Zensuren bekommen nicht nur Schüler, sondern auch Schulen. Ihre Noten sind die Landesergebnisse bei Test wie Vera 3, Lernstand 5 und Vera 8. Die Ergebnisse sind besorgniserregend. Anlass zur Hoffnung gibt es aber auch.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Aus den regelmäßigen Vergleichsarbeiten der Schüler (Vera) lässt sich vieles herauslesen. Wie gut die Schulen ihre Aufgabe meistern, ist hier die Leitfrage.

 

Wie steht es um die Deutsch- und Mathekenntnisse der Fünftklässler?

Etwa jeder fünfte Fünftklässler in Baden-Württemberg kommt beim Lesen und dem mathematischen Zahlen- und Operationsverständnis nicht über die elementaren Kenntnisse hinaus. Das zeigen die jüngsten Ergebnisse der „Lernstand 5“-Vergleichsarbeiten, die das Landesinstitut für Bildungsanalysen (IBBW) vor kurzem veröffentlicht hat. Allerdings zeigt dieses Teilergebnis noch nicht, wie groß die Defizite der Schüler an diesem Punkt ihrer Schullaufbahn vor allem beim Rechnen tatsächlich sind: Der Anteil der Fünfer, der den weiteren Lernstoff ohne spezifische Hilfestellung nicht bewältigen kann, liegt im Multiplizieren bei 42, im Subtrahieren bei 47 und im Dividieren sogar bei 60 Prozent – und das landesweit. Einzig beim Multiplizieren attestiert das Institut den Kindern generell ausreichende Kenntnisse für das weitere Lernen. Das heißt, dass ein großer Teil der Kinder mit Handicap in Mathe an der weiterführenden Schule startet und Hilfestellung braucht. Bei der Lesegeschwindigkeit, die für das Erkennen von Worten, das Erfassen von Bedeutung und damit für jegliches Lernen wichtig ist, benötigen 19 Prozent der Fünftklässler spezifische Förderung.


Was sagt das über die unterschiedlichen Schularten aus?

Die flächendeckenden Defizite der Schüler schlagen von Schulart zu Schulart unterschiedlich durch. Aber dramatisch sind sie überall. Auf spezifischen Förderbedarf der Schüler bei den Basiskenntnissen müssen sich deshalb alle weiterführenden Schulen einstellen. Beim schriftlichen Dividieren, mit dem die Schüler sich am schwersten tun, haben schon vier von zehn Gymnasiasten besonderen Förderbedarf, sonst können sie den weiteren Stoff nicht bewältigen. An den Realschulen benötigen 70, an den Gemeinschaftsschulen 82 und an den Werkreal- und Hauptschulen sogar 88 Prozent aller Fünftklässler spezifische Unterstützung, um das Dividieren zu lernen. In absoluten Zahlen sind von knapp 89 000 baden-württembergischen Fünftklässlern, die den Test geschrieben haben, nach Angaben des IBBW fast 39 000 beim Subtrahieren weit entfernt von sattelfest. 49 000 können nicht ausreichend multiplizieren und 50 000 nicht dividieren.

Wieso ist das ein schlechtes Zeugnis für die Grundschulen?

Da die Fünftklässler die Vergleichsarbeiten zum Lernstand 5 in den ersten Wochen des Schuljahrs geschrieben haben, dokumentieren die Ergebnisse nicht Erfolge oder Misserfolge der weiterführendenden Schule, sondern was die Kinder in der Grundschule gelernt oder nicht gelernt haben. Ihre Aufgabe ist es, den Schülern die Grundfähigkeiten im Lesen, Schreiben, Rechnen zu vermitteln.

