Umfrage zur möglichen Wehrdienst-Reform „Ich sehe die Pläne kritisch"

Robben bald auch wieder junge Menschen aus dem Kreis Böblingen mit Waffen über den Boden? Foto: dpa

Mit dem neuen Wehrdienst sollen ab 2026 wieder junge Menschen zur Musterung geladen werden. Das gefällt nicht jedem Jugendlichen aus dem Kreis Böblingen, wie sich teils deutlich zeigt.

Böblingen: Martin Dudenhöffer (dud)

Mit 30 Kilogramm Sturmgepäck auf dem Rücken, einer Waffe in der Hand und auf dem Boden robbend den militärischen Ernstfall trainieren – nur wenige junge Menschen aus dem Kreis Böblingen werden diese Erfahrung gemacht haben. Seit 2011 ist die Wehrpflicht ausgesetzt. Wenn es nach dem Bundeskabinett geht, soll sich das durch das neue Modell ändern. Von 2026 an bekämen 18-Jährige Post von der Bundeswehr. Darin: Die Einladung zur Musterung. Das träfe nicht überall auf Freude, wie eine Umfrage zeigt.

 

Zu der Zielgruppe derer, die für den Dienst an der Waffe in Frage kommen, zählt Noah Gadomski, Vorsitzender des Sindelfinger Jugendgemeinderats (JGR). Als politisch interessierter Mensch weiß der 17-Jährige um die aktuellen Entwicklungen: „Deutschland braucht eine starke Verteidigung, um sich gegen Bedrohungen wie den russischen Angriffskrieg oder hybride Gefahrenlagen wirksam verteidigen zu können.“ Dennoch sagt der Zwölftklässler von der Mildred-Scheel-Schule: „Wenn es nur möglich ist, die nötigen Kapazitäten durch eine freiwillige Wehrpflicht zu erreichen, dann bin ich dafür. Und es sollte die Möglichkeit bestehen, sich alternativ zum Militär- auch für einen sozialen Dienst zu entscheiden – wie Pflege, Krankenhäuser oder Katastrophenschutz.“

Die Sindelfinger Jugendvertretung. Noah Gadomski steht links neben dem neuen OB Markus Kleemann. Foto: Stadt Sindelfingen

Ähnlich sieht es auch sein Sindelfinger Kollege Bjarne Niemöller: „Die Welt ist heute eine andere als 2011. Russland tritt aggressiv auf. Um die Sicherheit zu gewährleisten, sind mehr Soldaten erforderlich.“ Er plädiert für ein System wie in Schweden, in dem nur bei zu wenig Rekruten eine Wehrpflicht greift.

„Ein großer Bruch des Generationenvertrags“

Deutlich ablehnend zu der geplanten Reaktivierung der ausgesetzten Wehrpflicht äußert sich Max Hiller, Vertreter des Schönaicher JGR: „Das neue Wehrdienstgesetz finde ich schlecht. Es repräsentiert einen großen Bruch des Generationenvertrags und legt den Grundstein für eine absolute Wehrpflicht.“ Zum Dienst im Militär sagt der Schönaicher klar: „Ich würde nicht freiwillig antreten, dafür gibt es verschiedene Gründe: Einmal würde ich lieber studieren gehen. Außerdem fühle ich mich nicht wohl mit dem Gedanken, an einem Krieg teilnehmen zu müssen, den unserer Politiker hätten verhindern können. Freiwillig beitreten würde ich nur im absoluten Verteidigungsfall.“

Der Böblinger Jugendgemeinderat Ilias Baumann blickt differenziert auf die mögliche Neuerung. „Ich sehe es überwiegend kritisch, weil es die persönliche Freiheit einschränkt und in die Lebensplanung eingreift. Gleichzeitig kann eine Wehrpflicht die Verteidigungsfähigkeit stärken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.“ Zur Frage, ob er in die Bundeswehruniform schlüpfen würde, sagt der 17-Jährige: „Ich bin zögerlich. Wenn es Pflicht wäre, würde ich aber Verantwortung übernehmen.“ Baumann ist überzeugt: „Der Wehrdienst sollte freiwillig bleiben – niemand darf gezwungen werden.“

Ilias Baumann zieht es nicht in die Bundeswehr. Foto: Eibner-Pressefoto/Lars Neumann

Trotz der wachsenden Bedrohung durch vor allem Russland – einen Zwang sähe das modernisierte Wehrdienstgesetz noch nicht vor. Einen verpflichtenden Wehrdienst müsste der Bundestag zuerst beschließen. Stattdessen möchte das Bundesverteidigungsministerium die Anreize für junge Menschen erhöhen. „Der neue Wehrdienst wird ein attraktiver und wertschätzender Dienst sein. Eine herausfordernde Ausbildung durch motivierende Ausbilder sowie moderne Ausrüstung sind dafür genauso Voraussetzung wie sinnstiftende Verwendungen und Weiterbildungsmaßnahmen“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Pluspunkte seien außerdem Qualifikationsangebote wie „ein erleichterter Zugang zu Sprachkursen, individuelle Fortbildungsmaßnahmen, Sport-Camps für neue Rekruten oder Zuschüsse zum Führerschein.“ Das Startgehalt soll rund 2300 Euro netto betragen. Frauen, die ab dem kommenden Jahr auch angeschrieben würden, soll ebenfalls ein attraktiveres Angebot geschnürt werden. „Wir stärken die Vereinbarkeit von Familie und Dienst und bieten spezielle Förder- und Mentoringprogramme für Frauen“, betont die Sprecherin.

Für die jungen Menschen aus dem Kreis spielt die Geschlechtergerechtigkeit auch eine Rolle. „Die Musterung sollte nicht nur für Jungs gelten, sondern auch für Mädchen. Es wirkt unfair, wenn nur ein Teil belastet wird. Wenn die Politik so ein Gesetz macht, dann sollte es wirklich alle betreffen“, schreibt ein nicht namentlich genanntes JGR-Mitglied aus Sindelfingen.

Zweifel am Modell: Kann es überhaupt zum Erfolg führen?

Der Sindelfinger Noah Gadomski hat Zweifel, ob genug neue Rekruten zusammenkommen: „Ich sehe die Pläne kritisch. Zwar soll die Musterung wieder verpflichtend eingeführt werden, doch danach bleibt die Entscheidung freiwillig. Dadurch besteht die Gefahr, dass nicht genügend Menschen tatsächlich den Dienst antreten, um den Bedarf zu decken.“

Ob die Bundeswehr auch junge Menschen aus dem Kreis Böblingen in ihre Kasernen locken kann, muss sich zeigen. Klar ist aber, dass mit dem großflächigen Angriff Russlands auf die nur rund 1300 Kilometer entfernte Ukraine ein Thema im Bewusstsein der jungen Generation verankert hat, das zuvor nur aus den Nachrichten und dem Geschichtsbuch bekannt war.

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