Die Ruine hätte man aufbauen können, doch das historisch bedeutsame Gebäude musste Platz machen für Autos: Vor 60 Jahren ist das Kronzprinzenpalais abgerissen worden. Erinnerungen an einen der größten Streitfälle in dieser Stadt vor Stuttgart 21.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Es ist der 2. Dezember 1854. Kronprinz Karl und seine Frau Olga ziehen unter großem Jubel der Bevölkerung in das Kronprinzenpalais ein, das König Wilhelm I. von 1846 bis 1850 unweit seines Schlosses hat bauen lassen. Der württembergische Thronfolger und die russische Großfürstin haben zuvor unter anderem in der Villa Berg gewohnt. Ihr Palais am Schlossplatz, der zu dieser Zeit noch keinen Königsbau kennt, besitzt einen säulenumkränzten Eingang. Das Hauptgebäude ist fast 80 Meter breit. Im Erdgeschoss residiert der spätere König in sieben Zimmern.

 

Die Kronprinzessin wohnt im Stock darüber, in dem sich auch ein Speise- und Tanzsaal befinden. Die 20 Zimmer im dritten Stock sind für Hofdamen und Gesinde bestimmt. Auf der Rückseite zur Fürstenstraße hin liegen die Stallungen für die Pferde.

Ein Wiederaufbau wäre möglich gewesen

Nichts von alledem ist heute zu sehen. An der Stelle des Kronprinzenpalais’ befindet sich seit 2005 das Kunstmuseum, das als „Museum des Jahres 2021“ ausgezeichnet worden ist und so hochgelobt wird, weil es immer wieder Grenzen der Kunstsparten überwindet. Nach dem Ersten Weltkrieg und nach Ende der Monarchie musste die Familie Württemberg aus dem Palais von Karl und Olga ausziehen. Von 1919 an nutzte die Stuttgarter Handelshof AG einen großen Teil des Gebäudes für Ausstellungen, auch Werke der Württembergischen Staatsgalerie kamen hier unter.

Die Geschichte des Kleinen Schlossplatzes ist eine Geschichte der Emotionen. Es schien, als würden die stadthistorischen Erbanlagen für ein ewiges Trauma sorgen. Bei jeder Veränderung gab es Widerstände. Nach dem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg blieben die Außenmauern des Kronprinzenpalais’ stehen – ein Wiederaufbau wäre möglich gewesen. Der Streit um das stadtprägende Gebäude dauerte fast 20 Jahre, wie Rolf Bidlingmaier in seinem Buch „Das Kronprinzenpalais in Stuttgart“ dokumentiert. Die Stadtverwaltung um OB Arnulf Klett hatte den Autoverkehr im Blick und plädierte für den Abriss zugunsten einer Neuordnung der Verkehrswege.

Im Innenhof der Ruine parken Autos

Die Landesregierung, viele Denkmalschützer sowie der Schwäbische Heimatbund wollen in den 50ern erst das Palais selbst, dann wenigstens den städtebaulichen Eindruck des Schlossplatzes erhalten. Während der Streit anhält, zieht wieder Leben in die Ruine ein. Bald ist sie mit Werbeplakaten und Schaukästen beklebt, im Erdgeschoss werden Geschäftsräume ausgebaut. Im Innenhof parken Fahrzeuge. Im Palais treffen sich Liebespaare. Zwar haben sich 1956 Stadt und Land unter heftigen Protesten auf den Abriss des Palais’ geeinigt. Doch nichts geht voran. Erst im Mai 1963 werden die letzten Mauern bis auf den Grund entfernt. Steine sind bereits auf die Straße gefallen. Die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet damals über eine Gemeinderatssitzung, in der es heißt, es sei nicht zu vertreten, die „unschöne“ und „für den Verkehr störende Einrüstung der Ruine“ noch länger beizubehalten.

Vor Stuttgart 21 ist über kein anderes Thema in dieser Stadt so heftig gestritten worden wie über das stattliche Palais des Kronprinzen. Zu den schärfsten Kritikern des Abrisses zählt der Bahnhofserbauer Paul Bonatz. Vergeblich plädiert er dafür, „den wichtigen Teil des Stadtgedächtnisses zu erhalten“. In einen Brief an Bonatz schreibt OB Klett: „Die Erhaltung ist dort sinnvoll, wo die geschichtlich gewordene Gegenwart die Zukunft befruchtet, dort aber nicht, wo sie die gegenwärtige und künftige Entwicklung überwiegend hemmt.“

Der Planiedurchbruch lässt nach dem jahrelangen Streit auf sich warten. Erst 1966 beginnen die Bauarbeiten. Dort, wo das Kronprinzenpalais stand, werden sechs Tunnelröhren gebohrt, fünf für den Autoverkehr und eine für die Straßenbahn. Die Röhren werden 1968 mit einer Betonplatte überdeckelt, die zum Kleinen Schlossplatz wird.

Ein Rundbogenfenster des Palais’ steht heute im städtischen Lapidarium

Die Autos haben zwar Ende der 60er gesiegt, doch schon in den 70ern werden sie aus der Königstraße verbannt. 1976 wird der untere Teil der Einkaufsmeile zur Fußgängerzone, die Straßenbahn kommt auf Höhe der Eberhardskirche mit einer Rampe ans Tageslicht. Ende 1978 wird die komplette Königstraße bis zum Wilhelmsbau von Autos befreit. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung für den Abriss im Jahr 1963 eine Fehlentscheidung, da schon 13 Jahre später Autos und Bahnen die Vorfahrt genommen wurde. Ein Rundbogenfenster des Kronprinzenpalais’ stand auf der Königstraße bis 1993. Heute kann es im städtischen Lapidarium an der Mörikestraße bewundert werden.

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