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Wo alles Sinn macht

Wo alles Sinn macht

Marco M. und Annina H. sind in ihrem Leben durch viele Raster gefallen. Auf dem Tierhof Arche Noah sind sie endlich angekommen.

Doris Brändle

Auf dem Tierhof findet man Freunde fürs Leben. . Fotos: Doris Brändle

Doris Brändle

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Karin, machst du die Katzen? Charlotte die Ziegen? Annina die Hasen? Arbeitserzieher Harald Schnäbele hat die Arbeit schnell aufgeteilt. Die zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen das. Sie sitzen auf Plastikstühlen im Hof des kleinen Bauernhofs in Remseck-Neckargröningen, während die Hühner zwischen ihren Beinen nach Brosamen picken.

Der Tierhof Arche Noah ist ein Projekt des Caritasverbands für Stuttgart. Hier kümmern sich Menschen mit Beeinträchtigungen um misshandelte und ausgesetzte Tiere. Es ist ein Gnadenhof. Er nimmt aber auch Hasen und Meerschweinchen während der Urlaubszeit auf. Für die Pensionskatzen gibt's ein eigenes Haus.

Annina H. (35) kehrt mit Schwung die Köttel im Hasenstall zusammen, spült die Futterschalen aus und holt frisches Wasser. Sie arbeitet seit sechs Jahren hier. Davor war sie in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Sie hat dort Schrauben in Tüten gepackt und Schläuche gewickelt. Und sie war unglücklich. Annina H. nimmt einen Hasen auf den Arm und schmiegt ihr Gesicht in das weiche Fell. Das ist Lilly, ihr Liebling. „Au!“, der Hase hat sie in den Oberarm gebissen. „Annina liebt die Tiere überschwänglich“, sagt Michaela Roelofsen. Die Sozialpädagogin leitet den Tierhof seit seiner Gründung vor 16 Jahren, als hier noch nichts als ein altes Bauernhaus mit Scheune stand. Die Arbeit mit den Tieren tut den Menschen gut, das sieht Michaela Roelofsen. „Man kriegt eine direkte Reaktion von den Tieren, die beißen halt, wenn ihnen was nicht passt. Sie sind sehr klar. Und sie stecken niemand in Schubladen.“

Und noch etwas: „Die Menschen gehen hier in die Verantwortung. Das macht einen Riesenunterschied, wenn man gesehen hat, wie sie hier ankommen.“ Bevor sie in Urlaub gehen, fragen sie, wer sich als Vertretung um ihren Tierbereich kümmern kann. Sie sehen, dass das Stroh zur Neige geht und sagen Bescheid. Manche erleben dieses Gefühl der Verantwortung zum ersten Mal.

Marco M. (22) zeigt zum Himmel. Er ist groß, schmal, Dreitagebart.

„Ich hab mir vieles verbombt in meinem Leben, ich bin so oft aus Einrichtungen rausgeflogen. Der Tierhof ist die einzige Lösung.“
Marco M.

Da sehe man schon Quellungen, sagt er. „Eine Kaltfront zieht über den Atlantik und kommt auf uns zu. Dabei schiebt sich kalte Luft keilförmig unter die wärmere Luftmasse. Schon tagsüber kommen heute vereinzelt Gewitter auf.“ Er sagt das sehr schnell, monoton. Er interessiert sich für Meteorologie. Nicht ein bisschen, sondern ganz und gar. „Ich hab mir vieles verbombt in meinem Leben, ich bin so oft aus Einrichtungen rausgeflogen. Der Tierhof ist die einzige Lösung“, sagt Marco.

„In Brasilien in den Favelas erschießen Sicherheitsleute Kinder. Das sind doch keine Sicherheitsleute, das sind Tiere!“ Marco M. kommt immer wieder darauf zurück. Michaela Roelofsen schickt ihn zu den Hühnern, aber er kommt wieder. Denn das muss er noch sagen:

Auch in Kurdistan werden Unschuldige erschossen, da schaut keiner hin. „Das ist bei Autisten allgemein so, sie würden gern Gerechtigkeit schaffen. Aber ich kann ja nicht. Ich bin kein Politiker.“ Er stampft mit dem Fuß, läuft hin und her, aufgewühlt. „Ein Normaler macht sich auch Gedanken“, sagt er. „Aber ich kann davon nicht loslassen.“ Hier auf dem Tierhof hat er Platz, er kann laufen und laufen, damit sie ihn nicht überwältigen, die vielen Gefühle.

Die Hasen sind ihm ans Herz gewachsen. „Ich habe manchmal das Gefühl, das Abby mich trösten will. Dass sie weiß, wie ich mich fühle.“ Abby ist der große weiße Hase. „Sie scheint beruhigt zu sein, wenn ich sie streichle.“

Dieser große junge Mann mit dem Lexikon im Kopf und der Wut im Bauch - hier wird er ruhig. Er streichelt das Tier mit einer Zartheit, die Michaela Roelofsen kaum fassen kann, so oft sie es auch sieht. 

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