Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)
Nagt der Mord an Anja Aichele weiter an Ihnen?
Kögel Solche Fälle wie Sabine Hammerich, Anja Aichele oder Sabine Binder belasten einen natürlich. Es gibt Mädchen, die steigen jeden Abend nach der Disco in ein Auto, und ihnen passiert nichts. Und dann geht ein Mädchen wie Anja Aichele einmal allein fort, weil sie an diesem Abend vermutlich noch jemanden sehen will, und wird umgebracht. Oder Sabine Binder, die im Behindertenheim arbeitet, wird auf dem Heimweg umgebracht. Oder ein Kind wie Sabine Hammerich geht mitten in der Großstadt im Berufsverkehr ein paar Meter für den Vater Zigaretten holen, verschwindet spurlos und wird anderthalb Jahre später als Skelett im Raum Bamberg gefunden. Da hat man unendlich viel Energie rein investiert. Bei Anja Aichele habe ich drei Jahre Sonderkommissionen geführt. Immer wieder haben wir mit neuen Leuten neu angefangen. Profiler aus ganz Deutschland haben sich mit dem Fall beschäftigt.
Sind das Morde, die für Sie anders sind?
Kögel Ein Mord im Milieu belastet einen weniger, auch wenn man den natürlich genauso aufklärt und keine Opferhierarchie aufmacht. Bei einem Kindermord sind die Menschen bei der Aufklärung entgegenkommender. Obwohl man ja kein Recht hat, in fremde Wohnungen zu gehen, haben wir im Fall Sabine Hammerich im Umkreis von 250 Metern alle Wohnungen nach dem Kind abgesucht. Jeder hat uns reingelassen. Nicht jeder ungeklärte Mord belastet. Aber wenn man so viel Zeit damit verbracht hat, trägt es sich unauslöschbar ins Gedächtnis ein. Denn gleichzeitig hat man ja auch ständig mit den Angehörigen zu tun.
Knubben Ich habe einen unaufgeklärten Mord. Das war ein jugoslawischer Gastarbeiter. Ich kannte die Angehörigen nicht, nicht das Kind und nicht die Witwe. Das verändert etwas. Da bleiben weniger Erinnerungen.
Ist eine Verurteilung wichtig, um abschließen zu können?
Knubben Mir kam es wenig auf die Strafe an. Mich hat immer interessiert, was passiert ist. Wo ist die Wahrheit? Das war meine Frage.
Kögel Das ist bei mir ähnlich, wenngleich mich ein adäquates Urteil gefreut hat.
Sind Sie auf Beerdigungen gegangen?
Kögel Bei ungeklärten Tötungsdelikten sehr häufig.
Um zu sehen, ob auch der mögliche Täter dort auftaucht?
Kögel Bei einem ungeklärten Fällen hat das auch eine Rolle gespielt. Aber bei Fällen wie Anja Aichele auch aus Anteilnahme.
Wie stark darf man sich emotional auch auf die Angehörigen einlassen?
Kögel Das darf man nicht, wenn es auch manchmal schwerfällt.
Gibt man ein unausgesprochenes Versprechen ab, den Fall zu lösen, wenn man die Todesnachricht selbst überbringt?
Knubben Ich glaube schon, dass da eine tiefere Beziehung entsteht. Man hat eine gewisse Kämpfernatur. Wenn ein Mensch getötet wird, ist das die größte Verletzung göttlicher, universeller Ordnung. Dann ist etwas sehr in Unordnung geraten.
Kögel Ja. Der Bezug entsteht natürlich. Zu einem Vater habe ich mal gesagt, ich habe fast ein Schuldgefühl, dass wir den Fall nicht gelöst haben. Obwohl ich keine Schuld habe. Aber ich weiß, dass alle Eltern erwarten, dass man den Täter findet. Aber wenn man nach drei Jahren alles getan hat und nicht weiterkommt, dann irgendwann in Pension geht und der Fall noch ungelöst ist, dann ist das nicht nur sportlicher Ehrgeiz, dass man den Täter finden will.
Objektiv haben Sie alles getan, und trotzdem bleibt dieses Gefühl?
Kögel Das bilde ich mir ein. Es sind ja auch noch andere über den Fall gegangen.
Trotzdem bleibt eine Wunde?
Kögel Ja.
Knubben Wenn man so viel Energie reingesetzt hat, so viele Spuren verfolgt hat, dann ist es einfach menschlich, dass man glaubt, der Erfolg müsste auch folgen. Deshalb behaupte ich, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die nicht klärbar sind. Es bleibt aber immer eine Restchance. Man weiß nie. Da halte ich mich dran fest.
Herr Kögel, halten Sie sich auch daran?
Kögel Das stimmt schon. Ein Täter kann einen Mord noch so toll planen, er kann nie garantieren, dass nicht nachts jemand am Fenster steht und doch etwas sieht, das aber gar nicht einordnen kann. Wir müssen den Zeugen bloß finden. Darum haben wird in der Stadt die Hausbefragungen gemacht. Im Fall Aichele haben wir im Sommerrain, in Steinhaldenfeld und Teilen Cannstatts alle Männer zwischen 15 und 30 Jahren überprüft.