Für Ella und Pete beginnt die schwere Zeit, als Pete vor einigen Jahren an einer Depression erkrankt. Nach dem Tod seines Vaters bricht bei dem heute 37-jährigen Mann eine Wunde auf, die er zu verstehen versucht, in Pandemiezeiten verschanzt er sich zu Hause – bis es gar nicht mehr geht. Seit zwei Jahren kann Pete nicht mehr arbeiten, begibt sich immer wieder stationär in Behandlung und besucht einen Therapeuten. Seine Frau Ella, 35, will ihm helfen, für ihn da sein, und merkt, dass sie selbst zunehmend in das dunkle Loch gezogen wird, aus dem Pete gar nicht mehr herausfindet, sie fühlt sich überfordert. Alles, nicht nur die finanzielle Seite der Beziehung, bleibt an ihr hängen. Und immer dreht sich alles darum, wie es Pete geht. Pete fühlt sich schuldig. Ella fühlt sich, als wäre sie unsichtbar.
Ein herzliches Paar, das sich Hilfe sucht
Das ist die Lage, und Ella und Pete haben sich entschlossen, dass es so nicht weiter gehen kann, bei Beziehungscoach Franciska Wiegmann-Stoll wollen sie eine Paartherapie beginnen. Wer Ella und Pete kennenlernt, erlebt ein aufgeschlossenes, herzliches Paar: Ella stammt aus Cottbus, Pete aus Melbourne in Australien: „Ossi und Aussie“ sagen die beiden und lachen. Seit 2010 sind sie schon liiert, seit 2017 verheiratet. Sie leben in Stuttgart.
„Alle glücklichen Paare gleichen einander, alle unglücklichen sind auf ihre Art unglücklich“ schrieb einst der russische Dichter Tolstoi sinngemäß. Und wer jahrelang in einer Beziehung lebt, weiß, wie schwierig es sein kann, die gemeinsame Liebe, das Zugewandte über alle Höhen und Tiefen des Lebens zu retten. Wer bleibt schon jahrelang der Gleiche? Jedes Paar hat irgendwann mit Schicksalsschlägen, Krankheiten und herausfordernden Lebensphasen zu kämpfen. Vielleicht deshalb ist Tolstois Satz aus „Anna Karenina“ bis heute einer der meistzierten der Weltliteratur.
Paartherapie gehört oft zur normalen Beziehungsarbeit
Was aber früher als Eingeständnis des Scheiterns gelesen worden wäre, ist heute längst für viele Paare normale Beziehungsarbeit: Mit ihren Problemen wollen sie offen umgehen, in der Paartherapie wieder zu mehr Beziehungsglück finden – und zu einer besseren Kommunikation. Therapeutinnen wie Franciska Wiegmann-Stoll haben sich auf diese Form der Therapie spezialisiert, darunter fällt auch Trennungsberatung und Mediation. Wiegmann-Stoll arbeitet seit 12 Jahren als Beziehungscoach, ist ausgebildete Paartherapeutin und Mediatorin und spezialisiert auf die systemische Paar- und Familientherapie. Sie behandelt etwa 30 Paare in Praxisräumen in Schwieberdingen und Stuttgart-West.
Auch Marie und Patric, 29 und 28 Jahre alt, sind nun eines dieser Paare. Unsere Zeitung hatte unter anderem per Aufruf in sozialen Medien nach Paaren gesucht, die bereit sind, sich bei der Paartherapie begleiten zu lassen. Eine Reporterin oder ein Reporter sitzt dabei mit im Raum. Marie und Patric (den man wie Patrice ausspricht) gefiel die Idee. Die beiden, die ebenfalls in Stuttgart wohnen, gehen offen mit den Themen um, die sie beschäftigen. „Klar, dass ihr das macht“, hätten Freunde gesagt.
Als Marie vorschlug, bei der Paartherapie mitzumachen, war Patric’ Reaktion trotzdem erst mal: „Brauchen wir das wirklich?“ Die beiden sind ein zugewandtes Paar, sie hören sich zu, lächeln sich oft an, sie lassen keine Zweifel an ihrer Beziehung spüren. Aber es gibt ein Thema, das sie beschäftigt.
Ein harmonisches Paar – aber die Fehlgeburt belastet sie
Marie und Patric sind beide in großen Familien aufgewachsen. Sie sind sich einig, dass sie auch gemeinsam eine Familie gründen wollen, am besten eine mit mehreren Kindern. Im vergangenen Jahr wird Marie schwanger. Im November setzen über Nacht schwere Blutungen und Krämpfe ein. Als sie ins Krankenhaus gehen, findet man keinen Herzschlag bei dem Kind, das in Maries Bauch heranwachsen sollte. Den Rest der Nacht verbringen sie wieder zu Hause, zwischen Sofa und Klo, Maries Bauch krampft und schmerzt, da ist viel Blut, und schließlich sehen sie auch den kleinen Fötus.
