Eva Illouz’ Stuttgarter Zukunftsrede Wie die digitale Moderne unsere Gefühle ausbeutet

Die düster-glamouröse Zukunft der Emotionen: Eva Illouz im Stuttgarter Rathaus Foto: Sebastian Wenzel

Im Herzen der Stadtgesellschaft, im Stuttgarter Rathaus, hat die Soziologin Eva Illouz in einer aufrüttelnden Zukunftstrede gezeigt, wohin es führt, wenn wir uns zu Tode liken.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Der große Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses ist voll besetzt, ebenso zwei weitere Räume, in die das Ereignis dieses Abends übertragen wird. Mit der aus Paris angereisten israelischen Soziologin und Emotionsforscherin Eva Illouz spricht ein Star des internationalen Wissenschaftsbetriebs, dessen Wirkung weit über den akademischen Tellerrand hinausreicht. Und es geht um etwas, das alle vielleicht noch essenzieller betrifft als die lokalen Angelegenheiten, die hier sonst verhandelt werden: unsere Zukunft.

 

Der erste, der vor einigen Jahren in Stuttgart eine Zukunftsrede gehalten hat, war der Schriftsteller Daniel Kehlmann. Er berichtete von seinen ernüchternden Schreibversuchen im Silicon Valley mittels einer Künstlichen Intelligenz. Doch wie schnell die Zukunft von der Vergangenheit eingeholt werden kann, zeigt sich daran, dass das, was er damals ausprobieren durfte, schon wieder unendlich weit von dem entfernt ist, was heute jeder mit Sprachmodellen wie ChatGPT anstellen kann.

Der begehrte Rohstoff der Gefühle

Eva Illouz, die nach dem chinesischen Dissidenten Liao Yiwu vor zwei Jahren die dritte Stuttgarter Zukunftsrede hält, versucht daher erst gar nicht, auf dem Zeitstrahl vorauszublicken, sondern verortet eine science-fictionhafte Zukunft bereits in der Gegenwart, deren Mittelpunkt wir bilden, genauer gesagt unsere Emotionen. Denn hier, wo man sich am weitesten entfernt wähnt vom Übergriff der Maschinen und künstlichen Intelligenzen, hat der moderne Technokapitalismus sein Zentrum eröffnet. „Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis dessen, was die Zukunft bereit hält“, sagt die in Paris und Jerusalem lehrende Wissenschaftlerin: „Wir sind gerade Zeugen einer beispiellosen Emotionalisierung des Selbst und der Technologie.“

Eine Grundfigur ihres Denkens ist die Zirkularität, in der unsere Gefühle einerseits von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Prozessen geprägt werden, um ihrerseits wieder auf diese zurückzuwirken. Im Informationszeitalter nimmt diese Kreisbewegung eine spezifische Form an, die Eva Illouz in ihrer Rede am Beispiel der Sharing Economy erläutert: Angenommen jemand nutzt seine Couch um fernzusehen, so ist er gewissermaßen der Konsument seines Sitzmöbels. Stellt er dieselbe Couch aber außerdem jemandem über eine Plattform wie Airbnb zur Verfügung produziert er gleichzeitig einen Wert. Dieses Ineinanderfallen von Konsum und Produktion macht sich der Technokapitalismus zunutze, und der begehrte Rohstoff der dabei zirkuliert sind unsere Gefühle.

Wer nun fürchtet, das Ganze könnte in eine voraussetzungsreiche akademische Vorlesung abheben, findet sich rasch auf dem Boden der nur allzu verständlichen Sprache des digitalen Alltagslebens wieder. Am Beispiel von Emojis, GIFs oder Stickern zeigt Eva Illouz wie selbstverständlich Gefühlsäußerungen mittlerweile einer nonverbalen, in digitale Plattformen integrierten Kommunikationsform anvertraut werden. Soziale Netzwerke sind für die Emotionsforscherin nichts anderes als Pipelines, die Gefühle transportieren, befeuert von einem nach oben gereckten Daumen oder entsprechenden Schaltflächen für andere vorgefertigten Gefühle. Die ansteckendste Wirkung im Kampf um die begehrte Aufmerksamkeit, Viralität, haben Botschaften der Empörung oder moralischen Entrüstung.

Eine wichtige Rolle in dem emotionalen Warenkreislauf, den die Zukunftsrede abschreitet, spielen Influencer. Sie geben sich selbst, ihr tägliches Leben und ihre Gefühle preis, um die Zahl ihrer Follower und damit ihren eigenen Wert zu maximieren. „Die Technologie hat die Macht, neue emotionale Verhaltensweisen hervorzurufen, die ihrerseits durch die wirtschaftliche Rendite, die mit dem Erregen von Aufmerksamkeit verbunden ist, ausgelöst werden.“

Eine für den Markt zugerichtete Subjektivität

Achtsamkeits- oder Meditationsapps versprechen unser Gefühlsleben wieder zu beruhigen und führen es gleichzeitig der durchkommerzialisierten digitalisierten Welt zu, die es im Zweifel aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Bis in die letzten Winkel wird es durchleuchtet, dank der Spuren die seine Reaktionen, Orientierungen im Netz hinterlassen, um politische oder kommerzielle Werbung passgenau auf Persönlichkeitsprofile auszurichten. In der Gaming-Sphäre schließlich verschwindet der Unterschied zwischen Simulation und Wirklichkeit, verschmelzen Gefühl und virtuelles Leben zu einer symbiotischen Einheit.

„Nie zuvor in der Geschichte waren Gefühle so vollständig in die Technologie integriert.“ In der so zugerichteten Subjektivität überschneiden sich verschiedene Logiken des Kapitalismus wie Werbung, Markenbildung, Quantifizierung, Standardisierung, um nur einige zu nennen. Die Nutzer halten mit ihrer unentgeltlich verrichteten affektiven Online-Arbeit einen Wirtschaftskreislauf von enormer Wertschöpfung aufrecht.

Bis hierher ist die Zukunftsrede eine luzide Gegenwartsdiagnose. Zur charakteristischen Arbeitsweise von Eva Illouz aber gehört, ihre Beweisführung an kulturellen Texten zu überprüfen. In diesem Fall an kurzen Clips aus der Netflix-Serie „Black Mirror“, die das Dargelegte in dystopischen Zukunftsszenerien entfalten: Beliebtheit als ein auf Menschen angewandter Like-Button, der sich in Werte eintauschen lässt, Authentizität als Spektakelware oder ein in Avatare ausgelagertes Sexleben.

Doch es gibt ein Mittel, dem drohenden Verlust realer Erfahrung, der animierten Einsamkeit und der fetischisierten Authentizität entgegenzuwirken. „Wir sollten darauf bestehen, dass unsere Gefühle unproduktiv sind“, appelliert Eva Illouz zum Schluss: „Um unsere Welt zu bewahren, müssen wir uns dagegen wehren, unser Selbst unaufhörlich arbeiten zu lassen.“ Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Kaum ist die Rede verklungen, werden die Handys gezückt, und die kleinen Emotionsfabriken im Taschenformat gehen wieder ans Netz.

Info

Termin
Am 6. Februar, 19.30 Uhr, stellt sich Eva Illouz moderiert von dem Politikwissenschaftler Felix Heidenreich im Literaturhaus Stuttgart Fragen aus dem Publikum.

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