Gastronomie in Bad Cannstatt Weinstube am Stadtgraben insolvent, Neustart in Zermatt

Sebastian Ludwig in der Weinstube am Stadtgraben – im Jahr 2021. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Sebastian Ludwig arbeitet nun als Restaurantleiter in einem Schweizer Hotel. Seine Weinstube am Stadtgraben in Stuttgart-Bad Cannstatt musste er aufgeben. Sein Fall ist ein Paradebeispiel für die Probleme der Branche.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Vor dem Dienstbeginn kann Sebastian Ludwig jetzt seine Trailschuhe schnüren. „Ich bin ein begeisterter Bergläufer und Bergwanderer“, sagt der Stuttgarter Gastronom. An seinem neuen Arbeitsplatz hat er das Matterhorn im Blick. Denn die Weinstube am Stadtgraben in Bad Cannstatt musste der 56-Jährige Mitte Oktober schließen. Die Insolvenz kam schleichend und war dann nicht mehr aufzuhalten. Es ist zu viel passiert: erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine und „diese atemberaubende Inflation“ und schließlich „der Todesstoß“, die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf den alten Satz von 19 Prozent. Die Gäste wurden sparsamer, feierten auch kaum noch Familienfeste im Restaurant, die Firmen strichen Geschäftsessen. „Ich musste einen ganz harten Schnitt machen, der mir nicht leicht fiel“, sagt Sebastian Ludwig.

 
Die Weinstube am Stadtgraben befindet sich mitten in der Altstadt von Bad Cannstatt.

Vor 16 Jahren hat der Koch die Weinstube am Stadtgraben übernommen, zuvor betrieb er drei Jahre lang den Adler in Untertürkheim. Bis zur Pandemie stiegen Umsatz und Gewinn kontinuierlich. Dass er nach so langer Selbstständigkeit am Ende kaum über die Runden kam, war umso frustrierender. „Um ein Restaurant zu führen, muss man Betriebswirt sein“, lautet seine Erkenntnis. Zum Teil scheiterte Sebastian Ludwig nämlich auch an seinen Werten. Den Mitarbeitern erhöhte er wegen der Inflation die Löhne. Während sie in den Urlaub fuhren, konnte er sich Reisen nicht mehr leisten. Ein Berater empfahl ihm, günstigere Fertigprodukte einzusetzen, an der Qualität wollte er jedoch nicht sparen. Und noch mehr für den Zwiebelrostbraten verlangen? Das brachte er angesichts der Kritik im Internet, dass es bei ihm zu teuer sei, nicht übers Herz.

Von der Weinstube am Stadtgraben ins krisenfreie Zermatt

Sebastian Ludwig geht nicht davon aus, dass sich die Lage für die Gastronomie in nächster Zeit entscheidend ändert. Deshalb wagt er einen Neustart – und stellte erstaunt fest, dass er mit seinen 56 Jahren in der Branche nicht aufs Altenteil geschoben wird. Bei einem Schlosshotel in der Nähe von Wiesbaden bewarb er sich, an der Ostsee, beim Wilden Kaiser in Österreich und eben in der Schweiz.

Für Zermatt entschied er sich, weil dort meistens blauer Himmel ist und die Sonne scheint, „das motiviert“. Weil das Gehalt stimmt und die Hotels „unbetroffen von irgendwelchen Krisen“ und die Restaurants voll sind. Als Restaurantleiter im Hotel Alpen Resort und Spa mit seinen zwei Lokalen und einem Pub müsse er zwar auch hart arbeiten und genau so viele Entscheidungen wie in seiner Weinstube treffen und die Mitarbeiter anspornen. Aber für die Zahlung der Löhne und den ganzen Rest sei er halt nicht mehr zuständig.

„Jedes Mal überraschend, jedes Mal lecker, jedes Mal ein Erlebnis“, hat im September noch ein Gast über seinen Besuch in der Weinstube am Stadtgraben im Internet geschrieben. Beim Portal Trip Advisor zählte sie jahrelang zur Top Ten der Stuttgarter Restaurants. „Supernettes Personal“ heißt es immer wieder. Im Nachhinein fragt sich Sebastian Ludwig allerdings, ob das Lob nicht „zur Agonie beigetragen“ habe. „Eine Weinstube betreibt man, weil es Spaß macht, und deshalb hält man länger durch, als man sollte“, sagt er. Am 2. Dezember wird in Stuttgart das Insolvenzverfahren eröffnet, nur dem Finanzamt schuldet er noch Geld. Danach ist das Thema Selbstständigkeit für Sebastian Ludwig abgeschlossen: Dass die Politik Großunternehmen helfe, aber die kleinen und mittleren Betriebe mit neuen Auflagen und neuen Steuern belaste, „das will ich nicht mehr mitmachen“.

Weniger Stammgäste, mehr internationales Publikum in Zermatt

Zermatt ist wie eine andere Welt. Rund 5500 Einwohner hat der Ort am Fuße des Matterhorns und 40 000 Touristen. Viel weniger Stammgäste bedient Sebastian Ludwig im Alpen Resort und Spa, es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Auf Spanisch, Portugiesisch, Italienisch und Englisch kommuniziert er mit seinen Mitarbeitern und Kollegen, von denen viele vor Dienstbeginn auch in die Berge gehen – zum Wandern oder Skifahren. „Ich bin optimistisch, dass es passt“, sagt er. Wenn es weiterhin gut läuft, wird seine Frau in die Schweiz nachkommen.

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