Manuel Hagel (CDU) oder Cem Özdemir (Grüne) – einer der beiden dürfte den Presseball eines Tages eröffnen. Mit ihren Partnerinnen feiern sie in politisch aufgewühlten Zeiten – und sammeln Sympathiepunkte. Ein Stimmungsbild aus der Liederhalle.
Markus Söder (CSU) mag das Grünen-Bashing auf die Spitze treiben – in Stuttgart ticken die Uhren anders. Die grün-schwarze Koalition, so scheint es, hat Freundschaften unter Kontrahenten hervorgebracht. Der Umgang ist hier überwiegend fair und locker – zumindest beim 62. Landespresseball mit knapp 1600 Gästen am Freitagabend zum Ausklang einer politisch wilden Woche, die viele Menschen geängstigt hat.
Stefan Wolf, der Arbeitgeberpräsident von Gesamtmetall, ist das, was man einen Strippenzieher nennt. Am frühen Abend, noch bevor die Türen zur Liederhalle geöffnet werden, hat der Ballfan beide Spitzenpolitiker zum Rose-Champagner in die Bar des Hotels Maritim eingeladen. Von beiden wird erwartet, dass sie in anderthalb Jahren um die Nachfolge von Ministerpräsident Winfried Kretschmann gegeneinander antreten.
Auch OB Frank Nopper (CDU), Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne), Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sind in der Bar, da Cem Özdemir mit seiner Partnerin Flavia Zaka und den Bodyguards leicht verspätet auftaucht. Immerhin kommt er. Ob der Grüne, der neuerdings Doppelminister ist, es rechtzeitig schaffen würde, ist in diesen turbulenten Zeiten nicht klar. Eigentlich wollte Özdemir mit dem Zug anreisen, was er sich innerhalb von Deutschland stets vornimmt. „Ausnahmsweise musste es heute doch das Flugzeug sein“, sagt er. Mit der Bahn hätte es wohl nicht geklappt.
Manuel Hagel gratuliert Cem Özdemir
Einer der ersten, der auf Cem Özdemir zugeht, ist der CDU-Landesvorsitzende Manuel Hagel. Der 37-Jährige gratuliert dem 58-Jährigen zur Ehrenbürgerwürde von Bad Urach. Er hätte ihm auch zum weiteren Ministerposten gratulieren können. „Als ich zur Dienstreise nach Afrika geflogen bin, war ich Agrarminister, auf dem Rückflug am Freitagfrüh dann auch noch Bildungsminister“, berichtet Özdemir. Ist’s gar Ausdruck von schwäbischer Sparsamkeitstugend? So wird gescherzt in der Runde: Für zwei Ministerämter bezahlt man nur einen Schwaben. Am Freitagvormittag ist er in Berlin nach seinen politischen Gesprächen in Äthiopien und Sambia angekommen, traf sich mit der Belegschaft des Bildungsministeriums vor der Abreise nach Stuttgart.
Auf dem Landespresseball - „Tanzen braucht man fürs Leben“
Özdemir und Hagel laufen gegen 19.30 Uhr gemeinsam in einer kleinen Gruppe vom Maritim zur Liederhalle. Franziska Hagel, die Frau von Manuel Hagel, ist mit OB Frank Nopper und dessen Frau Gudrun Nopper bereits im Auto vorausgefahren. Die beiden Kontrahenten, die aufs Spitzenamt in Baden-Württemberg zielen, haben noch eine Gemeinsamkeit. Beide sind im Alter von 15 oder 16 Jahren von der Mutter zu Tanzkursen geschickt worden. „Tanzen braucht man fürs Leben“, haben sie früh schon gelernt.
Später im Beethovensaal zeigt sich: Manuel Hagel tanzt viel (unter anderem mit Gerlinde Kretschmann, der Frau des Ministerpräsidenten), Cem Özdemir eher wenig. Man habe den Grünen nicht tanzen gesehen, erzählen sich die Fotografen. Aber der Doppelminister hat viel gesprochen und diskutiert. Auf seinem Rundgang bleibt er etwa lange am Stand eines Schokoladenproduzenten stehen, lässt sich alles ganz genau erklären. Seine englischsprechende Partnerin Flavia Zaka, eine 38-jährige Juristin aus Kanada, sagt, sie liebe Schokolade.