Dass die Grundschulen sich damit seit vielen Jahren schwertun, zeigen auch in diesem Jahr die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten Vera 3, an denen zuletzt 85 000 Grundschüler teilgenommen haben. Wie in den Vorjahren auch gibt es in der dritten Klasse eine beachtliche Minderheit von Kindern, die in allen getesteten Bereichen am unteren Ende der Leistungsskala ist. Beim Lesen sind es 45 Prozent, die entweder die Minimalanforderungen gerade so erreichen (21 Prozent) oder unterschreiten (24 Prozent). Beim Zuhören sind es 44 Prozent – davon 16 Prozent auf und 28 Prozent unter dem Mindeststandard. In Mathematik zeigt mit 46 Prozent knapp die Hälfte der Schüler schwache Leistungen – 17 Prozent liegen auf und 29 Prozent unter dem Minimalniveau.

Lernen die Kinder von Klasse zu Klasse ausreichend dazu?

Die Kultusministerkonferenz hat festgelegt, dass bei Vera 3 in der dritten Klasse überprüft wird, wo die Schüler im Blick auf die nationalen Bildungskompetenzen stehen, die am Ende der vierten Klasse erreicht sein sollen: Die Drittklässler haben also noch ein Jahr Zeit, diese Standards zu erreichen – die Vera-Arbeiten sollen eine „abgesicherte Standortbestimmung“ der Schülerinnen und Schüler liefern. Dass fast 40 000 Kinder in der dritten Klasse bei den mathematischen Kenntnissen unter oder auf dem Mindeststandard liegt, wäre zu verschmerzen, wenn sich das in der Zeit danach verbessern würde. Doch die Standortbestimmung bei Vera 3 funktioniert bisher offenbar nicht ausreichend als Weckruf. Diese Schlussfolgerung ergibt sich, wenn man die Ergebnisse von Vera 3 und Lernstand 5 übereinanderlegt. Strukturell betrachtet haben laut Lernstand 5 etwa gleich viele Kinder wie bei Vera 3 (39 000) beim Abziehen Hilfebedarf – beim Malnehmen und Teilen sind es deutlich mehr.

Wie schneiden die weiterführenden Schulen ab?

Auch die Vera 8-Ergebnisse der Achtklässler belegen in diesem Jahr einmal mehr große Defizite. Landesweit liegen fast 40 Prozent der Achtklässler beim Lesen sowie beim Sprechen und Zuhören im Fach Deutsch mit ihren Testergebnissen lediglich auf oder unter dem Mindeststandard für den mittleren Schulabschluss. In Mathematik gilt das sogar für 58 Prozent Schüler. Blickt man auf die einzelnen Schularten, dann ragt keine heraus. Im Gymnasium, wo die leistungsstärksten Jugendlichen unterrichtet werden und der Anteil der Kinder mit nichtdeutscher Alltagssprache mit elf Prozent am geringsten ist, liegen zwar nur elf Prozent auf oder unter dem Mindeststandard. Doch auch die Leistungsspitze ist schwach ausgeprägt. Den optimalen Leistungsstand im Blick auf die Anforderungen für den mittleren Schulabschluss erreichen nur 29 Prozent der Achtklässler beim Lesen, 39 Prozent beim Sprechen und Zuhören und nur 17 Prozent in Mathematik. Gemessen daran, dass alle Gymnasiasten nicht mittlere Reife sondern Abitur anstreben, ist das ein schmales Plateau.

Bei den Haupt- und Werkrealschulen liegen – ein Jahr vor dem Schulabschluss – fast 60 Prozent der Schüler nur auf oder unter dem Mindeststandard für den Hauptschulabschluss. Nimmt man die Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss als Messlatte sind 80 Prozent der Hauptschüler in dieser Risikogruppe. Auch bei den Gemeinschafts- und Realschulen sind die Anteile der schwachen Schüler auf oder unter dem Mindestniveau für den mittleren Schulabschluss mit 63 beziehungsweise 48 sehr hoch. Das Fazit: Erstens müssen die Gymnasien ihre Konzepte zum Herauskitzeln der Leistungsspitzen überprüfen. Zweitens haben weder Haupt- und Werkrealschulen, noch Gemeinschafts- oder Realschulen eine Pädagogik, die schwächeren Schülern sicher die nötigen Bildungsstandards vermittelt.