Im Stuttgarter Westen wurde 2019 ein großes Bauvorhaben als Baugruppe realisiert. Im Olga-Areal leben nun verschiedene Menschen gemeinschaftlich zusammen. Wie sind die Erfahrungen und was sind Herausforderungen bei dieser Bauart? Ein Besuch vor Ort.

Volontäre: Luisa Rombach (lur)

In den Hochbeeten wächst noch der letzte Salat, ein paar vereinzelte Tomaten hängen an den Ranken. Spielzeuge liegen auf den Wegen, verschiedene Sitzmöglichkeiten laden zum Verweilen ein. Der Innenhof des Areals im Stuttgarter Westen ist so idyllisch, dass die Stadt weit entfernt scheint. Tatsächlich ist man mittendrin.

 

Schwieriger Bauprozess mit vielen Diskussionen

Lynn Mayer ist eine der Bewohnerinnen des Areals, dessen Verwirklichung als Baugenossenschaft von der Stadt ausgeschrieben und gefördert wurde. Insgesamt gibt es dort sechs Baugemeinschaften. Lynn Mayer ist Teil von „Im Westen Was Neues“, der Baugruppe, die drei Gebäude in dem Areal geplant und verwirklicht hat. Doch auf dem Gelände gibt es unter anderem auch Sozialwohnungen und gewöhnliche Mietwohnungen, die auf dem freien Markt erhältlich sind.

„Es war eine große Chance, so preisgünstig in der Innenstadt zu wohnen“, sagt sie über den Wettbewerb für die Förderung. Dementsprechend groß war die Konkurrenz. Die Gruppe um Lynn Mayer setzte sich mit ihrem Antrag durch und begann 2015 den langwierigen Prozess, das Projekt in die Tat umzusetzen. Als Architekten waren Hinrichsmeyer und Bertsch tätig.

Lynn Mayer im Innenhof des Stuttgarter Olga-Areals, das sie mit ihrer Familie bewohnt. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

„32 Einheiten sind viel zu viel für eine Baugemeinschaft“, sagt Lynn Mayer rückblickend. Denn das Bauen als Gruppe bedeutet, dass Entscheidungen gemeinsam getroffen und gegebenenfalls Kompromisse gefunden werden müssen. Bei solch einer großen Gruppe ist das oftmals gar nicht so einfach. „Der Bauprozess war schwierig, wir haben währenddessen zwei Baubetreuer verschlissen“, sagt Mayer, die selbst als Architektin arbeitet, in dieser Funktion aber nicht an dem Projekt beteiligt war.

Wenig Flexibilität für die nächsten zehn Jahre

Dabeigeblieben seien trotzdem alle, eben weil es so eine große Chance sei, sagt Mayer. Entstanden sind Wohneinheiten mit unterschiedlichen Grundrissen und zwischen 80 und 110 Quadratmetern Größe. Sie selbst bewohnt mit ihrem Partner und den drei Kindern eine Vierzimmerwohnung. Ursprünglich geplant waren nur zwei Kinder, doch Lynn Mayer wurde durch ihre zweite Schwangerschaft Mutter von Zwillingen.

Die Wohnung hat deshalb nun eigentlich ein Schlafzimmer zu wenig. Ändern lässt sich das nicht, denn Einheiten mit mehr Zimmern gibt es in dem Teil der Baugemeinschaft, in dem sie mit ihrer Familie wohnt, nicht. Alle Beteiligten haben sich verpflichtet, mindestens zehn Jahre dort zu wohnen. Hält das Leben Überraschungen wie etwa Zwillinge bereit, ermöglicht eine Baugenossenschaft also nicht immer die Flexibilität, die beim Bau eines klassischen Eigenheims eventuell gegeben ist.

Lynn Mayer ist trotzdem sehr zufrieden: „Es ist wie ein Bullerbü in der Stadt.“ So schön hätten sie es sich alle nicht vorgestellt, sagt die Architektin. Besonderen Wert legt sie auf den gemeinschaftlichen Charakter des Projekts. Viele der Einheiten werden von Familien mit jungen Kindern bewohnt, weshalb es den Kleinen nie an Spielkameraden mangele.

Doch auch die Erwachsenen verbringen gern Zeit miteinander. Mit den Jahren haben sich Traditionen gebildet, berichtet Lynn Mayer. Das Jubiläum des Projekts wird immer gemeinsam im Hof gefeiert. Zum Ferienstart essen alle zusammen Pizza. Laue Sommerabende verbringen die Bewohner auf der gemeinschaftlich genutzten Dachterrasse.

Die Fußballeuropameisterschaft der Herren im vergangenen Sommer schauten die Bewohner oft zusammen im Gemeinschaftsraum. Ausgestattet mit einer Küche und einer Toilette, können Anwohner den Raum auch mieten, wenn beispielsweise ein Kindergeburtstag ansteht oder Besuch kommt.

Hohes Engagement und Zusammenhalt

„Man muss sich darauf einlassen“, sagt Lynn Mayer über das Leben in dem Areal. Es sei von Beginn an klar gewesen, dass es ein kinderfreundliches Quartier werden solle. Trotzdem gebe es Anwohner ohne Kinder, die sich manchmal über den Lärm beschweren würden, so die Architekten. Einen Hausmeister gibt es nicht. Ab und an komme es vor, dass jemand den Gemeinschaftsraum nach der Nutzung nicht putze. Diese kleinen Ungereimtheiten sind beim Zusammenleben so vieler Menschen wohl zu erwarten.

Der Tübinger Wohnsoziologe und Stadtforscher Gerd Kuhn weist auf die wichtige Rolle der Gemeinsamkeit bei alternativen Wohnformen wie Baugenossenschaften oder Clusterwohnungen hin: „Oftmals gibt es ein relativ hohes Engagement in den Quartieren und es ist den Anwohnern nicht egal, was dort passiert.“ Bereits seit den Siebzigerjahren werde an solchen Wohnformen geforscht, um dessen Effekte auf die Bewohner und das Zusammenleben zu untersuchen, so der Soziologe.

Wieder mehr Gemeinschaft beim Bauen

„Es gibt zwei Hauptgruppen, die sich für solche Wohnformen interessieren: Familiengründer mit kleinen Kindern und ältere Menschen, deren Kinder bereits ausgezogen sind“, erklärt Gerd Kuhn. Junge Eltern berichteten oft von enormer Entlastung durch das gemeinsame Wohnen. Älteren Menschen helfe diese Art des Zusammenlebens laut dem Stadtforscher dagegen oft aus der Isolation.

Lynn Mayer ist unter anderem deshalb froh, in ihrem Areal zu leben. Wenn die Sonne auf die gemeinschaftlich genutzten Hochbeete scheint und von überall her im Innenhof Kinderlachen zu hören ist, ist leicht verständlich, warum.