Patric ist immer an ihrer Seite, aber er fühlt sich hilflos. So, als hätte er Marie alleine gelassen mit diesem Leid. Später hat Marie eine Panikattacke, auch bei Patric verstärkt sie alte Ängste. Die Fehlgeburt beschäftigt sie als Paar. „Darüber mussten wir reden“, erklärt Patric, warum sie entschieden haben, dass sie die Therapie brauchen.
Was eine Paartherapie bringt
Was kommt in der Paartherapie auf einen zu? Macht das Um-sich-selbst-Kreisen manchmal nicht alles noch sehr viel schlimmer? Wie sinnvoll ist diese Form der Therapie, was kann sie ausrichten, was passiert in den verdichteten Momenten der intensiven Kommunikation? Amerikanische Wissenschaftler um die Psychologin McKenzie Roddy haben sich 2020 in einer Studie mit diesen Fragen befasst. Ihre Metaanalyse untersuchte 58 Studien mit 2 092 Paaren. Dabei stellten Sie fest, dass Paartherapie die Zufriedenheit der Partner mit der Beziehung deutlich erhöht.
Durch Paartherapie konnten die Paare demnach lernen, besser miteinander zu kommunizieren und miteinander umzugehen. Außerdem empfanden die Paare anschließend mehr emotionale Nähe. Selbst zwei Jahre nach der Therapie waren diese Effekte noch messbar. Den Studien zufolge profitierten vor allem Paare, die anfangs sehr unzufrieden mit ihrer Beziehung waren, von der Therapie. Bei ihnen erhöhte sich die Zufriedenheit mit der Beziehung am stärksten. Zum Vergleich hatten die Studien sogenannte Wartegruppen herangezogen – die Paare in diesen Gruppen erhielten vorerst keine Therapie. Und es zeigte sich, dass sich bei ihnen in dieser Zeit keine Verbesserung einstellte – ein deutlicher Unterschied zu den therapierten Paaren.
Was sich die Paare von der Therapie erhoffen
Ella und Pete sowie Marie und Patric füllen in Vorbereitung des ersten Treffens mit Franciska Wiegmann-Stoll jeder für sich einen Fragebogen aus, darin Fragen wie: Wie ist die Balance zwischen Nähe und Autonomie zwischen Ihnen? Wo liegen Ihre Schwächen und die Ihres Partners? Wer verdient das Geld? Worin sehen Sie aktuell das Problem Ihrer Beziehung? Was soll durch die Therapie verändert werden?
Ella hofft darauf, durch die Therapie neue Wege zu finden, besser miteinander zu sprechen, dass sie auch gesehen wird. „Als Angehörige eines an einer Depression Erkrankten fällt man meist hinten runter, dabei trägt man das ganze mit, es ist sehr belastend für mich“, sagt Ella. Pete fühlt sich deswegen schuldig, er möchte gern mehr Aufgaben im Haushalt übernehmen – was aber nicht immer gelingt. Beide stellen fest, dass sie öfter aneinander vorbei reden, außerdem hat Ella ein erhöhtes Bedürfnis, auch mal alleine zu sein, autonom etwas zu unternehmen – was Pete eher nicht hat. Für ihn ist das irritierend. Wie kann es in Zukunft weitergehen? Pete möchte sich beruflich umorientieren, doch dafür muss er erst einmal die Depression in den Griff bekommen. Über all diese Punkte wollen sie mit Franciska Wiegmann-Stoll sprechen.
Marie und Patric haben beide auch individuell mit Ängsten zu kämpfen. Marie hat Erfahrungen mit einer Depression gemacht, Patric hat eine diagnostizierte Angststörung. Die Fehlgeburt hat das nicht besser gemacht. Bei ihnen stellt sich die Frage: Wie können wir gut damit umgehen? Das wird aus einem erfreulichen Grund gerade noch wichtiger für das Paar: Marie ist wieder schwanger, das Kind ist gesund – ihnen stehen die Herausforderungen des Elternwerdens bevor. Darauf freut sich das Paar, aber es bringt auch neue Sorgen mit sich.
In den kommenden Wochen werden wir abwechselnd jeweils drei Sitzungen von Marie und Patric sowie Ella und Pete besuchen und wöchentlich hier darüber berichten. Kann die Therapeutin den Paaren helfen? Verbessert sich die Kommunikation? Welche ungeahnten Probleme kommen auf den Tisch? Sehen die Paare noch eine gemeinsame Zukunft? Werden sich Ihre Hoffnungen auf den Erhalt ihrer Liebe erfüllen? Wir beginnen kommende Woche mit Marie und Patric, die in der ersten Therapiesitzung noch einmal durch ihr traumatisches Erlebnis Fehlgeburt gehen müssen.