Neue Bäckerei in Stuttgart Vom Opernsänger zum Bäcker – aus Leidenschaft für Sauerteig

Marko Špehar-Piehler zieht beim Pâtissier in der Kornbergstraße ein. Voraussichtlich im Juni will er seine Bäckerei starten. Foto: /Kathrin Haasis

Seinen ersten Traum hat Marko Špehar-Piehler umgesetzt: Er ist Opernsänger geworden. Nun geht er den zweiten an – und eröffnet im Stuttgarter Westen eine Bäckerei. Das Handwerk zieht Quereinsteiger an, wie Bespiele aus Waiblingen und Renningen zeigen.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Das Lokal ist gefunden, der Ofen bestellt: In wenigen Wochen wird Marko Špehar-Piehler seine Bäckerei im Westen eröffnen. Dabei ist der 42-Jährige eigentlich Opernsänger, zuletzt trat er in der Neuinszenierung von „Saint François d’Assise“ als Bruder Bernard an der Staatsoper Stuttgart auf. „Die Liebe zum Gesang ist nicht weg“, sagt er, „aber die zum Backhandwerk wurde immer größer.“ Wie die Kolleginnen von Brotsucht in Waiblingen und Craftbrot in Renningen hat ihn die Leidenschaft für den Sauerteig gepackt. Dass sich die Quereinsteiger die Lehre zum Bäcker und den Meisterbrief durch eine Sachkundeprüfung sparen können, macht ihre Betriebsgründungen erst möglich. Ihr Brot ist aber auch ganz schön viel Arbeit.

 

Studium an der Stuttgarter Musikhochschule

Marko Špehar-Piehler hat schon einmal einen Traum wahr werden lassen. Als Zwölfjähriger sah er im Fernsehen eine Oper und wusste: „Ich will Sänger werden!“ Für „ein Bauerskind“ aus einer Kleinstadt im Osten Kroatiens war es ein gewagtes Ziel. Seine Eltern standen jedenfalls „völlig unter Schock“. Es bedeutete, dass er im Alter von 14 Jahren von Zuhause ausziehen musste, um ein Musikgymnasium besuchen zu können, und dass er nach dem Abitur das Land verlassen musste, um Gesang zu studieren. Er bestand im Jahr 2000 die Aufnahmeprüfungen für die Stuttgarter Musikhochschule, danach folgten Engagements an der Staatsoper, in Dortmund, Hannover, an der Komischen Oper in Berlin und Mannheim sowie Auftritte in Köln, Peking und Lissabon. „Ich hatte eine schöne Karriere“, findet der Bass-Sänger.

Eine schwere Krebserkrankung zwang Marko Špehar-Piehler 2012 zu einer Pause, als er fünf Jahre später auf die Bühne zurückkehrte, fühlte er sich „nicht mehr zu Hause“. Die Corona-Pandemie war für ihn dann „ein Glück“: Sie gab ihm Zeit, sich zu besinnen. Weil ihm seine „Großmutter die Liebe zum Backhandwerk und zum Sauerteig in die Wiege gelegt hat“, beschäftigte er sich zunehmend mit dem Thema. Alle zwei Wochen backte sie wagenradgroße Laibe im Holzhofen des Bauernhofs. Bei Claudio Perrando, einem Experten für Naturfermentation, und bei der Bäckerei Zachert in Leonberg absolvierte er ein Praktikum, bei der Bundesakademie des Deutschen Bäckerhandwerks legte er die Sachkundeprüfung ab. Neben der Leidenschaft für den Sauerteig ist es seiner Meinung nach auch ein Akt der Notwehr, dass sich „eine enorme Hobby-Bäcker-Community“ entwickelte, von denen manche die Gründung einer Manufaktur wagten. „Es gibt immer weniger Bäckereien und immer mehr Industrieware“, kritisiert er.

Einstieg möglich dank der Sachkundeprüfung

Tina Laubengeiger hatte nach dem Genuss von Brot immer Bauchgrummeln. Auch sie nutzte eine Auszeit zwischen einem beruflichen Wechsel: „So, jetzt backe ich“, sagte sie sich. Pflegegutachten für das Sozialamt der Stadt Stuttgart schrieb sie vor ihrer Selbstständigkeit, ihre Geschäftspartnerin Susanne Ebrahim verkaufte Autos der Marke Mercedes-Benz. Für Freunde, Verwandte und Nachbarn backten die beiden Frauen immer mehr, drei Jahre lang verschenkten sie ihr bekömmliches Sauerteigbrot. „Machen wir es oder nicht?“, überlegten sie lange, bis Tina Laubengeiger zur Handwerkskammer ging, die Sachkundeprüfung bestand und ein passender Laden in der alten Ziegelei Hess in Waiblingen gefunden war. Sie haben einiges in ihren Betrieb investiert, allein der Ofen hat viele tausend Euro gekostet.

