetzung mit Lindemann angepeilt. „Jeder Beitrag ist eine Stimme für Betroffene von Gewalt und Machtmissbrauch“, sagen die beiden Frauen.
Unsere Zeitung hat die Anwaltskanzlei von Bergmann und Schertz angefragt, bislang aber keine Antwort erhalten. Lindemann weist alle Vorwürfe gegen ihn zurück. Seine Anwälte verweisen auf Behauptungen in sozialen Netzwerken, Frauen seien bei Konzerten „mithilfe von K.-o.-Tropfen beziehungsweise Alkohol betäubt worden, um unserem Mandanten zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können. Diese Vorwürfe sind ausnahmslos unwahr.“
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat ein Ermittlungsverfahren gegen Lindemann eingeleitet. Bei Verdacht auf eine Straftat muss sie ermitteln. Auch Medienberichte können dafür der Auslöser sein. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt die Unschuldsvermutung.