Keine freie Fahrt für Reisende und Pendler am Stuttgarter Hauptbahnhof: Nachdem erneut drei Wagen aus den Schienen gesprungen sind, muss das Gleis 10 gesperrt bleiben. Der Unfallzug war als Testfahrzeug unterwegs.

Stuttgart - Gedacht war die Fahrt mit dem Intercity im Stuttgarter Hauptbahnhof am Dienstagmorgen als letzter Nachweis, dass das Gleis 10 wieder problemlos und sicher befahrbar ist – bewiesen hat die Deutsche Bahn damit aber genau das Gegenteil: Wie schon vor wenigen Tagen sind erneut drei Wagen an der zwischenzeitlich reparierten Weiche aus den Schienen gesprungen. Erneut mussten als Folge sämtliche Fernverkehrszüge aus dem Süden um Stuttgart herumgeleitet werden, was den ganzen Tag über zu erheblichen Beeinträchtigungen, Zugausfällen und Verspätungen geführt hat.

 

Um kurz vor halb neun war die Testfahrt unter Aufsicht des Eisenbahnbundesamtes (Eba), der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes und weiteren Beobachtern mit einem leeren IC durchgeführt worden, passiert ist dabei genau das, was Bahnexperten nach dem zweiten Zugunfall Ende September prophezeit hatten. Sie werfen der Bahn vor, dass durch die Verlegung der Gleise für Stuttgart 21 die Radien der Schienen aus Platzmangel zu eng gesetzt wurden, weshalb es zu Entgleisungen kommt, wenn ein Zug aus dem Bahnhof geschoben wird. Experten sprechen dabei von einer Überpufferung. Gemeint ist damit, dass sich die Puffer der Wagen beim Befahren der engen Bögen so weit verschieben, dass sie abgleiten und sich die Wagen gegenseitig aus den Schienen hebeln.

Eba lässt Betrieb auf Gleis 10 einstellen

Das Eisenbahnbundesamt als Aufsichtsbehörde will zum momentanen Zeitpunkt noch keine Einschätzung zur Ursache für die Serie an Entgleisungen abgeben. „Es gibt noch keine abschließenden Erkenntnisse, die Untersuchungen laufen noch“, sagt die Eba-Sprecherin Heike Schmidt. Die Behörde hatte der Bahn nach dem jüngsten Unfall am 29. September, bei dem sieben Fahrgäste leicht verletzt wurden, aufgegeben, einen Sicherheitsnachweis für das mehrfach auffällige Gleis 10 zu erbringen. Die Testfahrt sei ein Versuchsaufbau und Teil dieses Nachweises gewesen, so die Sprecherin. Die Auflage sei logischerweise nicht erfüllt worden. So lange der geforderte Nachweis nicht erbracht sei, so Heike Schmidt, müsse der Betrieb auf diesem Gleis eingestellt werden.

Erst am Anfang dieser Woche hatte die Deutsche Bahn angekündigt, dass die Probleme auf Gleis 10 behoben seien und die Züge von Dienstag an wieder auf allen Gleisen fahren könnten. Übergangsweise sei an der Unfallstelle eine einfache Weiche eingebaut worden, da die Anfertigung der an dieser Stelle vorgesehenen Doppelkreuzungsweiche noch einige Wochen dauern würde. Zum Grund für die neuerliche Entgleisung an genau dieser Stelle wollte die Deutsche Bahn am Dienstag keinen Kommentar abgeben. Die Versuchsfahrt sei durchgeführt worden, so ein Bahnsprecher, um die Fahrten zu reproduzieren, die Ende Juli und Ende September zur Entgleisung zweier IC-Züge im Bahnhof geführt hätten. Nun müssten die Untersuchungen der Testfahrt abgewartet werden.

S21-Kritiker sehen Zusammenhang mit dem Projekt

Ungeachtet dessen dürfte der neuerliche Unfall im Hauptbahnhof derweil die Diskussionen um die Bauarbeiten für Stuttgart 21 weiter anheizen, nicht nur in den einschlägigen Foren. So hat der Verkehrsclub Deutschland (VCD) die Bahn bereits nach dem letzten Unfall vor wenigen Tagen massiv kritisiert und ihr vorgeworfen, die Sicherheit ihrer Kunden für das umstrittene Milliardenprojekt aufs Spiel zu setzen. Die Pannenserie lege nahe, so der VCD-Landeschef Matthias Lieb, „dass die Bahn kein verantwortungsvoller Bauherr ist“. Die Projektleitung sei offensichtlich überfordert und habe die Baustelle nicht im Griff. Und auch der Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann sprach davon, dass die Umbauarbeiten offenbar schwierige Gleisführungen zur Folge hätten. Er fordert nun wie auch der Fahrgastverband Pro Bahn rasche Aufklärung der Unfallursache.

Wie lange der Zugverkehr im Südwesten durch den neuerlichen Unfall beeinträchtigt wird, war am Dienstag noch nicht abzusehen. Wegen der Gleissperrungen konnten den ganzen Tag über etliche Züge der IC-Line und der Regional-Express-Linien nur bis Böblingen fahren. Die Fernverkehrszüge in Süd-Nord-Richtung wurden zudem zu den Bahnhöfen in Esslingen und Vaihingen an der Enz umgeleitet. Die Einschränkungen im Regionalverkehr seien nur gering gewesen, erklärte ein Bahnsprecher auf Anfrage. Die S-Bahn habe ohne jegliche Einschränkungen fahren können.