Informationen im Internet Die Verdummungsmaschine

Nachrichtenportale sind auf dem Smartphone nur eine Option unter vielen anderen Versuchungen. Foto: dpa/Yui Mok

Die Art und Weise wie wir Nachrichten aufnehmen, hat sich im Internetzeitalter radikal verändert – mit langfristig verheerenden Folgen für Gesellschaft und Demokratie.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Alle reden von Russland-Trollen und Elon Musks Pöbeleien auf X. Doch der Internet-Weltsalat beginnt mit einem Wisch auf dem Smartphone. Discover, also „Entdecke“, heißt der Nachrichtenüberblick, der automatisch auftaucht, wenn man die Suchmaske aufruft. Hier werden laut Google den Nutzern „auf Grundlage ihrer Web- und App-Aktivitäten Inhalte angezeigt, die ihren Interessen entsprechen“.

 

Algorithmen verquirlen die Realität

Zufällige Stichprobe an einem Nachmittag: „Nachwuchs bei Eisbären im Karlsruher Zoo.“ – „So viel Schlaf braucht man je nach Alter.“ Eine Tabelle zur „Netto-Einkommensanpassung 2025“ – was auch immer das ist – „zeigt die Gewinner.“ Sandra aus der Trash-Doku eines privaten Fernsehsenders hat vom Bürgergeld einen Wohnwagen gekauft. Dann die Frage: „Backofen ewig nicht mehr geputzt?“ und die triste Meldung: „Berühmtes Weihnachtshaus ist dunkel: Der Grund ist traurig.“ An Position sieben taucht erstmals unsere Zeitung mit einer Meldung auf: Ein elfjähriges Mädchen wurde von einer Stadtbahn mitgeschleift. Erst weit hinten an Position 21 steht der erste Text, den man im weitesten Sinne als politisch bezeichnen könnte. Hinter der auf Klicks zielenden Zeile: „Diese Kultur passt nicht zu uns“ steht ein Bericht über kriminelle Clans in Deutschland.

Kraut und Rüben. Äpfel und Birnen. Das ist es, was der Google-Algorithmus für das interessierende Bild der Welt hält? Da ist kein Trost, dass schon Minuten später die Meldungen neu umgerührt werden. Wer mit seinem Text von Discover erwählt wird, kann dabei zum Klick-Sieger des Tages werden. Ohne dass man begreift warum.

Ob Qualitätsmedium oder billige Content-Schleuder – alle sind gleich. Im Gegensatz zur Google-Suchmaschine, für die man mittels Suchmaschinen-Optimierung (SEO) nach halbwegs bekannten Kriterien den Content passend machen kann, ist Discover eine Blackbox. Und so spiegelt gerade dieser eher wenig beachtete Nachrichtenfilter ein tieferes Problem als die oft diskutierte, gezielte Manipulation im Netz: Er zeigt, wie undurchschaubare Algorithmen das Bild der Wirklichkeit demolieren. Sie bieten keine Ideen, keine Orientierung, keine Struktur.

Das Publikum, dem sie hinterherhecheln, ist launisch. Was an einem Tag interessiert, langweilt am nächsten. Und so wird Wichtiges und Unwichtiges, Tiefgründiges und Banales, Langes und Kurzes verquirlt. Natürlich sortieren immer auch noch Redakteurinnen und Redakteure ihr Angebot. Doch immer weniger Nutzer stoßen auf strukturierte Webseiten. Sie müssen über soziale Medien, Suchanfragen oder eben Discover erst eingefangen werden. Angesichts einer immer kürzeren Aufmerksamkeitsspanne hat man dafür nur Sekunden.

Undurchschaubare digitale Türhüter

Und so bleibt Journalisten nichts anderes übrig, als über die Stöckchen zu hüpfen, welche die digitalen Türhüter von Google bis Tiktok ihnen hinhalten. Redakteure klonen zum Beispiel „Nachdreher“ zu Themen, weil das die Suchmaschine liebt – bis jeder Trend zu Tode gemolken ist. Sie formulieren Dachzeilen und Schlagworte weniger mit Blick auf Menschen, sondern getrieben von digitalen Spielregeln. Wie einst nur die Boulevardpresse mit schreienden Überschriften für den Straßenverkauf, müssen heute alle um die Laufkundschaft im Netz kämpfen.

