In der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfes in den USA hatte Kamala Harris ihren Kontrahenten Donald Trump einen „Faschisten“ genannt. Wir erklären, was Faschismus ist, was ihn vom Nationalsozialismus unterscheidet und warum in der Politik der Begriff Faschist als „rhetorische Keule“ immer wieder verwendet wird.
Knapp zwei Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl am 5. November verschärft Kamala Harris ihre verbalen Attacken auf Donald Trump und lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihren Kontrahenten und Ex-Präsidenten für einen „Faschisten“ hält.
Harris: „Trump ist ein Faschist“
Bei einer CNN-Bürgerstunde im politisch besonders umkämpften Bundesstaat Pennsylvania bezeichnete die demokratische Präsidentschaftskandidatin ihren republikanischen Gegenkandidaten am Mittwochabend (23. Oktober) als eine "Gefahr für das Land".
Moderator Anderson Cooper hatte die 60-Jährige gefragt: „Halten Sie Donald Trump für einen Faschisten?“ Harris antwortete ohne Zögern: „Ja, das tue ich!“
Trump: „Harris merkt, dass sie verliert“
Donald Trump hat für Kamala Harris’ Vorwurf nur Spott übrig: „Harris merkt, dass sie verliert, und zwar haushoch“, schreibt der 78-Jährige auf der Online-Plattform Truth Social. „Deshalb verschärft sie jetzt zunehmend ihre Rhetorik.“ Sie gehe schon so weit, ihn als „Adolf Hitler“ zu bezeichnen.
Faschismus-Vorwürfe gegen Trump sind nicht neu
Auslöser für die Frage Coopers waren die jüngsten Äußerungen von Trumps ehemaligem Stabschef John Kelly. Er hatte der „New York Times“ gesagt: Trump falle aus seiner Sicht „unter die allgemeine Definition eines Faschisten“. Kelly verwies dabei auf die Beschreibung von Faschismus als einer extrem rechten, autoritären und ultranationalistischen Ideologie, bei der es unter anderem einen diktatorischen Anführer und eine Unterdrückung der Opposition gebe.
„Rhetorische Keule“ und „Totschlagargument“
Der Faschismusbegriff wird in politischen Diskussionen immer wieder als „rhetorische Keule“ und „Totschlagargument“ verwendet.
So hatte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken einem Interview in der „ZIB 2“ („Zeit im Bild“) im österreichischen Sender ORF Anfang Mai über die AfD gesagt: „Ja. Das ist eine Nazi-Partei!" Das sei auch kein übertriebener Vergleich. Das völkische Denken der AfD sei ganz klar mit den Nazis zu vergleichen, so Esken weiter.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vergleicht missliebige Regierungen und ganze Staatengemeinschaften gerne mal mit historischen totalitären Regimen: So unterstellte er im April 2024 dem „Westen“ Faschismus wegen seiner Haltung zum Gaza-Krieg. Im Jahr 2017 hatte er „Europa“ generell Faschismus vorgeworfen: „Dieses Europa ist das Europa vor dem Zweiten Weltkrieg, ein rassistisches, faschistisches und grausames Europa.“ Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel warf er sogar persönlich „Nazi-Methoden“ vor.
Faschismus- und Nationalsozialismus-Vergleiche
Faschismus- und Nationalsozialismus-Vergleiche sind in der politischen Diskussion genauso häufig wie überflüssig, genauso beliebt wie unzutreffend, genauso polemisch wie falsch, genauso inflationär gebraucht wie unwissenschaftlich. Deshalb hier einige begriffliche und sachliche Klarstellungen zu den Begriffen Faschist und Faschismus, Nazi und Nationalsozialismus.
Was ist ein Nazi?
Nazi wird als Kurzform für einen Anhänger des Nationalsozialismus verwendet. Heute wird es umgangssprachlich meist abwertend und auch zur Bezeichnung von Fanatikern anderer politischer Couleur gebraucht. Historisch wurde der Ausdruck ab etwa 1930 in Analogie zu Sozi (Sozialist oder SPD-Anhänger) distanzierend für die Anhänger Adolf Hitlers gebraucht.
Was ist ein Faschist/Fascho?
Als Faschisten werden Anhänger der faschistischen Ideologie, des Faschismus, bezeichnet. Im Jargon der Autonomen Szene heißen Faschisten auch Fascho (Plural: Faschos).
Was meint Faschismus ursprünglich?
Der Begriff Faschismus wird ganz unterschiedlich verwendet:
- Abgeleitet vom lateinischen „fasces“, dem Rutenbündel als Machtsymbol hoher römischer Beamter in der Antike, bezeichnet er eine politische Richtung des 20. Jahrhunderts.
- Die Anhänger des italienischen Diktators Benito Mussolini (1883-1945) nannten sich als erste Faschisten.
- Im engeren Sinn ist Faschismus das autoritäre Regierungssystem Italiens von 1922 bis 1945 mit seinen nationalistischen und zugleich sozialistischen Wurzeln.
Woher stammt der Faschismus-Vorwurf?
Seit den 1920er Jahren wird Faschismus als marxistischer Kampfbegriff verwendet. Danach ist er eine Form bürgerlicher Herrschaft, und zwar die „offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. So definierte es der bulgarische Politiker der Bulgarischen Kommunistischen Partei Georgi Dimitroff (1882-1949) in seiner berühmten Dimitroff-These im Jahr 1933.
