Das ganze Leben kann nicht Party sein. Boa-Gründer Werner „Sloggi“ Find aber hat wilde Nächte im Vollsturm erlebt. Da Corona zur Pause zwingt und bei ihm die 70 näher rückt, blickt er in einem Buch zurück – auf Zeiten mit Dauerwelle und Beatkeller.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Wer sich erinnert, war nicht dabei. So lautet eine alte Partyweisheit. Sloggi, der so heißt, wie die Feinripp-Marke, die er nicht ausstehen kann, war oft dabei. Der Mann, der Stuttgarts Nachtleben seit Jahrzehnten prägt, auf dessen Stimme aber auch der Karneval (der Schnauzbartträger ist Ehrenpräsident der Zigeunerinsel, hat den Fernsehfasching der ARD moderiert) und der VfB (bis 2004 war er Stadionsprecher) hören, überließ in seinen Discos das Feiern nicht nur den anderen. Nein, Werner Find stürzte sich selbst mitten rein – am liebsten mit Weißweinschorle und Soul-Musik.

 

Deshalb ist klar, dass in seiner Biografie, die wenige Monate vor seinem 70. Geburtstag erschienen ist, nicht alles stehen kann. Oder nicht alles stehen darf. Erinnerungslücken sind normal in dieser Branche. Dennoch ist genügend Stoff in Sloggis Gedächtnis geblieben, so dass Stuttgarts Partyszene, vor allem die der früheren Generationen, viel Spaß an der Lektüre haben wird.

Nopper möge „was Richtiges anziehen“

Eine dieser Erinnerungen betrifft Frank Nopper, den OB von Backnang, der das Stuttgarter Rathaus anvisiert. Es gab eine Zeit, da konnte man ihn, wenn er ein hohes Ziel erreichen wollte, aufhalten. Am Boa-Türsteher kam Herr Nopper als Schüler nicht vorbei. Der junge Mann möge sich erst „was Richtiges“ anziehen, wurde ihm barsch beschieden.

Raffinesse hilft: Beim zweiten Anlauf brachte der heutige CDU-Politiker das attraktivste Girl seiner Schule mit, die dem Türsteher tief in die Augen blickte. Prompt wurde dieser schwach. „Die Schöne darf rein“, entschied er, „und der Kleine, den sie dabei hat, ausnahmsweise auch.“

Die Lerche war das Tor in eine neue Welt

Als „bunter Hund“ und „Rampensau“ wird Sloggi auf dem Buchcover gerühmt. Wer behauptet, man habe einst in Stuttgart die Gehsteige nachts hochgeklappt, erfährt die schonungslose Wahrheit. Mann, haben die’s krachen lassen! Jetzt soll es Boa-Gäste von „lang, lang ist’s her“ geben, die zittern, was die „Partylegende“ (ein Begriff, dem Find am liebsten ausweicht, weil er Legenden zu Personen der Vergangenheit zählt) über sie schreibt. Andere wiederum sind beleidigt, wenn sie nicht erwähnt werden.

Das Musikhaus Lerche, in dem der damalige DJ im weißen Kittel (die Dienstkleidung der Verkäufer) gearbeitet hat, war das Tor zur neuen Welt. Hier besorgte man sich den Sound zum Rumknutschen im Beatkeller. Im Club Schmiden legte Find auf. Dort lernte er zwei Brüder kennen, die ein Gastro-Imperium besaßen. Sie boten ihm an, das Ufo und den Cactus zu leiten. Später mischte Find mit Schnauzer und Dauerwelle, seinen Markenzeichen der jungen Jahre, auch im Oz und im Ballhaus mit. Unvergessen: 1976 machte er das Catering für die Rolling Stones backstage im Neckarstadion.

Mit Turnschuhen kam keiner rein

Im Tuchhaus Scheid an der Tübinger Straße stand das Lager leer. Hier hat Sloggi mit zwei Partnern 1977 die Boa eröffnet. Weil die Decke nicht schön war, hat das Trio 50 Zentimeter lange Kordeln dicht an dicht aufgehängt. Wie Schlangen sahen die aus. Die Boa hat sich bis heute in der Stadt festgebissen, mehr Höhen als Tiefen erlebt. Als Türsteher hat Find dort den Umgang mit Menschen gelernt und sich fürs Leben gestärkt. Mit Turnschuhen kam keiner rein. Einmal legte ein Tenniskumpel ein gutes Wort für ein rothaariges Bürschchen ein, das keine 16 war. Das Bürschchen hieß Boris Becker. Später hat die Schlange noch Stars wie Prinz Albert, Thomas Gottschalk und Liza Minelli verschlungen.

Schon früh aber hat er die Boa von „zu viel Schickimicki“ befreit. Dies erklärt den Erfolg: Man blieb normal, hetzte nicht jedem Trend hinterher. Vor fünf Jahren verkaufte er sein „Kind“, den Dino der Nacht.

In 20 Sitzungen hat Find der Autorin Christa Gießler, die man fürs Schreiben von Biografien – egal in welcher Auflage – buchen kann, erzählt, was ihm seit der Geburt am 3. April 1951 im Marienhospital über das Zusammenleben in Lebensabschnitten (schon mit 20 wohnte er mit der festen Freundin in einer eigenen Wohnung) bis zu seiner heutigen Liebe für seine Elli wichtig ist. Man erfährt schöne Dinge: Wie etwa die Ehefrau ihm das Mikro androht, wenn der daheim maulfaule Gatte nix sagen will. Ein alter Reflex: Sobald Find ein Mikro in der Hand hat, sprudelt’ s bei ihm. Man erfährt viel über Hundeliebe und von den Vorteilen, wenn ein Paar in zwei Wohnungen lebt.

Aus den geplanten Lesungen wird nix

Aus dem Plan, in Spanien den Lebensabend zu verbringen, wurde nichts. Sloggi und seine Elli kamen rasch zurück – sie brauchen Stuttgart. Man erfährt, wie der Umtriebige Niederlagen wegsteckt und sein Leben nach der Herz-OP verändert hat.

Mit Lesungen wollte Find sein Buch „Sloggi, die Boa und das Leben an sich“ (erschienen im Fischer-Lautner-Verlag) vorstellen. Daraus wird nix. Auch die bereits traditionelle, generationsübergreifende Party in der Alten Reithalle zum 15. Mal im Januar – der frühere Boa-DJ Uwe Sontheimer spricht vom „Versehrtentreffen“ – fällt Corona-bedingt aus.

Wenn man den „Zenit überschritten“ hat

Großen Erfolg hat der 69-Jährige mit eben dieser Reihe „Boa goes...“, bei der es rausgeht an wechselnde Orte. Sloggi lässt Veteranen des Nachtlebens, die in keinen Club mehr kommen, noch mal jung sein. Im Buch verrät der 69-Jährige, wie es sich anfühlt, wenn man „den Zenit überschritten“ hat. Was das Altwerden erträglich macht? Was tun! Ganz falsch ist: nichts tun! Besser ist: viel tun! Feiern! Aufs Feiern, na gut, müssen wir wohl noch lange warten. Solange hilft eines: lesen!