Im Internet muss eine Information heute verkauft werden wie jedes andere Produkt. Worauf springen die Leute an? Wenn man auf Klickbilanzen blickt, ruiniert dies das Menschenbild. „Die Algorithmen belohnen Inhalte, die Aufmerksamkeit und Verweildauer maximieren. Es gilt: Was die Gemüter erregt, fördert Interaktionen, erhöht die Nutzungszeit und steigert so die Werbeerlöse“ schreibt der Kartellrechtler Thomas Höppner in einem Essay für den Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV): „Extreme Positionen an den Rändern bekommen mehr Aufmerksamkeit und damit Einfluss auf die Meinungsbildung als ausgewogene und konsensfähige Positionen in der Mitte der Gesellschaft.“ Fatale Folge: „ Die Gesellschaft erscheint zersplitterter, aufgeheizter und aggressiver, als sie tatsächlich ist.“

Medien sind nicht nur Opfer

In einem Gespräch mit der „New York Times“ zur Frage, warum sich die USA so polarisiert haben, sagte der Satiriker Jon Stewart („Daily Show“) dass Medien nicht nur Opfer, sondern auch Täter sind. Das sei die Logik des Kapitalismus: „Und zwar Kapitalismus im Sinne der Frage, wie ziehe ich den größten Profit daraus, die Leute bei der Stange zu halten? Und es stellt sich heraus, dass Furcht und Wut und Hass und Empörung sich dabei am meisten auszahlen.“

Es ist deshalb eine Illusion, man müsse nur die gezielten „Fake News“ besser in den Griff bekommen, dann entstehe wieder eine demokratische Öffentlichkeit. Nicht nur der Missbrauch der digitalen Nachrichtenwelt ist das Problem, sondern der innerste Kern, wie sie funktioniert. Diese Funktion bereitet erst den Boden dafür, dass Manipulationen funktionieren. Das moderne Informations-Ökosystem fördert das Desinteresse am Denken. Man konsumiert nur, was mundet und leicht verdaulich ist. Viele Menschen empfinden dies als Ende einer elitären Bevormundung. Und deshalb müssen sich Journalisten selbstkritisch fragen: Haben sie dazu beigetragen, dass man ihnen nicht traut? Etwa durch schlechtes Handwerk wie eine fehlende Trennung zwischen objektiven Nachrichten und subjektiver Meinung?

Schleichend wie der Klimawandel

Noch scheinen die meisten Medien-Traditionsmarken an der Oberfläche stabil. Es gibt noch überall in Deutschland Tageszeitungen, auch online. Doch in der Fläche, dort wo sie unersetzlich sind, erodiert ihr Geschäftsmodell, trotz aller Anstrengungen im Netz. Bei diesem Prozess kommt einem ein Vergleich mit dem Klimawandel in den Sinn. Das Abschmelzen ist schleichend. Es dauert, wenn man vom Start des Masseninternets ausgeht, nun schon drei Jahrzehnte.

Es gibt nur deshalb noch keinen weithin sichtbaren Kollaps, weil Menschen, die vor dem Smartphone groß geworden sind, traditionellen Medien die Treue halten. Doch bei Jüngeren wartet wohl eine Abbruchkante wie beim Grönlandeis. Die Erosion des politischen Diskurses, die Anziehungskraft von Vereinfachern, das hat mit diesem langsamen Abschmelzen zu tun. Wir sind gefangen in einer Verdummungsmaschine. Und als Journalist hat man zunehmend das ungute Gefühl, zu deren Komplizen zu werden.

Doch immer noch wird zu wenig über die fundamentalen gesellschaftlichen Folgen diskutiert. Traditionelle Medien wollen nicht ihre eigene Krise an die Wand malen. Auch Unternehmen und Politiker halten gerne den Mund. Für sie waren kritische Journalisten eh lästig. Nun können sie ihre Botschaften selber digital verbreiten. Und machtbesessene Zyniker wie Donald Trump, Elon Musk oder auch Wladimir Putin wittern die Chance, eine neue, für ihre Manipulationen bereite Medienwelt aufzubauen.

