Bürgerfragen, Formulare, Mails – in vielen Rathäusern bleibt kaum Raum für Persönliches. Zwei Gründer aus Korb wollen das ändern: Das KI-Tool „Tivio“ schafft mehr Zeit für Menschen.
Wenn Tivio ein Mensch wäre, wäre er wohl der Kollege, den man immer zuerst fragt: freundlich, geduldig und immer im Bilde. „Er hat nie schlechte Laune und selbst Beschimpfungen lassen ihn völlig kalt“, sagt Daniel Bizer und lacht. „Und er wüsste alles – von der Abfallgebühr bis zur Hundesteuer.“ Nur, dass Tivio kein Mensch ist, sondern ein in Korb (Rems-Murr-Kreis) entwickeltes KI-Tool, das Verwaltungen entlasten soll.
Die zündende Idee hatte der 33-Jährige Politiker Daniel Bizer (CDU/Freie Wähler) Anfang des Jahres mitten in einer Gemeinderatssitzung: „Ich saß da und dachte: Mensch, die Schwierigkeiten, die alle Kommunen haben – ob Haushaltslage oder Fachkräftemangel – das ist im Kern doch ein Effizienzproblem.“ Man müsse die Arbeitslast im Rathaus reduzieren. Dafür sei KI wie geschaffen, ist Bizer überzeugt.
Drei Visionäre bringen Künstliche Intelligenz in die kommunale Verwaltung
Diese Idee entwickelte Bizer gemeinsam mit Jorrit Krumrein und Moritz Weimer weiter. Krumrein, 22 Jahre alt, gilt als Tüftler mit beeindruckendem technischen Know-how. Der 25-jährige Moritz Weimer bringt Erfahrung aus der Unternehmensberatung mit. Zusammen hatten die beiden zuvor bereits die Plattform „network sports“, eine digitale Lösung für Sportanlagen, entwickelt. Jetzt vereint die drei eine neue Vision: Künstliche Intelligenz dorthin bringen, wo sie wirklich hilft – in die kommunale Verwaltung.
Wer Angst hat, dass die KI den Menschen Arbeitsplätze wegnehmen könnte, kann laut Bizer beruhigt sein. „Wir reden nicht über Ersatz, sondern über Entlastung“, sagt er. Das System beantworte Bürgeranfragen rund um die Uhr, helfe beim Verfassen von E-Mails und unterstütze Mitarbeitende intern beim Nachschlagen von Regelungen oder Formularen.
Das KI-Tool Tivio soll ein kostengünstiger Mitarbeiter sein
So modern die Technik klingt – teuer ist sie nicht. „Tivio soll der kostengünstigste Mitarbeiter einer Kommune sein“, sagt Daniel Bizer. Er besitze in etwa die Gehaltsstufe eines Minijobbers. Für 400 Euro im Monat könnten Gemeinden das Basispaket nutzen.
Wie das aussehen kann, zeigt ein Blick nach Rudersberg (Rems-Murr-Kreis). Auf der Webseite der Gemeinde prangt ein kleiner roter Button mit einem Robotergesicht – dahinter steckt Tivio. Wer ihn anklickt, bekommt Antworten auf typische Rathausfragen: Wann hat das Bürgerbüro geöffnet? Wo kann ich meinen Reisepass beantragen? Wann wird der Müll abgeholt?
Rudersberg ebnet den Weg für das Start-up aus Korb
Rudersberg war die erste Kommune überhaupt, die dem jungen Start-up ihr Vertrauen geschenkt hat – die Pilotgemeinde sozusagen, die den Weg für andere geebnet hat. „Wir haben von Anfang an die Chance gesehen, mit einem Unternehmen zu arbeiten, das kommunal denkt und offen für Anpassungen ist“, sagt der Rudersberger Bürgermeister Raimon Ahrens.
Aktuell nutzt die Gemeinde vor allem den Chat-Agenten, über den Bürger rund um die Uhr Fragen stellen können. Allein im ersten Monat habe das System mehrere Hundert Anfragen beantwortet – Anfragen, die sonst womöglich per Mail im Rathaus gelandet wären. Über eine Feedback-Funktion können die Nutzer mit einem Daumen hoch oder runter bewerten, ob die Antwort hilfreich und richtig war. So lernt Tivio Schritt für Schritt dazu.
Tivio: Vom Pilotprojekt zum regionalen Erfolg
Künftig soll auch der E-Mail-Agent in Rudersberg zum Einsatz kommen: „Aktuell landen im Info-Postfach des Rathauses täglich etwa zwischen 50 und 100 Mails“, sagt Raimon Ahrens. Die Nachrichten müssen von Mitarbeitern manuell sortiert und an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden. Doch damit soll mithilfe von Tivio bald Schluss sein. „Das Tool entlastet die Mitarbeiter bei wiederkehrenden Aufgaben und verschafft ihnen Zeit für die komplexeren Themen“, sagt der Bürgermeister.
Die smarte KI-Lösung hat sich längst herumgesprochen. Inzwischen ist Tivio auch in Schorndorf im Einsatz. Dort beantwortete der digitale Assistent – liebevoll „Schorni“ genannt – bereits am ersten Tag rund 300 Anfragen. Auch Leutenbach, Weissach im Tal und Aspach setzen auf den digitalen Rathaushelfer aus Korb. Und die Nachfrage steigt weiter: „Im Rems-Murr-Kreis kommen bald neue Gemeinden dazu“, verrät Daniel Bizer.
Das Thema Datenschutz spielt bei allen Gesprächen mit Gemeinden eine zentrale Rolle. Bizer zufolge läuft Tivio DSGVO-konform auf Servern in Frankfurt, ein Backup-System sorge dafür, dass auch im Notfall alle Daten in der Europäischen Union bleiben. Auch technisch sei das System so aufgebaut, dass es flexibel und unabhängig bleibe.
„Tivio ist agnostisch“, erklärt Jorrit Krumrein. „Das heißt, wir sind nicht an ein bestimmtes Sprachmodell gebunden. Wenn ein System sicherer oder besser ist, können wir wechseln – ohne Daten zu verlieren.“ Für die Verwaltungen sei das ein wichtiger Punkt. Sie müssten sich darauf verlassen können, dass die Technik nicht nur effizient, sondern auch rechtlich einwandfrei arbeite.
Tivio auf einen Blick
- Gründer: Daniel Bizer, Jorrit Krumrein, Moritz Weimer
- Sitz: Korb (Rems-Murr-Kreis)
- Start: Juli 2024
- Kosten: ab 400 Euro/Monat (Basispaket), 800 Euro/Monat (Standardpaket)
- Einsatzorte Rems-Murr-Kreis: Rudersberg, Schorndorf, Leutenbach, Weissach im Tal, Aspach
- Datenschutz: DSGVO-konform, Server in Frankfurt
- Homepage: https://tivio.ai/
Mehr Effizienz, mehr Entlastung – und der Mensch bleibt Chef
Wird KI im Rathaus bald so normal sein wie ein Telefon? „Ich würde sagen, ja, sollte es“, sagt Bizer. „Aber jede Verwaltung muss selbst prüfen, wo der Einsatz sinnvoll ist.“ Wohin die Gründer wollen, ist klar: mehr Effizienz, weniger Routinearbeit – und mehr Zeit für echte Begegnungen mit Bürgern. Wenn das gelinge, könne Tivio eines Tages das werden, was das Telefon einmal war: eine Selbstverständlichkeit im Alltag kommunaler Verwaltungen.