Der Luftschacht an der Willy-Brandt-Straße ist zentral für die Sicherheit des Tiefbahnhofs. Beim Probebetrieb kann es richtig laut werden.
Stuttgart - Was steht denn da? Autofahrer auf der Willy-Brandt-Straße werden sich über das seltsame Gebäude wundern, welches an der Ecke Sängerstraße/B 14 mit einer großen Fassadenöffnung in Richtung Bundesstraße und Schlossgarten entsteht. Der mächtige Betonquader, an dessen Stelle früher ein Wohnhaus stand, gehört zum Bahnprojekt Stuttgart 21. Er ist zentraler Teil der Sicherheitstechnik des Tiefbahnhofs, im Brandfall kommt ihm entscheidende Bedeutung zu.
Beim Schienenkonzern läuft der Neubau unter „Schwallbauwerk“. 16 Meter hoch und fast so breit ist das Gebäude, seine Wände umschließen zwei Luftkanäle und fassen vier große Turbinen, die im Fall des Falles Luft in die Bahnhofshalle blasen, um schnell eine Strömung zu erzeugen. Sie würde Brandrauch durch die sich dann öffnenenden Klappen in den Lichtaugen am Dach des Tiefbahnhofs ins Freie blasen. Soweit haben die Projektexperten am Dienstagabend im Rathaus vor Anwohnern des Kernerviertels die Funktionsweise beschrieben. Im Normalfall werden in den Bahnhof einfahrende Züge Luft durch den Schacht drücken.
Nur einmal im Jahr maximale Leistung
Die Anwohner beschäftigt schon länger nicht nur die Ästhetik, sondern auch der Lärm, der im Notfall, aber auch beim Probebetrieb der Ventilatoren entstehen wird. Nur einmal pro Jahr würden sie testweise auf höchster Stufe rotieren, alle zwei Monate erfolge ein Probebetrieb mit deutlich geringerer Intensität, so der von der Bahn für S 21 beauftragte Anwalt Peter Schütz. Nur einmal im Jahr die volle Leistung? Dem S-21-Gegner und pensionierten Ingenieur Hans Heydemann erscheint das angesichts der lebensrettenden Bedeutung viele zu wenig. Krankenhäuser verlangten ihren Notstromaggregaten einmal monatlich Volllast ab, so sein Bedenken. Andererseits beschrieb Heydemann den dann entstehenden Lärm als quasi unerträglich. An die 110 Dezibel – das kratzt an der Schmerzschwelle des Ohres – würden nach seiner Rechnung aus dem Betonbau ungefiltert abgestrahlt. Es würden in Richtung Wohnviertel wohl eher 70 Dezibel und weniger sein, die Abluftöffnung sei sehr bewusst zum Schlossgarten hin und damit weg von der Bebauung platziert worden, versuchte ein Experte im Auftrag der Bahn zu beruhigen. Alle gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Immissionen würden eingehalten. Bei einem „seltenen Ereignis“, wenn der Lärm nur zehnmal im Jahr auftritt, dürfen die Werte auch darüber liegen, klärte Schütz zur Gesetzeslage auf, deswegen komme es „auch gar nicht auf die genauen Werte an“. Der Testbetrieb werde „schon wahrnehmbar sein“, räumte er ein, aber der Umgebung auch zumutbar – und sicherlich werde er jeweils zuvor angekündigt werden.
Dämpfer für die Schienen
Der Schall sei singulär, der Bremsen- und Gleisabrieb, der tagtäglich aus dem Bauwerk dringen könne, aber nicht. „Haben sie eine Betriebserlaubnis?“, wollte der Netzwerk-Sprecher Frank Schweizer wissen. Die fehle zwar noch, so Schütz, Luftschadstoffe spielten für die Erteilung aber keine Rolle, denn deren Konzentration ergebe sich „aus einer Vielzahl von Emittenten“.
Die Anwohner fürchten nicht nur möglichen Lärm, sondern auch fühlbare Erschütterungen aus dem Zugbetrieb. Sie könnten als so genannter sekundärer Luftschall in Häusern wahrgenommen werden. Die Röhren seien so bemessen, dass das stärkste Dämpfungssystem eingebaut werden könne, so Schütz. Es werde nicht überall unter dem Wohnviertel nötig. Mit der Technik wird laut S-21-Teamleiter Andreas Dörfel die Fahrbahn von den Röhren entkoppelt, Schwingungen sollen auf ein nicht wahrnehmbares Maß getilgt werden. Rechnerisch sieht sich die Bahn im grünen Bereich. Sollte der „an einzelnen Stellen“ nicht erreicht werden, würden Betroffene mit Geld entschädigt.