Siegfried Steiger, Mitgründer der Björn-Steiger-Stiftung in Winnenden, ist nur wenige Wochen nach seiner Frau Ute gestorben. Die Verdienste der beiden sind enorm. Dabei begann alles mit einem tragischen Unfall.

Es ist ein tragischer Moment, der etwas ganz Großes in Bewegung setzt. An jenem 3. Mai 1969, einem warmen Frühlingstag, stirbt der achtjährige Björn Steiger in Winnenden (Rems-Murr-Kreis) auf dem Heimweg vom Schwimmbad. Er wird von einem Auto erfasst. Bis ein Rettungswagen eintrifft, vergeht fast eine Stunde. Auf dem Weg ins Krankenhaus erliegt der Bub nicht seinen Verletzungen, sondern dem Schock.

 

Es ist eine Zeit, in der es in Deutschland ein strukturiertes Rettungswesen wie heute mit vielen Fahrzeugen und Hubschraubern nicht gibt. Die Eltern des Achtjährigen beschließen deshalb, dass sein Tod nicht umsonst gewesen sein darf. Ute und Siegfried Steiger gründen die Björn-Steiger-Stiftung, um Verbesserungen zu bewirken. Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte beginnt. Jetzt, am Donnerstag, ist Siegfried Steiger im Alter von 92 Jahren in Winnenden gestorben – nur zweieinhalb Wochen nach seiner Frau.

„Björn war der Hilfsbereiteste in unserer Familie. Diese Hilfsbereitschaft wollten wir nicht sterben lassen“, sagte Siegfried Steiger einmal. „Wenn sein Tod einen Sinn haben konnte, dann nur den, dass anderen in seinem Namen geholfen wird.“ Die Steigers schaffen es mit dem vollen Einsatz ihrer Überzeugungskraft, ihrer Beharrlichkeit und ihres Vermögens, in kürzester Zeit die dicksten Bretter zu bohren. Sie gewinnen Hilda Heinemann, die Frau des Bundespräsidenten, für ihre Sache. Sie öffnet wichtige Türen. Dreimal verpfändet das Ehepaar im Lauf der Zeit sein Wohnhaus, wenn Projekte an den Finanzen zu scheitern drohen.

110, 112 und Notrufsäulen

Die Erfolgsbilanz dieses Engagements ist enorm. Die Steigers gewinnen Unterstützer, legen sich mit der Politik an und bringen Dinge auf den Weg, die heute selbstverständlich erscheinen. Die Einführung der Notrufnummern 110 und 112 ist eng mit der Stiftung verknüpft, sie stellt Tausende Notrufsäulen an Straßen auf, baut die Luftrettung auf, entwickelt später Baby-Notarztwagen oder bekämpft den plötzlichen Herztod mit der Finanzierung von Defibrillatoren. Und das bis heute. Seit 2010 führt der zweite Sohn Pierre-Enric Steiger die Stiftung als Präsident in der Nachfolge seines Vaters.

Mit Medizin hatte Siegfried Steiger ursprünglich überhaupt nichts zu tun. Der gebürtige Sachse war gelernter Zimmermann, Gipser und Maurer sowie Bauingenieur. 1952 floh er in den Westen, seine spätere Frau Ute folgte ihm kurz danach. 1953 heiratete das Paar in Stuttgart und baute danach ein Architekturbüro in Winnenden auf. Auch dabei machten die beiden keine halben Sachen: Siegfried Steiger realisierte als Diplom-Ingenieur den Bau von über 10 000 Häusern und Wohnungen sowie Einkaufszentren und Fabrikgebäuden in ganz Deutschland. 1969 kam nach dem Unfall von Björn die Arbeit für die Stiftung parallel hinzu.

71 Jahre als Paar

Das 50-Jahr-Jubiläum ihrer Stiftung durften Siegfried und Ute Steiger im Jahr 2019 noch groß mitfeiern. In den vergangenen Jahren haben sich beide angesichts ihres Alters dann weitgehend von öffentlichen Auftritten zurückgezogen. „Sie haben aber die Dinge weiterhin mit großem Interesse begleitet, nur eben nicht mehr in offizieller Mission“, heißt es bei der Stiftung. Für ihre großen Verdienste haben die beiden zahllose Ehrungen erhalten.

71 Jahre lang haben Siegfried und Ute Steiger ihr Leben Seite an Seite verbracht, drei Kinder bekommen, ihre Mission über Jahrzehnte gemeinsam vorangetrieben. Als am 28. Februar seine Ehefrau im Alter von 88 Jahren starb, war der Familie klar, dass sich Siegfried Steiger von diesem Verlust nicht mehr erholen würde. „ Die Symbiose der beiden war dafür einfach zu groß“, sagt Sohn Pierre-Enric Steiger. Bei aller Trauer freue er sich sehr, mit welch ehrenden Worten sich viele Wegbegleiter und Akteure aus Politik und Rettungsdienst meldeten.

Dank für zahllose Lebensrettungen

Die Liste der Beileidsbekundungen ist am Freitag in der Tat minütlich gewachsen. „Gemeinsam mit seiner Ehefrau hat Siegfried Steiger Pionierarbeit geleistet und damit große Verdienste um das Rettungswesen und die Notfallhilfe in Deutschland erworben“, sagte etwa Baden-Württembergs stellvertretender Ministerpräsident Thomas Strobl. Im virtuellen Kondolenzbuch auf der Internetseite der Stiftung reiht sich Eintrag an Eintrag – und viele finden klare Worte. Von „Vorbildern“ ist da die Rede und von „Helden“. Oder, wie es eine Schreiberin ausdrückt: „Vielen Dank für die unzähligen Leben, die Sie und Ihre Frau gerettet haben.“