Nach öffentlicher Kritik hatte sich der Schweizer Peter Fratton als Schulberater des Landes verabschiedet. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) relativiert nun dessen Rolle bei den baden-württembergischen Schulreformen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war ein Abgang wie aus dem Lehrbuch für Polit-PR. Noch hatte die Diskussion über den Schweizer Bildungsunternehmer Peter Fratton gar nicht richtig Fahrt aufgenommen, da zog er auch schon Konsequenzen. Aufsehen erregte vor allem ein Gastbeitrag in der FAZ, in dem sich zwei Wissenschaftler über Frattons Schlüsselrolle als Berater des Kultusministeriums beim Projekt Gemeinschaftsschule wunderten. „Warum wird eine ganze Schulreform auf solche Lehren aufgebaut?“, fragten Matthias Burchardt von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und ein Co-Autor. Die Thesen des Eidgenossen vom selbst gesteuerten Lernen mit Lehrern als Lernbegleitern „dürften einem wissenschaftlichen Diskurs kaum standhalten“. Es sei „eine krude Mischung aus Antipädagogik und Konstruktivismus“, was da als Grundlage für ein „sozialpsychologisches Großexperiment“ diene.

 

Beim Reizthema Gemeinschaftsschule drohte dem Kultusminister Andreas Stoch (SPD) damit eine unliebsame Debatte über den von seiner Vorgängerin übernommenen Berater. Doch Fratton nahm sich binnen weniger Tage selbst aus der Schusslinie. Erst bat er bei Stochs Amtschefin um seine Entpflichtung. Er sei „Lehrer und kein Politiker“ und „(partei-)politisch motivierten Diskussionen“ wolle er sich nicht aussetzen. Dann gab er zwei große Interviews, in denen er seinen Rückzug in indignierter Tonlage mit angeblichen Attacken der CDU begründete; als Schweizer habe er eine derart konfrontative Opposition nicht gekannt. Ziemlich defensiv begegnete der 64-Jährige hingegen dem Vorwurf, seine Thesen seien unwissenschaftlich. „Ich will das gar nicht widerlegen“, sagte er der StZ. „Ich bin tatsächlich der Praktiker.“

„Schulreform nicht von Einzelnen abhängig“

Der Kronzeuge für die neue Lernkultur reicht seine Kündigung ein – das wertete die CDU als „schweren Rückschlag“ für die Regierung. Doch Minister Stoch schien darüber gar nicht so unglücklich zu sein: Er bedauerte einerseits den Schritt Frattons, „der ein guter Ratgeber war“, relativierte aber zugleich dessen Rolle; die Einführung der Gemeinschaftsschule sei „nicht von einzelnen Personen abhängig“. Auch sprachlich setzte er sich von dem Schweizer ab: dessen Begriff vom Lehrer als „Lernbegleiter“ verwende er „ungern“, weil der eine übertriebene Symbolik erhalten habe.

Fratton war und ist nicht so wichtig – das ist auch der Tenor zweier ausführlicher Stellungnahmen, mit denen Stoch dieser Tage Anfragen von CDU und SPD beantwortete. Kontakte zum Kultusressort, schickte er voraus, gebe es bereits seit zehn Jahren: Schon Ministerin Annette Schavan und ihr Staatssekretär Helmut Rau (beide CDU) hätten 2003 Frattons Schule in Romanshorn besucht und „großes Interesse an dem pädagogischen Konzept gezeigt“. Offizieller Berater des Ministeriums wurde der Schweizer indes erst 2011 unter Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD).

