Wenn es zwischen Russland und der Ukraine nach zehn Jahren Krieg zu einem dauerhaften Frieden kommen soll, braucht Kiew starke Sicherheitsgarantien. Drei Varianten dafür gibt es. Alle sind ungemütlich, kommentiert Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Das erste Telefonat mit Donald Trump nach dessen Wiedereinzug ins Weiße Haus nutzte Wolodymyr Selenskyj für eine kleine Geschichtsstunde. Der ukrainische Präsident erinnerte den amerikanischen Präsidenten an die fatalen Folgen des „Budapester Memorandums“.

 

1994 hatten sich die Ukraine, Belarus und Kasachstan mit diesem Memorandum auf einen historischen Tausch eingelassen: Die drei Nachfolgestaaten der Sowjetunion gaben alle Atomwaffen ab. Im Gegenzug sagten die USA, Großbritannien und Russland zu, sich um ihre Sicherheit zu kümmern. Es war ein hohles Versprechen: Zwanzig Jahre später besetzte Russland Teile der Ukraine. Die anderen Schutzmächte ließen es 2014 ohne großen Widerstand geschehen. Seither führt Moskau Krieg gegen Kiew.

„Dumm und verantwortungslos“ sei der Budapester Deal gewesen, sagt Selenskyj. Niemals hätte sein Land die Atomwaffen aus der Hand geben dürfen, ohne sie „gegen etwas Starkes“ einzutauschen. Für die Ukraine kann das aus Selenskyjs Sicht nur eines sein: eine eisenharte Rückversicherung durch die Nato, das nordatlantische Militärbündnis.

Wer darüber nachdenkt, wie ein Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine nach inzwischen zehn Jahren Krieg aussehen müsste, kommt um eine Antwort auf diese Frage nicht herum: Welche Sicherheitsgarantien braucht die Ukraine, um sich dauerhaft gegen die russische Aggression zu schützen? Dass diese Garantien stark sein müssen, steht außer Zweifel. Auf Wladimir Putins Vertragstreue kann niemand bauen. Zurzeit werden drei mögliche Szenarien durchgespielt:

Modell „Deutschland“ Nur zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs holten die Westalliierten 1955 den Westen des besiegten Deutschland in die Nato. Sie gaben damit den Bundesdeutschen die umfassendste Sicherheitsgarantie, die möglich war: die Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nato-Vertrags. Genau diese Garantie bevorzugt heute Selenskyj. Ein Bündnis-Beitritt ist der Ukraine von der Nato zwar grundsätzlich schon in Aussicht gestellt, aber nur wenige Staats- und Regierungschefs in der Allianz haben es eilig damit. Vor allem nicht Donald Trump. In seiner Administration kursiert stattdessen die Idee, Russland im Gegenzug für einen Friedensvertrag einen langjährigen Verzicht auf eine Nato-Erweiterung anzubieten. Klar ist: nichts würde Putin mehr stören als eine Ukraine, die in der Nato ist.

Modell „Korea“ Trump und sein Umfeld scheinen ein Szenario zu bevorzugen, dessen Vorbild auf der koreanischen Halbinsel zu finden ist. Hier trennt seit den 1950er Jahren eine entmilitarisierte Zone die verfeindeten Süd- und Nordkorea. Die USA haben die Rolle des Garanten übernommen. Sie stationierten Soldaten in Südkorea, um den Waffenstillstand zu sichern. Im Fall Ukraine will Trump allerdings keine US-Soldaten entsenden. Stattdessen sollen vor allem die Europäer und nach Möglichkeit noch andere Länder, zum Beispiel Indien, eine Friedenstruppe stellen.

Was einfach klingt, ist jedoch kompliziert. Die Truppe müsste mit einem robusten Mandat und voller Kampfkraft ausgestattet sein. Sonst hätte sie keine hinreichend abschreckende Wirkung. Die Frontlinie zwischen Russland und der Ukraine erstreckt sich über mehr als tausend Kilometer. Um eine so gewaltige Strecke abzusichern, wären nach Expertenschätzung bis zu 200 000 Soldaten notwendig. Wer soll die stellen?

Modell „Stachelschwein“ Das dritte Szenario orientiert sich an Israel. Das Land ist zwar extrem bedroht und gehört keinem Bündnis an. Aber dank äußerer, vor allem amerikanischer Hilfe ist es so hochgerüstet, dass es seine Sicherheit aus eigener militärischer Stärke garantieren kann. Um die Ukraine wehrhaft wie ein „Stachelschwein“ zu machen, das eine erneute russische Attacke sicher abschrecken kann, müssten die Westeuropäer und Amerikaner über viele Jahre sehr, sehr viel Geld und Waffen in die Ukraine schicken.

Alle drei Modelle sind hochproblematisch und extrem schwer zu realisieren- nicht zuletzt für die Europäer, die besonders gefordert sind. Viel wird davon abhängen, wie viel Vertragstreue die Frieden schließenden und garantierenden Staaten voneinander erwarten. Gegenüber Putin ist das Vertrauen bei Null. Jetzt kommt noch ein US-Präsident dazu, dem auch nicht zu trauen ist. Trump ist das Völkerrecht so egal wie Putin. Das sind üble Aussichten für Kiew – und für uns.