Diese für den Weltkommunismus zentrale Faschismus-Definition meint folgendes: „Bürgerliche Demokratie“ und Faschismus sind zwei verschiedene Ausprägungen des Kapitalismus. Wenn der Kapitalismus bedroht sei, erklärt Dimitroff, wandele sich die bürgerliche Demokratie zur faschistischen Diktatur. Diese Parole des „Antifaschismus“ stellte quasi alle nichtkommunistische Staats- und Gesellschaftsformen unter Faschismusverdacht.
Was beinhaltet der Faschismus?
Auch nichtmarxistische Theoretiker haben versucht, Faschismus als Epochenbegriff für eine Gruppe politischer Bewegungen in Europa zwischen den beiden Weltkriegen zu definieren. Gemeinsam seien ihnen unter anderem folgende Elemente:
- Führerprinzip
- gewaltsames Machtstreben
- autoritäre Strukturen
- nationalistisches und fremdenfeindliches Gedankengut
Welche Formen von Faschismus gab es?
Eine Reihe europäischer Regime waren dem italienischen Faschismus sehr nahe verwandt:
- die spanische Diktatur unter Francisco Franco 1936 bis 1982
- das portugiesische Regime unter den Diktatoren António de Oliveira Salazar und Marcelo Caetano (Anfang der 1930er Jahre bis 1975)
- das Regime Ungarns unter Miklós Horthy (1920 bis 1944)
Ist der Nationalsozialismus ein Faschismus?
Auch wenn der 1933 in Deutschland unter Adolf Hitler (1889-1945) an die Macht gelangte Nationalsozialismus dem italienischen Faschismus äußerlich ähnlich erscheint, gab es gewichtige Unterschiede: Dem italienischen Faschismus fehlte der völkische Rassismus und Antisemitismus, der im Nationalsozialismus zur systematischen Ausrottung von Millionen Menschen führte.
In einem inflationären Gebrauch des Begriffs Faschismus sehen Kritiker die Gefahr einer Verharmlosung des Nationalsozialismus und seiner Rassenideologie. Verwendet man also – wie dies vor allem die Kommunisten taten – den Begriff Faschismus undifferenziert für alle rechtsgerichteten Diktaturen der Zwischenkriegszeit, verharmlost man die besondere rassistische Qualität des Nationalsozialismus.
Was unterscheidet den Nationalsozialismus?
Der Nationalsozialismus unterscheidet sich grundlegend von anderen faschistischen Regimen:
- durch seinen globalen Herrschaftsanspruch
- durch seine Rassenideologie, die im Holocaust mündete
- durch die Rolle des Staates und des Führerprinzips
Der deutsche Historiker und Nationalsozialismus-Forscher Eberhard Jäckel (1929-2017) beschreibt die Unterschiede so: „Hitler hatte nur zwei wirkliche Ziele, ein außenpolitisches und ein rassenpolitisches. Deutschland musste unter seiner Führung neuen Lebensraum im Osten erobern, und es musste die Juden entfernen. Der Staat und seine Verfassung, die Innen-, Wirtschafts-und Sozialpolitik, die Partei, ihr Programm und ihre Ideologie — alles war nur Mittel zu diesem doppelten Zweck.“
Der Totalitarismus- und Demokratieforscher Forscher Karl-Dietrich Bracher (1922-2016) konstatiert bei aller Vergleichbarkeit: „Das deutsche Phänomen des Nationalsozialismus (ist) einzigartig: die rassistische Ideologie, der globale Herrschaftsanspruch, die diktatorisch-technokratische Effizienz, die Radikalität der Herrschafts-und Vernichtungspolitik heben es weit über die Faschismen hinaus.“
Worum ging es beim Historikerstreit?
Beim sogenannten Historikerstreit ging es um die geschichtliche Einordnung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen. Den Hauptanstoß dazu gab der Berliner Historiker Ernst Nolte (1923-2016) am 6. Juni 1986 mit seinem Aufsatz „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Der Streit wurde dann am 11. Juli von dem Frankfurter Sozialphilosophen Jürgen Habermas mit einem Artikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ eröffnet. Unter der Überschrift „Eine Art Schadensabwicklung“ warf er Nolte und anderen Historikern vor, die Nazi-Verbrechen zu verharmlosen.
Nolte hatte in seinem Artikel den Holocaust als mögliche Reaktion auf die Verbrechen der sowjetischen Kommunisten beschrieben. „War nicht der „Archipel Gulag“ ursprünglicher als „Auschwitz“?“, fragte er. Hitler habe vermutlich in der „asiatischen Tat“, mit der Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924) und Josef Stalin (1878-1953) die Bourgeoisie vernichten wollten, eine Bedrohung gesehen. Zwischen dem „Klassenmord“ der Bolschewiki und dem späteren „Rassenmord“ der Nazis könnte eine logische und faktische Verknüpfung bestehen.
Habermas bezichtigte Nolte und andere Wissenschaftler wie Klaus Hildebrand und Andreas Hillgruber (1925-1989) daraufhin des Revisionismus. Mit ihrer Deutung relativierten sie die Gräueltaten der Nazis. In der Folge entbrannte unter Wissenschaftlern und Intellektuellen eine heftige Diskussion, die monatelang anhielt und auch im Ausland Beachtung fand. Sie kreiste unter anderem um die Frage, ob die Ermordung von Millionen Juden ohne Beispiel in der Geschichte war. Zur Info: Revisionisten versuchen, den historischen Nationalsozialismus positiv darzustellen und das NS-Regime von Schuld zu entlasten oder ganz freizusprechen.
Mehr als zehn Jahre später zog der Historiker Ernst-Ulrich Wehler (1931-2014) das Fazit: Er kenne keinen Historiker, der Noltes Interpretationen in den wesentlichen Punkten recht gegeben habe (mit dpa/AFP-Agenturmaterial).