Schutzraum auf dem Wasen: Die Wasenboje ist ein sicherer Ort für Frauen und Mädchen auf dem Cannstatter Volksfest – doch ihre Finanzierung ist unklar.

Der grün-blaue Container sticht zwischen Schaustellerbuden, der Geisterbahn und Losbuden nicht nur wegen der grellen Farbgebung hervor. Die große Boje passt nicht so recht zu Gruselskeletten und Zuckerwatte. Und doch ist sie nach drei Einsätzen auf dem Wasen schon ein bisschen institutionalisiert und eine wichtige Anlaufstelle auf dem Cannstatter Volksfest.

 

Ein Safe Space für Frauen und Mädchen

Seit Herbst 2023 gibt es die Wasenboje als Schutzraum für Frauen und weiblich gelesene Personen auf dem Volks- oder Frühlingsfest. Sie bietet schnelle und unkomplizierte Hilfe und Schutz in der Not – etwa bei Alkoholkonsum, Orientierungslosigkeit oder sexueller Belästigung. Und die ist auf dem Cannstatter Volksfest leider Normalität geworden: Fragt man auf dem Wasen nach, ob sich Frauen sicher fühlen, bekommt man teils erschreckende Antworten. Manche sagen, sie fühlten sich nur sicher, weil sie männliche Begleitungen hätten. Wieder andere sagen, heute sei zum Glück noch nichts passiert.

An diesem Mittwochnachmittag scheint es ruhig zuzugehen. Es ist Familiennachmittag auf dem Volksfest. Kinderwagen werden über den Festplatz geschoben, überall gibt es Angebote und Vergünstigungen, Stelzenläufer und Aktionen, die Stimmung ist friedlich, es riecht nach gebrannten Mandeln und Zuckerwatte. Vor der Wasenboje stehen Lisa Semmler und zwei ihrer Kolleginnen. Semmler war schon bei der EM 2024 im Einsatz und ist ausgebildetete Sozialpädagogin. Gerade verteilen sie Flyer und Goodies, wie einen Bierdeckel aus Silikon. „Der schützt vor Wespen – und vor Männern“, sagt Semmler und spielt auf die weit verbreiteten K.o.-Tropfen an, die auch am Wasen ein leidiges Problem sind.

Insgesamt arbeiten um die 80 Ehrenamtliche bei der Wasenboje in zwei Schichten, jeden Tag während der Festzeit. Foto: dpa

Ladekabel und offene Ohren

„Die meisten Frauen, die die Wasenboje aufsuchen, seien junge Frauen zwischen 18 und 30 Jahren“, erzählt die ausgebildete Sozialarbeiterin und führt durch den Container. Hier gibt es Feldbetten, auf denen man sich ausruhen kann, Wasserflaschen, Ladekabel und Menschen, die zuhören und unterstützten. Und auch bei scheinbar banalen Gründen, wie einem leeren Handyakku, ist die Wasenboje eine gute Anlaufstelle. „Bei uns können sich Frauen kurz ausruhen und hinlegen, das Handy laden, oder wir helfen beim Organisieren des Heimwegs“, sagt Semmler.

Insgesamt arbeiten um die 80 Ehrenamtliche bei der Wasenboje in zwei Schichten, jeden Tag während der Festzeit. Unter den Mitarbeiterinnen sind sowohl ausgebildete Sozialarbeiterinnen als auch Auszubildende und psychologische Fachkräfte.

Jeder fünfte Fall ist eine Notsituation

Rund ein Fünftel der bisher 200 Fälle, die die Wasenboje bearbeitet, seien als kritisch einzustufen, sagt Marc Reinelt, der das Projekt betreut. Bei diesen Notsituationen handelt es sich um Orientierungslosigkeit, sexuelle Belästigung, Übergriffe, Verdacht auf K.o.-Tropfen, aber auch rassistische Anfeindungen. Weil die Wasenboje alle Fälle anonym behandelt, vermutet man bei der Wasenboje, dass Frauen sich eher trauten, dorthin zu gehen als zur Polizei.

Die Wasenboje arbeitet eng mit dem DRK und der Wasenwache, der Polizei auf dem Festgelände, zusammen. Wenn die Frauen es wünschen oder die Einsatzkräfte es für nötig halten, wird das Team der Wasenboje dazu gerufen. Wasenboje und Polizei sprechen von einer sehr guten Zusammenarbeit.

Wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Und trotz all dieser positiven Entwicklungen ist die Zukunft der Wasenboje ungewiss. „Die Haushaltsberatungen beginnen jetzt. Bis Ende November oder Dezember sollten wir wissen, wie es weitergeht“, so Reinelt. „Die Stadt Stuttgart steht insgesamt unter Sparzwang. Entsprechend hat es aus der Verwaltung bislang kein Signal gegeben, dass die Wasenboje weiter finanziert werden soll“, erklärt Reinelt. Zugleich betont er, dass die Wasenboje kein Einzelfall sei: „Viele städtische Projekte stehen derzeit vor dem Aus.“ Mit großem Engagement versucht Reinelt derzeit, Unterstützerinnen und Unterstützer zu mobilisieren, damit das Projekt auch im kommenden Haushalt weitergeführt werden kann. Noch hofft das Team der Wasenboje, dass sein Einsatz nicht umsonst war.