Brotsucht heißt ihre im November 2022 eröffnete Backstube. Ihren vier Sauerteigkulturen haben Tina Laubengeiger und Susanne Ebrahim Namen gegeben, so weit geht die Liebe. „Seit 2018 leben sie mit uns – oder wir mit ihnen“, sagen sie über drei davon. Auf vier Sorten müssen sich die Quereinsteigerinnen beschränken, so will es die Vorschrift, sie wechseln deshalb jeden Tag das Angebot. „Es gibt noch viele Mehle, die ich ausprobieren will“, sagt Tina Laubengeiger mit leuchtenden Augen. Etwa 200 bis 300 Laibe backen sie am Morgen, mehr geht nicht, verkauft wird nachmittags. „Es ist anstrengend und mühevoll“, räumt Susanne Ebrahim ein, weil „alles um den Sauerteig tanzt“. Früher hätten sie mehr verdient, fügt sie noch an. Für Wachstum ist wenig Spielraum, weil sie bei Brotsucht alles von Hand machen. Doch es zahlt sich aus, findet Tina Laubengeiger, wenn sie in den Urlaub gehen, werden sie von ihren Kunden schwer vermisst: „Wir bekommen ein Feedback, danach lecken sich andere die Finger.“

Ein Brot braucht nur drei Zutaten

Die Faszination, dass Brot nur aus den drei Zutaten Mehl, Wasser und Salz besteht, hat es auch Katharina Köller angetan. „Man braucht keine technischen Enzyme, keine Backhilfsmittel, nicht einmal Hefe“, sagt sie. Die Apothekerin aus Sindelfingen hat sich in die Materie „mordsmäßig reingefuchst“, sie ging für ein Praktikum nach Berlin, um die Abläufe in einer Bäckerei mitzubekommen. „Fürs Sauerteigbacken muss man richtig, richtig diszipliniert sein“, sagt die 58-Jährige. Ähnlich wie bei Brotsucht wuchs ihre Fangemeinde, sodass sie ihr Hobby auf „legale Füße“ stellen wollte. Also absolvierte sie die Prüfung für Spätberufene, was damals noch „eine ziemlich komplizierte Geschichte“ gewesen sei, und baute die Garage ihres Wohnhauses zur Bäckerei um. Ofen und Geräte kaufte sie gebraucht aus aufgegebenen Bäckereien.

Craftbrot ist der Name ihres Unternehmens, das sie im Februar 2022 startete. Rund 100 Kilogramm verarbeitet Katharina Köller in der Woche, alles in Bio-Qualität. Donnerstag und Freitag sind ihre Backtage, am Mittwoch um 6 Uhr setzt sie den Teig an, der längste braucht rund 30 Stunden Gärzeit. Ihr Mann, seit kurzem im Ruhestand, nennt sich ihr Gehilfe. „Der Duft, wenn man das Brot aus dem Ofen zieht“, schwärmt sie von ihrem Hobby, der zum Beruf wurde. Brötchen, Baguette und süße Stückchen zählen zu ihrem Sortiment neben den vier Broten – und sie ist wie die Waiblinger Kolleginnen meist ausverkauft. Vor allem Stammkunden kaufen bei ihr, dass nicht täglich Nachschub produziert wird, macht nichts aus, denn das Sauerteigbrot bleibt lange frisch und schimmelt in der Regel auch nicht. „Um mehr Menschen wieder zum guten Brot zurückzubringen“ gibt Katharina Köller außerdem Backkurse.

Seine Spezialität ist Panettone

Marko Špehar-Piehler hat sich mit seiner Bäckerei beim Pâtissier in der Kornbergstraße eingemietet. Wenn alles klappt, legt er im Juni los. „Brotgesang“ nennt er seine Bäckerei. Große Laibe wie einst seine Großmutter will er backen, „90 Prozent des Geschmacks kommt durch die Karamellisierung des Zuckers in der Kruste“, sagt er. Drei Brotsorten aus regionalem Mehl wie Waldstaudenroggen will der Opernsänger anbieten, außerdem hat er sich auf den italienischen Kuchen Panettone spezialisiert. Der Teig dafür braucht 72 Stunden. Seinen ersten Traumberuf will er allerdings nicht aufgeben, sondern beides miteinander verbinden. Er plant unter anderem Backstuben-Konzerte und auf drei Tage beschränkte Öffnungszeiten. „Gesang und Backen ist beides ein Handwerk“, erklärt er. Die Abläufe seien identisch, man verbringe entweder Zeit mit den Noten oder dem Teig. „Als Bäcker bediene ich nur eine andere Bühne, aber Applaus bekomme ich dafür auch“, sagt der 42-Jährige.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Stuttgart Brot Bäckerei