Speisemeisterei, Zauberlehrling & Co in Stuttgart Alkoholfreie Drinks auf Sterne-Niveau – mit Alge, Sirup oder Kombucha

Lisa Neubauer zaubert mit ihren Kreationen auch alkoholfrei Komplexität ins Glas – als Begleitung zum Menü der Speisemeisterei. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Die steigende Nachfrage nach alkoholfreier Menübegleitung beschäftigt die Gourmetrestaurants. In der Speisemeisterei serviert die Barkeeperin Lisa Neubauer den Gästen ausgefeilte Getränke passend zu den Gerichten.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Die Bar von Lisa Neubauer ist ein Labor. Da werden Algen in Riesling-Verjus gezogen und Austernblätter zu einem Sirup verarbeitet. Beim Milk Punch wendet sie Physik an: Trübe Flüssigkeiten klärt sie durch Milch, die Proteine und Fette halten die Schwebestoffe fest. Sie baut ihre eigenen Kräuter an, trocknet sie, experimentiert damit. Ihre Drinks haben mehr als ein halbes Dutzend Zutaten, Alkohol ist allerdings nicht dabei. Die Barkeeperin sorgt in der Speisemeisterei für die nüchterne Begleitung zum Zwei-Sterne-Menü von Küchenchef Stefan Gschwendtner. Mit steigender Nachfrage widmen sich die Gourmetlokale der alkoholfreien Alternative, denn es soll nicht mehr nur Wasser, ein Saftschorle oder Wein ohne Promille sein. Im Restaurant Zauberlehrling oder bei Oettingers in Fellbach werden auch Eigenkreationen ausgeschenkt, im 5 geht es klassisch zu.

 

Frische Eleganz auch ohne Alkohol

„Wakame Up“ heißt Lisa Neubauers Antwort auf pochierte Austern im Koriander-Ponzu-Sud mit Kaviar. Die Algen aus dem Verjus stecken in dem Getränk und der Austernblatt-Sirup, mit Kokosmilch wurde es filtriert. „Wenn ich von einem Gericht höre, geht es in meinem Kopf los“, sagt die 35-Jährige, die seit einem Jahr in Stuttgarts am höchsten bewerteten Lokal tätig ist. Die Mixtur hat eine frische Eleganz, ist seidig, weich und mineralisch. Zum Hauptgang schenkt sie „Wag-You“ aus mit Saft von der Shizo-Kresse und von Schattenmorellen, dem „heiligen Holz“ Palo Santo und Verjus. Den Lammrücken mit geräucherter Aubergine will sie mit dieser fruchtigen, holzigen Kombination mit Vanillenote und Säure in Szene setzen. „An Apple a Day“ kredenzt sie zum Vor-Dessert mit Rum-Eis, Apfel und Zimt – mit Boskoop-Apfel, sous vide gegartem Sirup aus grünem Kardamom und Salinen-Lösung, „weil Salz Tiefe gibt“. Mit 100 Euro zu den sieben Gängen des 245-Euro-Menüs ist ihre Begleitung etwas günstiger als die Weinreise für 156 Euro.

Sommelière Anna Ueter präsentiert im Zauberlehrling die alkoholfreien Eigenkreationen: Rooibos-Eistee und Gurkenzauber. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Beatrice Oettinger kribbelt es auch in den Fingern. Im Schnitt wollten bisher zehn Prozent der Gäste keinen Alkohol trinken, im Dry January Anfang des Jahres war es plötzlich die Hälfte, berichtet die Serviceleiterin und Köchin von Oettingers Ein-Sterne-Restaurant. Einen Chardonnay-Sekt von Jörg Geiger oder einen Rosé von den Fellbacher Weingärtnern hat sie im Repertoire ohne Umdrehungen. Zu 100 Prozent überzeugen sie diese Ausweichlösungen nicht. Zur Bresse Poularde mit Trüffel wird eine Eigenkreation ausgeschenkt, die „an einen Spätburgunder herankommt“ – aus Schattenmorellen-Saft mit einem Auszug von Earl-Grey-Tee und Holunderblütensirup. Wenn sie aktiv eine alkoholfreie Menübegleitung anbieten würde, würden viel mehr Gäste darauf anspringen, schätzt Beatrice Oettinger. Eine Mischung aus normalem Wein zu zwei Gängen und einem würdigen Ersatz zu den restlichen hätte viel Potenzial. „Aber wenn man es perfekt machen will, ist es ein unfassbarer Aufwand.“ In der Sommerpause will sich die Köchin nun „in das Thema hineinfuchsen“.

Fabian Heldmann vom Zauberlehrling lobt ebenfalls „das riesige, alkoholfreie Repertoire“ von Jörg Geiger, sieben Gläser von der gleichen Manufaktur will er den Gästen zu seinem Menü aber nicht vorsetzen. „Man muss da am Ball bleiben und kreativer sein“, ist er einer Meinung mit Beatrice Oettinger. Zur Vorspeise wird in dem Ein-Sterne-Lokal ein selbst gemachter Rooibos-Eistee mit Zitrone und Himbeere ausgeschenkt. Zum Schwarzfederhuhn mit Kimchi empfiehlt der Service den Gurkenzauber, eine Granité aus Gurke, Zitrone, Holunderblüte und Ingwer, die mit Null-Prozent-Gin aufgegossen wird. Auch einen Kombucha hat Fabian Heldmann probeweise angesetzt.

Wein ist im 5 immer noch unangefochten

Während im Zauberlehrling die Gäste immer öfter tischweise gar nichts trinken, entscheiden sich die meisten im 5 „dann doch für ein Glas Wein“, berichtet der Sommelier Kyriazis Michaloudis. Denn wer ins Sterne-Restaurant gehe, habe in der Regel einen Grund zu feiern. Wer nüchtern bleiben will, dem empfiehlt er sortenreine Traubensäfte, etwa vom Sauvignon blanc. Die Süße werde jedoch mit zunehmender Menge ein Problem, räumt er ein. Von alkoholfreiem Wein hält er noch weniger: „Man entzieht ihm 13 Prozent des Geschmacks.“ Um Cocktails wie in der Speisemeisterei zu kreieren, fehlt im 5 die Nachfrage und die Kapazität – sowie die Überzeugung. Für Kyriazis Michaloudis ist Wein aufgrund seiner Komplexität, „die ein alkoholfreier Drink niemals erreicht“, immer noch der bester Partner zum Essen.

Lisa Neubauer schafft auf andere Art Vielschichtigkeit. Zum Nachtisch aus Honigeis und Ziegenfrischkäse bringt sie ein weiteres Glas mit ungewöhnlichem Inhalt: Selbst gezogenes australisches Zitronenblatt verbindet sie darin mit Sojasoße, Zucker und einem Tonic. Ihre Arbeit ist für sie ein Handwerk, bei dem verschiedene Verfahren und Techniken sowie Kreativität zum Einsatz kommen. Bei Wettbewerben misst sie ihr Können, im Herbst wurde die 35-Jährige Vizeweltmeisterin beim Lady Amarena Global Final. Ein Besuch in der Speisemeisterei soll für alle Gäste ein Erlebnis sein, sagt Lisa Neubauer: „Wir wollen unsere zwei Sterne auch in jedem Glas zeigen.“

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