AfD-Positionen verbreiten sich auf Tiktok nicht nur über offizielle Parteikonten, sondern auch über Influencer. Eine davon kommt aus Stuttgart. Wer ist „annamarinada“?

Familie, Zusammenleben und Bildung: Julika Wolf (jwo)

Links-grüne Politik, schaut sie euch an!“, sagt Anna Scherer alias „annamarinada“ auf Tiktok. Sie zeigt ein Foto vom Attentat in München, wo kurz zuvor ein 24-Jähriger in eine Menschenmenge gefahren ist. Zwei Menschen starben, darunter ein zweijähriges Kind. „Bilder, die sich alle paar Tage bis wenige Wochen wiederholen, nur die Stadt ändert sich“, sagt sie. Ab morgen werde wieder relativiert und demonstriert. „Wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen?“

 

Anna Scherer ist Mitte dreißig, fünffache Mutter und kommt aus Stuttgart. Sie macht politische Videos auf Tiktok, in denen sie meistens links-grüne Politik und Asylbewerber kritisiert. Damit ist sie nicht allein. Scherer ist Teil der in einer WDR-Doku so genannten „Tiktok-Armee der AfD“: einer großen Zahl äußerst aktiver Nutzerkonten, die so etwas wie das digitale Vorfeld der rechtspopulistischen Partei darstellt.

Soziale Medien statt Parteizeitung und Jugendorganisation – ein relevanter Teil ihres Erfolgs insbesondere unter jüngeren Wählern wird damit erklärt, dass die AfD solche Plattformen besser nutzt und die Algorithmen erfolgreicher füttert als andere. Bei den Unter-25-Jährigen kam die AfD im Februar bei der Bundestagswahl auf 21 Prozent der Stimmen. Erfolgreicher war nur die Linkspartei (25 Prozent), die auf Tiktok ähnlich erfolgreich ist.

Typische Themen

Die Themen der Stuttgarter Tiktokerin Anna Scherer sind typisch für die Rechtspopulisten: die angeblich unter Beschuss stehende Meinungsfreiheit oder die von ihr als „Propagandaveranstaltungen“ bezeichneten Demonstrationen gegen rechts. Demonstrierende nennt Scherer „programmierte Roboter“, die sich um die Täter von Anschlägen sorgten statt um die Opfer.

Scherer hat mit Tiktok angefangen, weil sie die „Black Lives Matter“-Bewegung rassistisch fand. Sie ist selbst Person of Colour, nennt die Anti-Rassismus-Bewegung in einem Gespräch mit der rechts-konservativen Wochenzeitung Junge Freiheit „dieses Black-Zeugs da“. Sie findet es peinlich, zu behaupten, dass schwarzes Leben wichtig ist – wer komme denn auf die Idee, dass es nicht so sein sollte?

Inzwischen hat sie 150.000 Follower und macht auch Tiktok-Clips für die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Auf die Bitte unserer Redaktion um ein persönliches Gespräch hat sie ebenso wenig reagiert wie auf eine zugesandte Fragenliste. Deshalb ist nicht bekannt, ob sie direkte Kontakte zur AfD pflegt. Diesen Eindruck kann man beim Blick auf ihr Profil durchaus gewinnen.

In den Datenspenden von Tiktok-Nutzern, die unsere Redaktion gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk, dem Berliner Weizenbaum-Institut und der Uni Zürich ausgewertet hat, taucht sie immer wieder auf. Vor allem Datenspender, die bei der Bundestagswahl laut eigener Auskunft die AfD gewählt haben, sahen zahlreiche Videos von Anna Scherer in ihren „For You“-Feeds.

Der Tiktok-Algorithmus hat Scherers Video für sie ausgewählt. Und die von zahlreichen anderen Influencern, die sich auf die Seite der Rechtspopulisten stellen. Das hat nicht nur System, sondern erklärt auch den Erfolg der AfD auf Tiktok und, so die Vermutung, an der Wahlurne.

AfD orchestriert die „Tiktok-Guerilla“

„Die AfD will Influencer in ihre medialen Ökosysteme aufnehmen“, sagt Maik Fielitz vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Er beschäftigt sich viel mit sozialen Medien und rechten Akteuren. Teil der Strategie der AfD ist es, Menschen im Umgang mit Tiktok zu schulen. Etwa teilt sie über Telegram Anleitungen, wie man virale Videos schneidet – bekannt ist die Gruppe „Tiktok Guerilla“ (Gruppenbeschreibung: „Hier findest du alles zur rechten Tiktok-Übernahme“).

Fielitz sagt, die Partei lasse die Influencer einfach machen, stelle aber finanzielle Töpfe bereit, falls Unterstützung notwendig ist oder jemand juristische Probleme bekommt. Wie die in den Datenspenden aufgelisteten Videos der AfD-nahen Tiktoker mit der Partei in Verbindung stehen, ist schwer nachzuvollziehen. Viele der Akteure haben Follower mit blauen Herzen, Deutschlandflaggen und AfD-Logos im Profilbild. Wem sie selbst folgen, ist nicht öffentlich. Bleibt nur der Blick auf die Inhalte.

