Naturschutz versus Sicherheit in Stuttgart Massive Kritik wegen ausgeschalteter Straßenlaternen

Die Helligkeit dieser Straßenlaterne wird mit Künstlicher Intelligenz gesteuert. Foto: picture alliance/dpa/Stefan Puchner

Die CDU, Radfahrer, Gastronomen: Sie alle beklagen sich über die nächtliche Ausschaltung von Straßenlaternen an rund 30 Strecken in Stuttgart. Was soll das Ganze bezwecken, und was sagen Naturschützer? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Die CDU, Radfahrer und Gastronomen: Auf den ersten Blick haben diese Gruppen wenig gemeinsam. Doch es gibt eine Sache, an der sie sich derzeit allesamt massiv stören: an der Ausschaltung der nächtlichen Beleuchtung an rund 30 Straßen in Stuttgart. Teils ist es dort nun vollständig finster, teils zeitweise, teils werden zu Randzeiten Bewegungsmelder genutzt.

 

Wo genau die Lichter ausgeschaltet wurden, haben Vertreter des Stadtplanungsamtes, des Umweltschutzamtes und der kommunalen Kriminalprävention in Stuttgart gemeinsam entschieden. Offiziell ist die Rede von Außerortsstrecken, weil die Straßen in der Regel zwischen zwei Stadtbezirken oder Stadtteilen liegen.  

Warum wurden Laternen ausgeschaltet?

Die Stadt Stuttgart kommt damit dem seit 2021 geltenden Naturschutzgesetz in Baden-Württemberg nach. Dieses sieht vor, dass künstliche Beleuchtung in Außenbereichen zu vermeiden ist sowie bis 2030 alle Straßen- und Gehweglaternen im öffentlichen Raum durch insektenfreundliche Beleuchtung um- oder nachgerüstet werden müssen.

Neben dem positiven Einfluss auf die Insektenwelt erwartet die Stadt Stuttgart dadurch auch eine Stromeinsparung von bis zu 350 Megawattstunden pro Jahr. Dies entspreche rund zwei Prozent des aktuellen Verbrauchs der Straßenbeleuchtung, heißt es. 

Was hat eigentlich der Naturschutz mit Laternen zu tun?

Die Population von Insekten ist in den vergangenen 30 Jahren um bis zu 75 Prozent zurückgegangen. Als eine Ursache gilt Lichtverschmutzung. Die Tiere werden vom Licht angezogen und sterben in den Leuchten oder kreisen bis zur Erschöpfung davor.  

Sind Leuchtreklame und Ähnliches nicht schlimmer?

Auch durch Leuchtreklame, beleuchtete Schaufenster und Industriegebiete sowie private Außenbeleuchtung werden Insekten angelockt. Bei Straßenbeleuchtung könne das Licht neben der Anlockwirkung aber zusätzlich eine Barrierewirkung haben, sagt Stefan Kress vom Naturschutzbund (Nabu) Stuttgart: „Es gibt Tier- und Insektenarten, die Licht generell meiden, und für die stellen lange Reihen von Straßenlaternen eine Barriere dar, die sie nicht überwinden können.“ 

Warum kommt Kritik von Gastronomen?

Im Restaurant Fasanengarten in Stuttgart-Weilimdorf wurde während des Urlaubs der Betreiber dreimal eingebrochen. Dies konnten die Wirte durch Kameras beobachten. Als sie aus dem Urlaub wiederkamen, merkten sie, dass vor ihrem Lokal nachts kein Licht mehr brennt. Sie sammelten Unterschriften, schalten den Bezirksvorsteher ein und beklagten sich bei der Stadt. Mit Erfolg: Inzwischen beleuchten die Straßenlaternen den Weg und den Parkplatz vor dem Restaurant wieder bis 22.30 Uhr.

Was sagen die Radfahrer?

