Gemeindetagspräsident zu Finanzen Klamme Kommunen: Müssen Eltern bald mehr für die Kita zahlen?

Gemeindetagspräsident Steffen Jäger will Subventionen auf den Prüfstein stellen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Gemeindetagspräsident Steffen Jäger warnt: Das Finanzpaket des Landes hilft den Kommunen, langfristig können die Probleme aber nicht allein mit Geld gelöst werden.

Entscheider/Institutionen: Annika Grah (ang)

Gemeindetagspräsident Steffen Jäger mahnt seit Jahren, dass Aufgaben für Städte und Gemeinden ihre finanziellen Fähigkeiten überfordern. Im Interview sagt er konkret, wo es für die Kommunen besonders teuer wird: Bei den Kleinsten.

 

Herr Jäger, das Land hat ein Milliardenpaket geschnürt, um den Kommunen finanziell zu helfen. Sind Sie zufrieden?

Das ist ein wichtiges Signal in einer äußerst schwierigen Zeit für die Kommunalhaushalte. Die komplette Dramatik wird sich dadurch nicht auflösen.

Was bräuchte es stattdessen?

Wir können diese aus dem Ruder gelaufene Schere zwischen Aufgabenerfüllung und Finanzausstattung nicht dauerhaft über immer mehr Geld lösen, insbesondere nicht über eine höhere Staatsverschuldung. Wir müssen größere Reformen insbesondere auf der Bundesebene anstoßen, aber auch im Land.

Kommunen wie Holzgerlingen schaffen es immer noch, schuldenfrei zu werden.

Das überrascht mich nur bedingt, weil wir natürlich unterschiedliche Ausgangspositionen in einer sehr automobilgeprägten Region Stuttgart haben. 90 Prozent der Kommunen landesweit haben aber schon heute alle Rücklagen aufgebraucht. Auf Dauer haben wir ein erhebliches strukturelles Defizit in den kommunalen Haushalten. Bezogen auf 2024 sprechen wir von minus 3,1 Milliarden Euro.

Die CDU hat sich für eine Änderung der Schuldenbremse für das Land ausgesprochen. Die Idee ist: Das Land nimmt über die Konjunkturkomponente Schulden auf, um die Kommunen zu stützen. Würde das helfen?

Kurzfristig würde ich nicht ausschließen, dass wir das Instrument der Konjunkturkomponente auch für die kommunale Ebene brauchen. Auf Dauer können wir strukturelle Defizite, die nicht durch kommunalpolitische Entscheidungen, sondern durch Bundes- und Landespolitik begründet sind, nicht über Schulden finanzieren.

Was schlagen Sie vor?

Die kommunale Ebene erfüllt zwischen 80 und 85 Prozent der staatlichen Aufgaben zu einem großen Teil ohne eine adäquate Finanzausstattung. Es ist unumgänglich, dass die Kommunen einen deutlich höheren Anteil an den Gemeinschaftssteuern wie der Umsatzsteuer oder Einkommenssteuer erhalten, bis eine grundlegende Reform greift. Diese Reform ist dringend notwendig. Wir stellen auf allen staatlichen Ebenen fest, dass das verfügbare Geld nicht mehr für das reicht, was versprochen ist. Die Bundesrepublik Deutschland lebt seit Jahren über ihre Verhältnisse, weil sie ihren Bürgerinnen und Bürgern mehr Leistungen zugesagt hat, als sie zu finanzieren imstande ist. Wir haben in den 2010er-Jahren höchste Steuereinnahmesteigerungen gehabt und trotzdem ist in dieser Zeit bis heute ein kommunaler Investitionsrückstand von 216 Milliarden Euro aufgelaufen, weil die höheren Einnahmen in neuen Aufgaben gebunden wurden.

Auf was könnte man verzichten?

Da geht es um die Frage, welche Subventionen können wir uns noch leisten? Ich denke an Dieselsubventionen. Ist das noch eine adäquate staatliche Steuerung, wenn Konsens herrscht, dass wir möglichst wenig CO2 emittieren wollen? Vor allem haben die Sozialausgaben zwischenzeitlich eine Dimension angenommen, bei der wir nicht einmal mehr in guten wirtschaftlichen Jahren hinterherkommen.

Welche Bereiche meinen Sie konkret?

Da geht es um die Eingliederungshilfe, das Bundesteilhabegesetz, die Jugendhilfe und die frühkindliche Bildung. Der Kita-Bereich ist der Teil, der heute schon am stärksten subventioniert wird. Ungefähr jeder sechste bis siebte Euro geht in die frühkindliche Bildung.

Sie wollen bei den Kitas kürzen?

Wir wollen diese Aufgabe nicht komplett infrage stellen, aber wir müssen fragen, wie wir diese Aufgaben so erfüllen, dass sie auch auf Dauer finanzierbar sind. Wir müssen die Frage stellen: Welche Standards können wir uns leisten und ab wann kann eine solche Leistung auch in Anspruch genommen werden?

In Baden-Württemberg gibt es schon den Erprobungsparagrafen, der die Absenkung von Standards in Kitas erlaubt.

Trotz der Flexibilisierungsmöglichkeiten gehört Baden-Württemberg nach wie vor zu den führenden Bundesländern, wenn es um die Frage geht, wie viele Fachkräfte bezogen auf die Kinderzahl in den Einrichtungen arbeiten. Wir können sicher darüber reden, wie wir Standards noch pauschaler einfacher machen können. Aber wir werden natürlich auch darüber sprechen, ob Eltern stärker zur Mitfinanzierung herangezogen werden müssen. Wenn wir einfach nüchtern die Kostenentwicklung angesichts von Tarifabschlüssen und Energiepreisentwicklungen betrachten, sprechen wir von Steigerungen von sieben bis neun Prozent. Natürlich kann da das Einkommen eine Rolle spielen.

Was sind denn aus Ihrer Sicht die überflüssigsten Aufgaben in Kommunen, auf die man sofort verzichten könnte?

Ich glaube, da muss man tatsächlich Subventionen und Kleinstförderprogramme anschauen, die einen hohen bürokratischen Aufwand mit sich bringen.

Was würde sonst passieren?

Wir sind rechtlich gezwungen, uns auf die übertragenen Pflichtaufgaben fokussieren. Das passiert zunächst mal im Kleinen, wenn sich die Frage stellt, wann kann ich eine Straße sanieren, wann kann ich eine Halle sanieren? Wann komme ich dazu, mein Schulgebäude neu zu bauen? Dann leiden sehr schnell die freiwilligen Leistungen. Da reden wir dann über Freibäder, über Hallenbäder, sofern sie nicht für den Schulbetrieb erforderlich sind. Wir reden über Vereinsförderung und das Bereitstellen von Sportstätten, die nicht für die Schulbetriebe erforderlich sind. Ich glaube, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind solche Themen durchaus relevant. Darüber hinaus werden Zukunftsaufgaben wie der Klimaschutz vielleicht nicht mehr mit der notwendigen Kraft angegangen werden können, aber auch neue Herausforderungen wie der Bevölkerungsschutz.

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