Bei einer Anhörung im Landtag ist der Bestandsschutz für illegal erstellte Bauten kein wichtiges Thema. Die neue Landesbauordnung gefährdet die Urbanisierung des Leonhardsviertels.

Das „Gesetz für das schnelle Bauen“, wie die grün-schwarze Landesregierung ihre Reform der Landesbauordnung (LBO) nennt, dürfte bald verabschiedet werden, ohne dass auf die gravierenden Bedenken des Städtetags und der Stadt Stuttgart wegen des geplanten Bestandsschutzes für illegal erstellte Gebäude eingegangen worden wäre. In einer Anhörung im Ausschuss für Landesentwicklung und Wohnen haben sich die meisten externen Fachleute auf die Änderungsvorschläge von Ministerin Nicole Razavi (CDU) beim aktiven Bauen gestürzt. Es ging um Stellplatzreduzierungen, die rasche Baugenehmigung bei ausbleibendem behördlichem Widerspruch, und um die Frage, ob sich osteuropäische Betonbauer mit Meisterbrief hierzulande als Architekten betätigen dürften.

 

Nach der Anhörung gleich Zustimmung

Hätten sich die Repräsentanten der Stuttgarter Stadtverwaltung etwas von dieser Anhörung versprochen, in der lediglich der Vorsitzende des Mieterbunds Baden-Württemberg, Rolf Gaßmann, auf die die Planungshoheit der Kommunen gefährdende Ergänzung in der LBO verwies, wären sie bitter enttäuscht worden.

Denn auch die Abgeordneten schienen die Problematik nicht vollständig durchdrungen zu haben. Dass die Ausschussvorsitzende Christiane Staab (CDU) bereits einen Tag später die Zustimmung zum Durchwinken der LBO-Reform verkündete, verwunderte im Rathaus niemanden. Man sei daran gewöhnt, dass der Rat von Praktikern ignoriert wird.

Auch auf der Parteienschiene läuft nichts: Baubürgermeister Peter Pätzold und die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte, Veronika Kienzle, drangen bei ihren grünen Freunden in der Landesregierung nicht durch. Die sich 2008 nach einer Harakiri-Aktion bei der Listenaufstellung zur Bundestagswahl zum Rücktritt vom Stuttgarter Kreisparteivorsitz veranlasst gesehene Andrea Lindlohr ist als Staatssekretärin im Bauministerium beim Kampf der Stuttgarter gegen den Bestandsschutz für Illegales offensichtlich keine Hilfe.

SPD-Abgeordnete fordert Auskunft

Die Stuttgarter SPD-Abgeordnete Katrin Steinhülb-Joos wandte sich nun dennoch mit einer Kleinen Anfrage an das Land, um zu erfahren, warum die Grünen und die CDU illegal agierenden Bauherren den roten Teppich ausrollen. Vor allem wolle sie wissen, wie es sich mit Bestand und Ausdehnung der Prostitution im Leonhardsviertel verhalten werde. Die Stadt Stuttgart hat mit dem kürzlich beschlossenen Bebauungsplan im Sinn, dort Bordelle und bordellartige Betriebe sowie Wettbüros und Spielhallen zu untersagen. Grün-Schwarz mache ihr mit der LBO einen Strich durch diese Rechnung, klagt die Stadtverwaltung.

Baurechtsamtsleiterin Kirsten Rickes teilte der SPD-Abgeordneten nun mit, dass es der Landesregierung „um nichts weniger als ein Aushebeln der kommunalen Planungshoheit“ gehe. Werde ein Bauantrag gestellt, der den Planungszielen widerspreche, so Rickes, habe eine Kommune heute die Möglichkeit, den Antrag mit Verweis auf ein laufendes Bebauungsplanverfahrens zurückzustellen, sofern er den Zielen zuwiderliefe. Damit sind – etwa wie im Leonhardsviertel – Bordelle gemeint oder wie in der gesamten Stadt Spielhallen und Wettbüros. Sobald ein Bebauungsplan verbindlich werde, könne der zurückgestellte Antrag dann abgewiesen werden.

Illegales wird belohnt

Ministerin Nicole Razavi wolle aber illegal handelnde Bauherren belohnen, indem sie ihnen gestattet, die kommunale Planungshoheit zu unterlaufen. Und zwar, indem die Bauherren „quasi unter dem Radar rechtswidrig eine bauliche Anlage errichten oder seine Nutzung ändern“. Da die Kommune davon unter Umständen nichts erfahre – denn wer kontrolliert in dieser großen Stadt schon jede Gewerbefläche –, könne sie im Bebauungsplanverfahren den Antrag nicht zurückstellen, da es gar keinen gibt. Somit würden „Fakten geschaffen, die dann aufgrund der zukünftigen Regelung Bestandsschutz erhalten“.

Die Gesetzesänderung werde also allen Kommunen in Baden-Württemberg eine der im Bundesgesetz genannten Möglichkeiten zum präventiven Verhindern unerwünschter Nutzungen nehmen, beklagt die Stadtverwaltung. Oder vereinfacht ausgedrückt: Der Ehrliche ist der Dumme, wer illegal baut, wird belohnt.

Stuttgart in misslicher Lage

Katrin Steinhülb-Joos kontert die Antwort der Regierung auf ihre Anfrage mit dem Hinweis, diese „sollte bestrebt sein, eine passende Lösung für alle Beteiligten zu schaffen und die offenen Fragen beim Bestandsschutz zu klären, anstatt Fragezeichen zu hinterlassen“. Dass es noch zu einem „Austausch zwischen Land und Stadt“ kommt, „um kritische Punkte zu identifizieren und eine zufriedenstellende Lösung für das Viertel sowie die Personen, die dort leben und arbeiten, zu finden“, ist aber unwahrscheinlich. Dass die Regierung Gesprächen bisher ausgewichen sei, ist für Steinhülb-Joos „eine Haltung, die Stuttgart und womöglich auch andere Regionen in eine missliche Lage bringt“.

Gerichte urteilen komplett anders

Über die Idee, auch solchen Bauten einen Bestandsschutz einzuräumen, die ohne Genehmigung niemals hätten erstellt werden dürfen, wundert man sich in den Kommunen, weil sie der Rechtsprechung im Bundesgebiet widerspricht – und des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Mannheim, der lange die exklusive Haltung vertrat, die nun Grün-Schwarz reanimieren will – nämlich, dass man eine ohne Bauantrag erstellte Anlage später nicht mehr untersagen darf, wenn sie seinerzeit hätte genehmigt werden müssen. 2020 war der VGH aber zur Einsicht gelangt, dass es ohne Baugenehmigung keinen Bestandsschutz geben und man die Nutzung deshalb untersagen könne. Ministerin Razavi sagt dazu lediglich: „Das Urteil ist der Landesregierung bekannt.“