Herr Sailer, wie geht es Ihnen?
Wo soll ich anfangen? Knöchel, Knie, Hüfte tun mir seit Jahren weh, die Wade macht zu. Es zwickt an vielen Stellen. Manchmal tu’ ich mich schwer, überhaupt 100 Meter zu gehen. Aber ich kämpfe mich durch.
Das Los von 20 Jahren Fußball, zehn davon als Profi?
Leider ja, aber ich will keine Sekunde missen. Ich hatte überall eine schöne Zeit.
Die Schönste von 1994 bis 2000 bei den Stuttgarter Kickers?
Es war ne klasse Zeit bei den Blauen, aber auch die zwei Jahre beim FC St. Pauli waren wunderschön. Ich habe dort die tollsten und verrücktesten Dinge erlebt.
Erzählen Sie!
Das Schrägste, was man öffentlich sagen kann ist, dass mir ein Fan nach einem Torerfolg durch das Absperrgitter ein Bier gereicht hat. Ich nahm mitten im Spiel einen kräftigen Schluck und weiter ging’s. Das wäre heute undenkbar.
Sie waren auf all Ihren Stationen Publikumsliebling. Woher kam’s?
Die Leute haben immer schnell erkannt, dass ich ein ehrlicher Arbeiter war. Ich kam ja eigentlich aus der Kreisklasse vom SV Unterweissach, über die TSG Backnang bin ich dann erst mit 23 Jahren zum FC St. Pauli in die zweite Liga gewechselt. Ich war nicht der beste Fußballer, aber ich wollte partout nicht verlieren. Ich habe immer alles gegeben.
Am Puls der Fans
Deshalb skandierten die Fans „Toni Sailer Fußballgott“?
Ich denke schon, zudem habe ich auch immer gerne die Nähe zu den Fans gesucht. Außerdem habe ich mich mit meinen Vereinen immer zu 100 Prozent identifiziert und mich auch für die handelnden Personen im Umfeld interessiert. Bei den Kickers wusste ich genau, wo beim Besuch des Vip-Raums zur Begrüßung ein Klopfen mit der Faust auf den Tisch reicht, oder wer großen Wert auf einen Handschlag legte, wie etwa der frühere Ehrenratsvorsitzende Fritz Seeger.
Was waren Ihre Höhepunkte bei den Blauen?
Die Zeit mit meinem kongenialen Sturmpartner Jonathan Akpoborie war grandios. Wir haben uns blind verstanden. Er schoss in der Saison 1994/95 38 Tore, ich 24. Wobei ich acht Wochen gesperrt war, für ein Foul, das gar keines war. Ansonsten hätte ich mehr Buden gemacht als er. Egal – am Ende haben wir zwar mega attraktiv gespielt, aber als Zweiter den Zweitliga-Aufstieg verpasst.
Ein Jahr später hat es geklappt.
Ja, Jonny war nicht mehr da, aber wir haben es trotzdem gepackt. Wir hatten unter Trainer Wolfgang Wolf einen unglaublichen Zusammenhalt in unserer Truppe. Er hatte ein feines Gespür für die Stimmung im Team. Wir sind nach den Spielen immer zusammengesessen, keiner ging nach Hause. Ich habe bei mir daheim feucht-fröhliche Grillabende organisiert, und wir sind noch um die Häuser gezogen.
Sie galten aber auch als Hitzkopf auf dem Rasen?
Ich war pfeilschnell, bin schon mit 16 Jahren 11,03 Sekunden auf 100 Meter gerannt. Die Gegenspieler haben mich regelmäßig von den Beinen geholt, da konnte man schon mal ausrasten. Ich habe selbst meine Zeichen gesetzt und ausgelotet, wie weit ich gehen kann.
Auch bei den Schiedsrichtern?
Klar, einmal hat mich der Schiri darauf hingewiesen, dass ich gleich die Gelbe Karte bekommen würde. Ich habe ihm gesagt, dass er mir die Verwarnung ruhig geben kann, wenn er das komplette Stadien gegen sich haben will. Er ließ die Karte stecken.
Auch als Clubhauswirt tätig
Nach Ihrer Karriere waren Sie auch als Clubhauswirt tätig?
Ja, sechseinhalb Jahre lang beim SV Unterweissach. Nachdem ich gegen Ende meiner Karriere mit dem SV Sandhausen und dem VfB Oldenburg zweimal in der Relegation gescheitert bin, hatte ich die Schnauze voll vom Fußball.
Und heute?
Arbeite ich in der IT-Branche in der Montage und trainiere seit dieser Saison mit viel Freude den Kreisliga-B-Club TSV Lippoldsweiler. Der Freund meiner Tochter spielt dort, und nachdem das Team vergangene Saison 106 Gegentore kassiert hatte, wurde ich gebeten, eine Art Neubeginn einzuleiten. Zumal ich ja immerhin auch den A-Schein habe. Aufgrund meiner körperlichen Probleme macht auf dem Platz aber fast alles mein Co-Trainer, ich bin für die Taktik zuständig.
Spielern Ihre Kinder auch Fußball?
Ja, meine Tochter Lena (24) bei der SG Birkmannsweiler/Steinach, mein Sohn Rene (29) beim SV Allmersbach. Da geht es sonntags mit der kompletten Familie erst morgens zum Spiel von Lena, dann zum gemeinsamen Mittagessen und danach zum Sohnemann. Ich bin wirklich zufrieden mit meinem Leben, alles, was ich mir gewünscht habe, wurde Wirklichkeit.
Zur Person
Spielerstationen
TSG Backnang (1988 bis 1991), FC St. Pauli (1991 bis 1992), MSV Duisburg (1992 bis 1993), FC St. Pauli (1993 bis 1994), Stuttgarter Kickers (1994 bis 2000), SV Sandhausen (2000), BV Cloppenburg (2000 bis 2002), VfB Oldenburg (2002), SV Unterweißach (2003 bis 2007).
Trainerstationen
SV Spiegelberg (2010 bis 2011), SV Unterweißach, U19 (2011 bis 2013), FC Alfdorf, Damen (Dezember 2014 bis Juni 2016), TSV Lippoldsweiler (seit Juli 2023).
Persönliches
Markus „Toni“ Sailer ist verheiratet und hat zwei Kinder, die beide Fußball spielen. Lena (24) bei der SG Birkmannsweiler/Steinach, Rene beim SV Allmersbach.