Der Schriftzug ist abgedeckt – das ehemalige Krankenhaus vom Roten Kreuz in Bad Cannstatt ist schon seit mehr als einem Jahr geschlossen. Zukünftig soll es als forensische Psychiatrie genutzt werden. Foto: /Sebastian Steegmüller
Seitdem bekannt ist, dass im ehemaligen Rot-Kreuz-Krankenhaus psychisch kranke Straftäter behandelt werden sollen, sorgen sich manche Bürger in Bad Cannstatt um ihre Sicherheit.
Eine Bürgerpetition, die im November gestartet wurde, erhielt bis heute 1194 Unterschriften. Darin heißt es, dass die Behandlung psychisch kranker Straftäter „nicht auf Kosten der Sicherheit und des Wohlbefindens einer Gemeinschaft“ gehen dürfe. Was ist dran an den Bedenken? Gefährdet die forensische Psychiatrie wirklich die Sicherheit der Anwohner im Umfeld des Cannstatter Krankenhauses?
Sozialministerium sieht keine erhöhte Gefahr
Fakt ist, dass im ehemaligen Rot-Kreuz-Krankenhaus bis zu 80 Personen im Maßregelvollzug untergebracht werden sollen – also Straftäter, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder Sucht nicht schuldfähig sind. Das Ministerium hat mittlerweile reagiert und einen Bürgerbeteiligungsprozess gestartet. Unter anderem findet am 5. Mai eine öffentliche Informationsveranstaltung im Cannstatter Kursaal statt.
Ändern wird das an den Plänen allerdings nichts, die Entscheidung für die Einrichtung der Psychiatrie ist gefallen. Laut dem Sozialministerium, besteht für die Anwohner aber keine höhere Gefährdung durch die dort untergebrachten Patienten. „Strafrechtliche Zwischenfälle, zumal schwerwiegendere, sind selten. Für eine regionale Häufung im Umfeld von forensischen Kliniken liegen keine Hinweise vor“, sagt eine Ministeriumssprecherin. Ein Blick in die Statistik bestätigt das: Derzeit sind landesweit 1620 Personen im Maßregelvollzug untergebracht. Im Jahr 2022 flohen nach Auskunft des Sozialministeriums 74 Patienten, 49 von ihnen konnte die Polizei wieder auffinden. Im Jahr darauf waren es 64 Fluchten, wovon 41 zurückgeführt wurden. Die Zahlen stehen im Verhältnis zu jährlich rund 200 000 Lockerungsmaßnahmen. Dazu zählen Ausgänge mit und ohne Aufsicht.
Nur wenige Straftaten bei Fluchtversuchen
Auch die Anzahl an Straftaten, die während dieser „Entweichungen“ begangen wurden, sind niedrig. 2022 kam es zu vier strafrechtlichen Zwischenfällen, davon waren zwei Eigentumsdelikte und zwei Körperverletzungsdelikte. Im Jahr 2023 war es sogar nur ein strafrechtlicher Zwischenfall – der war dafür aber besonders schwerwiegend.
Tod einer Passantin erregt die Gemüter
Im September 2023 war in Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis) ein 33-Jähriger nach drei Jahren im Maßregelvollzug aus der Psychiatrie entflohen. In der Innenstadt stach er eine 30-jährige Passantin nieder, die kurz darauf ihren Verletzungen erlag. Der Vorfall löste auch eine politische Debatte über das Sicherheitskonzept in forensischen Psychiatrien aus. Das Sozialministerium weist allerdings darauf hin, dass es sich um das einzige Tötungsdelikt handelt, das in den vergangenen 20 Jahren während eines Lockerungsmissbrauchs festgestellt wurde.
Das Gebäude an der Badstraße liegt gegenüber der Wilhelma – und damit in einer sehr belebten Umgebung. Deswegen gibt es Kritik an der Entscheidung. Foto: Andrea Eisenmann
Sind die Cannstatter also zu Recht „mehr als verunsichert“, wie es in dem Petitionsschreiben steht? Udo Frank, Leiter des Zentralbereichs Maßregelvollzug des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg, hat Verständnis für die Sorgen, teilt die Bedenken der Anwohner aber nicht. Im Gegenteil: „Ich halte die forensische Psychiatrie sogar für eine bessere Art der Behandlung und Unterbringung für die dort eingewiesenen psychisch kranken Straftäter. Wenn die Behandlung greift, sind diese Menschen im Anschluss deutlich weniger gefährdet, rückfällig zu werden, als Menschen aus dem Justizvollzug.“ Zudem weist er darauf hin, dass nur Patienten nach Bad Cannstatt verlegt werden sollen, die bereits die Hälfte ihrer Behandlung hinter sich haben: „Nur diejenigen, die schon Fortschritte gemacht und sich als stabil erwiesen haben, kommen nach Bad Cannstatt. Alle, die keine Behandlungsfortschritte gemacht haben, bleiben in Ravensburg.“ Im Ravensburger Ortsteil Weißenau befindet sich einer von derzeit neun Standorten für forensische Psychiatrie, die vom ZfP Südwürttemberg betrieben werden.
Nur fortgeschrittene Patienten kommen nach Bad Cannstatt
Auch Sorgen wegen der in Bad Cannstatt geplanten offenen Stationen teilt Frank nicht. Offene Station heiße nicht, dass jeder nach Belieben kommen und gehen könne. Vielmehr finde „eine enge soziale Kontrolle“ statt. Dazu komme, dass die künftigen Patienten heute teilweise schon auf offenen Stationen leben. Dort zeige sich, dass diese Art der Unterbringung kaum missbraucht werde: „Jeder Patient weiß, wenn er geht, dann heißt das zurück auf Anfang. Denn raus kommt nur, wer sich lange Zeit bewährt hat.“