Josef Eberle Der liberale Patriarch

Josef Eberle und seine Frau Else rahmen Bundespräsident Theodor Heuss auf dem Dach des Tagblatt-Turms ein. Foto: STZ

Josef Eberle prägte als Herausgeber, Verleger und Miteigentümer über Jahrzehnte die Stuttgarter Zeitung.

Es war Josef Eberle nicht an der Rottenburger Wiege gesungen worden, dereinst in Stuttgart zum bedeutenden Verleger und Publizisten aufzusteigen. Wer wie er im Jahr 1901 geboren wurde, fand sich hineingestoßen in eine stürmische, oft trostlose und entsetzliche Zeit. Sie unterzog ihn strenger Prüfungen, er bestand sie mit Bravour. Der NS-Diktatur beugte er sich nicht. Nach dem Krieg etablierte er die Stuttgarter Zeitung als wichtigstes Blatt im deutschen Südwesten – liberal in der Ausrichtung, radikal im Qualitätsanspruch. Man spielte in der Presse-Bundesliga, und zwar um die vorderen Plätze.

 

Es waren andere Zeiten, in denen Verlage nicht nur Zeitungen druckten, sondern – im übertragenen Sinn – auch Geld. Eberle konnte es sich leisten, Anzeigen abzulehnen, die er als frivol empfand, und – so geht die Fama – er kündigte Lesern das Abo wegen „erwiesener Dummheit“. Er agierte als Verleger, Herausgeber und Chefredakteur zugleich. Er verstand sich als Publizist und Autor, nicht als Manager, der sein Dasein mit dem Absitzen von blutleeren Meetings ausfüllt. Als sich Eberle 1971 zurückzog, hinterließ der eigensinnige Patriarch (und Kulturmäzen) in „seiner“ Redaktion erleichterte Melancholie.

Die Welt steckt voller Wunder und Abgründe, besonders jene des Josef Eberle. Das Kind hatte noch nicht das Licht der Welt erblickt, da erlag der Vater, Stadtkämmerer in der Bischofsstadt Rottenburg, einer schweren Krankheit. Auch die Mutter starb früh, 1917, gegen Ende des Ersten Weltkriegs. Josef durfte das Gymnasium besuchen, doch das Geld reichte nur bis zur mittleren Reife. In Tübingen absolvierte er eine Ausbildung in der Heckenhauer’schen Buchhandlung am Holzmarkt, gleich bei der Stiftskirche. Dort hatte 20 Jahre zuvor auch Hermann Hesse seine Lehrjahre verbracht. Es folgte ein Wanderleben, das den jungen Eberle nach Berlin, Stuttgart, Karlsruhe, Baden-Baden und Leipzig führte. In jenen Jahren eignete er sich eine stupende humanistische Bildung an. In der von Erich Schairer geführten, linksliberalen „Sonntags-Zeitung“ publizierte er Texte und Gedichte. Der Autodidakt verschönerte sich zum Poeta doctus, der auf Latein elaborierte Verse schmiedete und unter dem Namen „Josephus Appellus“ veröffentlichte. Bekanntheit aber erlangte er als „Sebastian Blau“ mit mundartlichen Heimatgedichten, auf die er sich unter dem Druck der Radikalisierung im Land verlegte. Eberles Gegnerschaft zum Nationalsozialismus hatte grundsätzliche, aber private Gründe: Seine Frau Else war Jüdin.

Den Posten als Leiter der Vortragsabteilung beim Süddeutschen Rundfunk verlor er im März 1933, zwei SS-Leute warfen ihn aus dem Sendehaus. Anders die allermeisten seiner Kollegen: Sie passten sich an. In einem Brief schrieb er: „Ich habe mir angewöhnt, die charakterlichen und anderen Umfälle meiner Mitmenschen unter dem Gesichtswinkel der Futterkrippe, sozusagen als Zoologe zu betrachten.“ Eberle aber blieb sich treu. Die Folge: im Mai 1933 fand er sich im KZ Heuberg wieder; als er nach einigen Wochen wieder frei kam, stand er vor dem Nichts. Unterschlupf fand er bei seinen jüdischen Schwiegereltern in Rexingen bei Horb. Eberle spottete nach dem Krieg: „Ich bin bestimmt der einzige Deutsche, der von Juden vor den Nazis versteckt wurde.“

Vom Kriegsdienst blieb er wegen seiner jüdischen Ehe befreit, im Stuttgarter US-Konsulat fand er Arbeit, ehe dieses 1941 geschlossen wurde. Kurz vor Kriegsende tauchte das Ehepaar ab, Else Eberle entging knapp der Deportation in das KZ Theresienstadt. Unterschlupf fanden sie unter anderem auf dem Dachboden beim Vorsteher des Bahnhofs Wildpark im Stuttgarter Westen. Bei Luftalarm suchten sie Sicherheit in der Betonröhre am Ende der Heslacher Wasserfälle. Das Leben geriet zum Versteckspiel – ein Spiel, bei dem es um Leben und Tod ging. Mit dem Kriegsende kam die Lebenswende: Weil Eberle der NS-Diktatur widerstanden hatte, bestimmten ihn die Amerikaner zu einem von drei Lizenzträgern für die neue Stuttgarter Zeitung. Obwohl er parteilos war, ordneten sie ihn der Sozialdemokratie zu. Es folgten mehrere Rochaden, in deren Verlauf der alte Freund und Förderer Erich Schairer an seine Seite trat. Die beiden vollbrachten eine kulturpolitische Großtat: die Rettung des Cotta-Archivs und dessen Übereignung an die Deutsche Schillergesellschaft. Cotta war der Verleger Schillers und Goethes gewesen, überhaupt der deutschen Klassik. Nach Schairers Tod regierte allein Eberle im Tagblatt-Turm, dem Zuhause der Stuttgarter Zeitung. 1986 starb Josef Eberle, drei Jahre später seine Frau Else.

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