Pädagogische Urbitte würden falsch verstanden

Ihr Nachfolger ist nun sichtlich um Distanz bemüht. Frattons umstrittene „pädagogische Urbitten“ (Bringe mir nichts bei …, erkläre mir nicht …, erziehe mich nicht …, motiviere mich nicht …), versichert er etwa, seien nicht Grundlage der Gemeinschaftsschule. Die provokativ gemeinten Aussagen würden ohnehin „von einem großen Teil der Bevölkerung falsch verstanden“. Auch seien die nach Frattons Konzept arbeitenden Schulen – weder in Romanshorn noch die Freie Schule Anne-Sophie in Künzelsau – mitnichten eine Blaupause fürs Land: man strebe „keine Kopie der erwähnten Schulen an“, heißt es in der Antwort an die CDU. Das fände deren Bildungsexperte Georg Wacker auch unangebracht: Fratton habe „keineswegs belegt, dass eine individuelle Förderung an seinen Schulen besser gelingt“ als in den bestehenden; diese zeigten vielmehr „besondere Schwächen“.

„Absolute Transparenz“ fordert Wacker hinsichtlich der Vereinbarungen zwischen dem Kultusministerium und Fratton. Diese Frage könne man aus Datenschutzgründen nur in einem Extrabrief beantworten, hieß es in der Stellungnahme. Fratton selbst hatte geschrieben, er habe die „Arbeit für das Land unentgeltlich gemacht“ – abgesehen von 2000 Euro, die er als Mitglied der Expertenkommission zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung erhalten habe. In die von ihm konzipierte und geleitete Qualifizierung von Lernbegleitern sind freilich wesentlich mehr Landesmittel geflossen.

Kurse für Lernbegleiter an Würth-Schule

Insgesamt 120 Lehrer konnten die „Starterschulen“ dazu in drei Kurse an die Anne-Sophie-Schule schicken. Einen der Kurse finanzierte die Würth-Stiftung als Fördererin der Schule, der Fratton bereits seit 2007 als „pädagogischer Begleiter“ dient. Man habe sich engagiert, weil „wir die Idee der Gemeinschaftsschule unterstützen“, sagt die Konzernsprecherin. Der offiziell nicht bestätigte Betrag: 48 000 Euro. Die beiden anderen Kurse (Kosten zusammen gut 90 000 Euro) wurden nach Angaben des Kultusministeriums „aus Mitteln der amtlichen Lehrkräftefortbildung“ bezahlt. Das Geld sei an die Stiftung Würth geflossen, unter anderem zur Honorierung der Projektleiter – „neben P. F. noch zwei weitere Personen“.

Keine Vertragsbeziehungen gebe es hingegen zu Frattons Ehefrau, versicherte das Kultusressort auf Fragen von SPD und CDU. Der Hintergrund: Doris Fratton ist Innenarchitektin und hat sich auf die Gestaltung von Lernräumen spezialisiert – des „dritten Pädagogen“, wie ihr Mann die Wichtigkeit der Lernumgebung betont. Bei Gegnern der geplanten Gemeinschaftsschule in Bad Saulgau löste diese Konstellation Misstrauen aus. Gebe es da doppelte geschäftliche Interessen, wurde gefragt. Bei den Anne-Sophie-Schulen in Künzelsau und Berlin, bestätigt die Stiftungssprecherin, sei Frattons Frau in der Tat „für die Innenarchitektur verantwortlich“.

Verbindung zu weiterem Bildungs-Akteur

Bezüge zu Fratton gibt es übrigens auch bei einem weiteren Baustein des Konzepts für die Gemeinschaftsschule: der Qualifizierung von Fachberater-Tandems an der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen. Kooperationspartner dort sind die Pädagogische Hochschule Freiburg und das Schweizer Institut Beatenberg, das ebenfalls „selbstkompetentes Lernen“ propagiert. Dessen Gesamtleiter Andreas Müller saß zusammen mit Fratton einige Jahre im Verwaltungsrat der Impact Lern AG in Winterthur. Lernbegleiter und Fachberater gehörten eng zusammen, erläuterte das Kultusressort bereits vor einem Jahr: „Herr Fratton und Herr Müller stimmen die jeweiligen Konzepte aufeinander ab.“