Der ADFC Stuttgart (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) äußert sich in einer Mitteilung „bestürzt“ über die nächtliche Abschaltung von Straßenlaternen. Zwar hätten sie Verständnis für die Belange des Naturschutzes, vermissten aber „jegliches Augenmaß bei der Umsetzung“, heißt es. Der Vorsitzende Tobias Willerding kritisiert unter anderem die ausgeschalteten Lichter entlang der Hauptradroute 10 zwischen Ruhbank (Degerloch) und Sillenbuch. Dort riskiere man nun „Leib und Leben“, sagt er, weil man vom Gegenverkehr geblendet werde, aber selbst „bei bester Radbeleuchtung nicht mehr die Bordsteinkante erkennt, die den Radweg begrenzt“.

Mancherorts riskierten Radfahrer nun „Leib und Leben“, sagt Tobias Willerding, Vorsitzender des ADFC Stuttgart. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Was sagen Naturschützer dazu?

Stefan Kress vom Nabu Stuttgart entgegnet, dass das nächtliche Ausschalten von Laternen aus Naturschutzsicht richtig sei: „Außerörtliche Radwege führen in der Regel durch Wälder und Wiesen (oder an diesen entlang) und damit genau an den Biotopen, bei denen nächtliche Beleuchtung extrem negative Auswirkungen auf Tiere hat.“ Zudem seien die heutigen Fahrräder mit so guten Lichtern ausgestattet, dass eine aktive Beleuchtung der Wege nicht notwendig sei. Gegebenenfalls seien aber Reflektoren am Fahrbahnrand nötig. Diese wäre auch für den ADFC ein Kompromiss.  

Was bedeutet das für die Sicherheit?

Sowohl der ADFC als auch die CDU Stuttgart bringen die Frage nach der Sicherheit ins Spiel – speziell für Frauen, Kinder und Jugendliche. Laut der CDU herrsche bereits jetzt ein schlechtes subjektives Sicherheitsgefühl in Stuttgart. An mehreren Standorten, wo nun nachts keine Laterne mehr leuchte, seien Lokale sowie vereinzelt auch Wohnhäuser, begründen sie einen kürzlich gestellten Antrag an die Stadtverwaltung. In solchen Gegenden sollten zumindest Lampen mit Bewegungsmeldern installiert werden, heißt es. Generell sollten Bewegungsmelder oder eine Abschaltung der Straßenlaternen aber nur in ausgewiesenen Naturschutzgebieten eingesetzt werden, finden die Christdemokraten, „da eine gut beleuchtete Umgebung das Sicherheitsgefühl der Menschen, insbesondere von Frauen, erheblich erhöht“.

Was wird anderswo gemacht?

Laut dem Nabu Stuttgart seien Kommunen in anderen Bundesländern bei insektenfreundlicher Beleuchtung deutlich weiter, etwa an der Rhön, in der Eifel oder auch die Stadt Fulda. Stefan Kress nennt zudem das Projekt NaturLicht des Regierungspräsidiums Karlsruhe, bei dem festgestellt wurde, dass allein durch eine optimale Abschirmung von LED-Straßenlaternen rund 50 Prozent weniger Insekten angelockt würden. Zudem werde in Heiningen (Kreis Göppingen) eine intelligente, bedarfsangepasste Steuerung der Lichtstärke untersucht. Die Ergebnisse dieses Projektes sollen bald vorgestellt werden.

Wo das Licht abgeschaltet wurde

Regel
An rund 30 Straßen in Stuttgart wurde die Beleuchtung nachts ausgeschaltet oder eingeschränkt. Für diese Straßen gilt keine Beleuchtungspflicht.

Beispiele
Unter anderem wurden an der Hofener Straße entlang des Neckars ab Ortsausgang Bad Cannstatt in Richtung Hofen die Straßenlaternen ausgeschaltet. Dasselbe gilt für die Rotenwald- und Geißeichstraße zwischen Ortsausgang S-West und dem Birkenkopf sowie die Straße Im Elsental (Kaltental) zwischen Ortsausgang Dachswald und der Abzweigung zur Jugendfarm. Auch wurde die Beleuchtung an der Jahnstraße zwischen Geroksruhe und Ortseingang Degerloch ausgeschaltet, an der Frauenkopfstraße zwischen Stelle und Ortseingang Frauenkopf sowie an der Kirchheimer Straße zwischen Ruhbank und Ortseingang Sillenbuch.

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