Özdemir wird gefragt, ob er für sich eine Chance als Nachfolger von Kretschmann sieht – die Umfragewerte für die Grünen seien doch sehr schlecht. „In den USA hat man gesehen, wie schnell sich Trends ändern können“, antwortet er, „da hätte man auch nicht gedacht, dass es Trump noch mal schafft.“
Von Sensationsgier ist auf dem Landespresseball nichts zu spüren
Für Cem Özdemir und Flavia Zaka ist es der erste Landespresseball, den sie als Paar besuchen. Als vor Jahren Günther Oettinger seine neue Freundin zum gesellschaftlichen Topevent mitbrachte, war die Hektik der Fotografen und das Blitzlichtgewitter groß. Im August hatte der türkischstämmige Grüne über unsere Zeitung der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass er in einer neuen Beziehung mit der gebürtigen Kanadiern lebt. Jetzt in der Liederhalle ist alles um die beiden entspannt, von Sensationsgier ist nichts zu spüren, auch das Paar ist entspannt und macht einen verliebten Eindruck.
Dies kann man auch für Manuel und Franziska Hagel sagen, die sich auf dem roten Teppich vor den Fotografen gar küssen. Die Frau des CDU-Landeschefs arbeitet im Hotel ihrer Mutter und schmeißt „den Familienbetrieb mit unseren drei Kindern“. In dieser Nacht sammeln die beiden Paare Sympathiepunkte.
Die Ereignisse der vergangenen Woche haben Ministerpräsident Winfried Kretschmann zugesetzt. Beim Eröffnungswalzer mit Johanna Henkel-Waidhofer vom Vorstand der Landespressekonferenz lächeln die beiden nicht in die Kameras, wie man’s von früheren Bällen kennt. „Wir haben uns ernsthaft unterhalten“, sagt die gebürtige Österreicherin, die mit Bällen in ihrer Heimat sozialisiert wurde. Um 21.40 Uhr brechen die Kretschmanns auf und verlassen die Liederhalle. „Wir müssen auch noch zwei Stunden nach Hause fahren“, sagt der MP.
Je später der Abend, desto besser die Stimmung. Im Foyer sorgt DJane Alegra Cole mit ihren Remixen für eine volle und vergnügte Tanzfläche. Stargast Kelvin Jones heizt im Beethovensaal ein. Viele mögen den gesellschaftlichen Höhepunkt früher als steif und voller Etikette eingestuft haben – die Musik am Freitagabend sowie die bunte Mischung der Generationen (dabei: der 32-jährige Künstler und Internet-Star Tim Bengel) lassen vermuten, dass der bereits totgesagte Landespresseball doch eine Zukunft hat.
„Es ist der letzte große Ball in Stuttgart“, sagt Johanna Henkel-Waidhofer von der LPK, „man sieht, dass sich viele freuen, mal wieder tanzen und schöne Kleider tragen zu können.“ Die Landespolitik ist reichlich vertreten. Nicht nur die meisten Mitglieder des Kabinetts feiern mit, auch die Oppositionsspitzen von SPD und FDP. Auch die Abgeordneten der AfD haben einen Tisch gebucht.
Worüber noch gesprochen wird
In der neuen Presselounge, in die der Verband der Südwestdeutscher Zeitungsverleger, die Landespressekonferenz BW sowie der Deutsche Journalistenverband gemeinsam eingeladen haben, erfahren die Gäste, was mit dem Erlös des Balls geschieht. Nicht nur Journalisten in Not werden – wie traditionell – unterstützt, dem Sozialfonds der Pressestiftung ist nun auch die Förderung der Demokratie mit Programmen wichtig.
Weiterer Gesprächsstoff beim Ball: Porsche-Finanzchef Lutz Meschke (auch er feiert mit) darf seine Villa in Kitzbühel nicht länger als Feriendomizil nutzen. Denn das Haus dürfe nur als Hauptwohnsitz und nicht als Ferienunterkunft genutzt werden – sein erster Wohnsitz bleibt Stuttgart.
Worüber sich viele freuen: Comedian Michael Gaedt, 67, sieht nach seinem schweren Verkehrsunfall wieder gut aus. „Mir geht es auch gut“, sagt er. So viel Glück habe er gehabt, dass er außer geprellter Rippen nicht viel erlitten habe.
Die Landtagspräsidentin ist begeistert
Spät in der Nacht freut sich Landtagspräsidentin Muhterem Aras, nach einer aufregenden Woche so einen schönen Abend erlebt zu haben. „Es ist ganz toll, wen man hier alles trifft“, sagt sie. Auch mit politischen Widersachern haben sie gute und freundliche Gespräche geführt: „Das hilft vielleicht, wenn wir es in der Arbeitswoche wieder miteinander zu tun haben.“
Hagel oder Özdemir? Und wen hält Arbeitgeber-Metall-Präsident Stefan Wolf, der Strippenzieher, für den besseren Ministerpräsident für Baden-Württemberg? Seine Antwort: „Das ist eine ganz schwierige Frage. Beide haben ihre Qualitäten.“ Vom Grünen-Bashing, verehrter Herr Söder, ist in Stuttgart nichts zu spüren. Demokraten halten hier lieber zusammen.