Verdrängte Debatte

Die Nutznießer der Digitalwelt haben keinerlei (Geschäfts-)Interesse daran, die bisherige gesellschaftliche und demokratische Verantwortung der so genannten vierten Gewalt zu übernehmen. „Die Wirklichkeit mit aller Macht retten zu wollen, wäre für Digital- und Medienkonzerne wenig profitabel,“ sagt der Medienpsychologe Joachim Bauer. Lukrativ sei die Flucht aus ihr heraus. Hierfür – etwa für Videospiele – seien gerade Jüngere viel eher bereit, Geld auszugeben, als für Informationen. „Gegenüber dem mittelalterlichen Jenseitszauber war die Aufklärung ein Gewinn von Realität, ja wahrscheinlich sogar ein Realitätsschock“, sagt er. Wir seien nun auf dem Weg zurück in voraufklärerische Zeiten, so Bauer. Symbole und Bilder ersetzten strukturiertes Denken.

Wer rettet die Aufklärung?

Das Mittelalter hat mit einem revolutionären, neuen Kommunikationsmittel geendet: dem Buchdruck. Das gedruckte Wort diszipliniert und fokussiert. Es vermag Sachverhalte zu kondensieren, aber lässt Komplexität bestehen. Es ist ein stark kuratiertes Informationsvehikel, das Zusammenhänge sichtbar macht. Es reicht von der Enzyklopädie bis zur Tageszeitung und konnte mit seinen Qualitäten auch noch gegen Radio und Fernsehen bestehen. Ohne dieses Werkzeug wäre die Aufklärung undenkbar gewesen.

Doch das war kein Selbstläufer. „Die unmittelbare Folge von Gutenbergs Erfindung waren Religionskriege und andere Konflikte“, sagt der israelische Publizist Yuval Harari. Kopernikus habe wunderbare Werke über Astronomie verfasst, die kaum jemand las: „Erfolg hatten andere Bücher. Einer der ersten Bestseller der Geschichte war ,Der Hexenhammer’, eine Do-it-yourself-Anleitung zum Aufspüren von Hexen samt Anleitungen, wann sie zu foltern seien.“ Der Buchdruck wurde nur deshalb Eckpfeiler von Aufklärung und Demokratie, weil genügend Publizisten darin nicht nur ein Produkt sahen, sondern Ideen transportieren wollten.

Das Problem ist deshalb nicht das Internet selbst, das gutes Potenzial für die Informationsvermittlung hat – es ist die oft verantwortungslose, ja zynische Weise, wie dieser Bereich dort kommerzialisiert wurde. Hilft es, Digitalplattformen hart zu regulieren? Australien prescht hier gerade vor: Von 2025 an verhängt dort der Staat Strafzahlungen, wenn Internetplattformen für von ihnen verbreitete Inhalte nicht bezahlen. Wird dann das Geschäftsmodell der traditionellen Medien wieder funktionieren? Es gibt durchaus Leuchttürme, denen der publizistische Anspruch wichtiger ist als maximale Rendite, die sich online finanzieren. Ein Bedürfnis nach Orientierung ist beim Publikum zweifellos vorhanden. Doch je teurer der Zugang zu redaktionellen Inhalten wird, weil die Werbefinanzierung wegen der Macht der digitalen Plattformen nicht mehr funktioniert, desto öfter weichen Menschen auf deren vermeintlich kostenlose, letztlich aber durch Daten erkaufte Angebote aus.

Und wer zahlt?

Wird die Masse des Publikums künftig noch bereit sein, auskömmlich für journalistische Qualität zu bezahlen? Oder bleibt nur die Alternative: entweder die Aufklärung hochzuhalten oder Geld zu verdienen? Braucht es neue Finanzierungskonzepte? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht die Lösung. Der gräbt im Internet privater Medienvielfalt mit das Wasser ab. Helfen Stiftungsmodelle? Subventionen? In den USA, wo regionale Medien bereits erodiert sind, kooperiert die spendenfinanzierte Organisation Pro Publica mit ihnen, um Recherchen zu unterstützen. Auch in Deutschland sind in Gestalt der Plattform Correctiv solche Angebote entstanden, die sich als Partner anderer Medien sehen. Es bräuchte viele regulatorische, kreative und innovative Schritte, bevor es zu spät ist. So wie wir die Verdummungsmaschine zurzeit jedenfalls laufen lassen, zerstören wir die Demokratie.

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