Die Anklage sieht zahlreiche Rechtsverstöße und fordert eine Haft- und Geldstrafe. Für die Verteidigung ist Fiechtner das wahre Opfer.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat im Verfahren gegen den Ex-Landtagsabgeordneten der AfD und ehemaligen Stadtrat Heinrich Fiechtner vor dem Amtsgericht 15 Monate Haft auf Bewährung und 12 000 Euro Geldstrafe gefordert. Reinhard Löffler, Verteidiger des von Querdenkern als Frontmann verehrten Mediziners, fordert Freispruch. So sah es auch der Angeklagte in seinem Schlusswort, einem langatmigen Rundumschlag gegen Regierung, Parteien und Justiz, das mit dem Absingen der Nationalhymne endete. Nachdem rund 30 Sympathisanten im Sitzungssaal in das Lied eingestimmt hatten, wurden sie des Saales verwiesen. Das Urteil wird am 3. März verkündet.

 

Strafbefehl wurde nicht akzeptiert

Die Liste der Vorwürfe in einem Strafbefehl über 38 000 Euro weist 18 Fälle aus; unter anderem, dass er im Jahr 2019 vertrauliche Unterlagen aus dem Akteneinsichtsausschuss zur Klinikum-Affäre mitgenommen haben soll. Die Staatsanwaltschaft warf Fiechtner zudem Hausfriedensbruch, unerlaubtes Filmen von Polizeibeamten und Veröffentlichung im Internet, Verstöße bei Versammlungen, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Beleidigungen von Gesundheitsministern von Bund und Bundesländern vor. Er hatte sie als „Verbrecher“ und „Gesindel“ tituliert, weil sie Impfungen mit neuartigen Impfstoffen gegen das Coronavirus zuließen. Außerdem hat er den damaligen Landtagsdirektor Berthold Frieß als „eine antidemokratische Ratte“ bezeichnet, weil ihn der nicht auf die Landtagstoilette habe gehen lassen. Zwei Mitarbeiter der Verkehrsüberwachung, die ihm ein Knöllchen verpassten, hat er als „Abzocker“ und „dreckiges Pack“ bezeichnet.

Einzelstrafen summieren sich auf 28 Monate Haft

Die Einzelstrafen summieren sich auf 28 Monate Haft. Die Staatsanwaltschaft fordert 15 Monate, weil die Taten lange zurückliegen (von März 2019 bis November 2021), Fiechtner bisher straffrei sei und teils planlos agiert habe. Hauptmotiv sei der Hang zur Provokation, Fiechtner verstoße bewusst gegen die Rechtsordnung. Es mangele ihm an Unrechtsbewusstsein. Die Strafe solle den Angeklagten zur Einsicht bringe, werde deshalb zur Bewährung ausgesetzt.

Reinhard Löffler sieht seinen Mandanten als Opfer einer unzureichenden Strafverfolgung. Die meisten Delikte seien in eine Zeit gefallen, in der den Abgeordneten seine Immunität vor Ermittlungen geschützt habe. Die Staatsanwaltschaft hätte leicht deren Aufhebung beantragen können. Löffler kritisierte die Polizei als „Drückerkolonne“, weil sie bei den Beleidigungsopfern nachgefragt habe, ob Strafantrag gestellt würde.

Andere Vorwürfe versuchte der Verteidiger mit dem ihm eigenen Humor zu entkräften: „Ratte“ sei nicht etwa ein Schimpfwort, so Löffler, mit Verweis auf die possierliche Disney-Figur „Ratatouille“ – und habe nicht sogar der FDP-Bundestagsvize Wolfgang Kubicki den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ungestraft als „Kanalratte“ bezeichnen dürfen?

Hitlergruß ohne Unterarm?

Und was die Aufforderung zum Widerstand angehe, sollte man sich eher die französische Nationalhymne vornehmen als Aussagen Fiechtners, denn dort würden die Bürger explizit aufgefordert, zur Waffe zu greifen (Aux armes citoyens). Viel Raum im Plädoyer nahm die Entkräftung des Vorhalts ein, Fiechtner habe sowohl mit dem linken, als auch mit dem rechten Arm den Hitlergruß nachgeahmt. Ihm fehlt bekanntlich der rechte Unterarm. Dann könnte man seinem Mandanten auch vorwerfen, „mit rechts den Stinkefinger gezeigt zu haben“, so Löffler.

Sein Mandant begann sein Schlusswort mit Sprüchen aus den Büchern Mose und Matthäus und endete mehr als eine Stunde später mit der Nationalhymne. Dazwischen gab er die von Querdenker-Demos bekannten Verschwörungstheorien zum Besten und stilisierte sich als aufrechter Provokateur und Opfer einer Gesinnungsjustiz. Die von der Anklage erhoffte Einsicht ließ Fiechtner sogleich vermissen. Er beleidigte Richter, Staatsanwälte, Polizei, die Gesundheitsminister und die Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer, die ihn aus dem Sitzungssaal werfen ließ. Zu Unrecht, so Fiechtner, Fezer könne sich auf eine Anzeige wegen uneidlicher Falschaussage gefasst machen; und der Aushilfstankwart, der die fehlende Maske in Fiechtners Gesicht mit Hausverbot ahndete, mit einer Klage wegen Diskriminierung. Für das Urteil sei es an diesem Tag schon zu spät, erklärte die Richterin. Er erwarte sich nichts, gab ihr der Angeklagte mit auf den Weg.