„diewahrheittutleiderweh“ auf Tiktok Foto: Screenshot, Montage: Ruckaberle

Einer, der seine Unterstützung für die AfD offen zeigt, ist „diewahrheittutleiderweh“. Der junge Mann ruft regelmäßig AfD-Wähler auf, seine Videos zu teilen. Was Alice Weidel und ihre Partei wollen, sei genau das, was das Volk wolle, sagt er. In der Biografie seines Profils, dem mehr als 117 000 Menschen folgen, stehen blaue Herzen um das Wort „Pole“ herum. Auf Anfrage unserer Redaktion bestreitet er, dass er die AfD unterstützt. Er persönlich stimme Weidel zwar in den meisten Aussagen zu, sei aber nicht im Auftrag von irgendwem unterwegs oder werde dafür bezahlt.

Nach dem Anschlag in Mannheim, bei dem ebenfalls zwei Menschen getötet wurden, macht er in einem Video Friedrich Merz verantwortlich. „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Hat nicht lange gedauert, Sie sind in der Regierung und die ganze Geschichte geht weiter“, sagt er. „Mit Alice Weidel wäre so etwas sofort unterbunden worden beziehungsweise es wäre niemals dazu gekommen.“ Die Bundestagswahl ist zu diesem Zeitpunkt gut eine Woche her, Friedrich Merz von einer Regierung Monate entfernt. Für den Tiktoker spielt das keine Rolle.

Er ist meistens wütend, spricht vorwurfsvoll, hebt belehrend den Zeigefinger oder die ganze Hand. „Ich bin schockiert“ steht in Großbuchstaben unter seinen Videos, und „Jetzt reicht es endgültig“. Dazwischen immer wieder: „Teilt das Video!“, „Meinung in die Kommentare!“. Seine Themen ähneln denen von Anna Scherer: Deutschland sei nicht mehr demokratisch und nicht mehr sicher.

Eher untypisch: offene Unterstützung für die AfD

Die offene Unterstützung der AfD ist untypisch, findet Maik Fielitz. „Der Markenaufbau ist sehr stark an die AfD gekoppelt.“ Das machen andere eher nicht – weil der Erfolg auf Tiktok damit unmittelbar an den der AfD geknüpft sei. Normalerweise würden AfD-Positionen weniger eindeutig verpackt.

„News_aktuell_mit_Max“ auf Tiktok. Foto: Screenshot/Montage: Ruckaberle

So macht das „News_aktuell_mit_Max“. Auf Tiktok berichtet er über Polizeieinsätze und fügt dann hinzu, dass Deutschland den Bach hinuntergeht. Ein typisches Narrativ, das auch die AfD gerne nutzt. Ein unverbindliches „Es wird alles immer schlimmer“ – was früher besser war, bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen.

„Official_nicht_duu“. Foto: Screenshot, Montage: Ruckaberle

Ein weiteres beliebtes Narrativ der AfD: Nichts darf man mehr sagen. Die Tiktokerin „Official_nicht_duu“ greift in ihren Videos immer wieder Verurteilungen gegen Menschen auf, die Politiker beleidigt oder diffamiert haben, und verkauft das als Kampf gegen die Meinungsfreiheit. „Also ehrlich gesagt überlege ich mir zweimal, was ich sage, wie ich es sage und ob ich es überhaupt sage – und das ist wirklich beängstigend“, sagt sie in einem solchen Video.

„Eilmeldung999“. Foto: Montage: Ruckaberle

Auch Kritik an den Grünen und der Klimapolitik taucht sowohl bei der AfD, als auch bei den Influencern immer wieder auf. Der rechte Tiktoker „Eilmeldung999“ lamentiert Anfang Februar, die Spritpreise würden nun durch die Decke gehen, weil der CO2-Zertifikathandel im Bundestag durchgewinkt worden sei. Von wegen Klimawandel und Wirtschaft zugleich denken: „Das schadet alles der Wirtschaft“, sagt er. Schließlich stiegen die Preise nicht von selbst, sondern weil die Regierung „sich die Preise durch künstliche Steuern hochtreibt“.

Motto: Gegen den Mainstream

Klima, Gendern, Meinungsfreiheit, das sind die Endgegner der rechten Tiktok-Blase. Die Feindbilder sind die Altparteien, Linke, Friedrich Merz und der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk. Maik Fielitz bestätigt das. Die Medien sehen viele allgemein kritisch. Der Tiktoker „Der Infofuchs“, der Clips aus Talkshows postet und sie bei der AfD wohlwollend, bei allen anderen Parteien kritisch kommentiert, schreibt auf Anfrage, er mache Tiktoks, „weil viele etablierte Medien in meinen Augen ihre Aufgabe, objektiv und umfassend zu informieren, nicht mehr ausreichend erfüllen“. Er spreche Themen an, die viele bewegen, aber oft einseitig oder gar nicht dargestellt werden. Seine Perspektive unterscheide sich vom Mainstream.

Gegen den Mainstream, das hört man oft aus der rechten Tiktok-Blase. Man sieht sich als Aufklärer, als Gegenstück zu den Medien, die staatsgesteuert seien oder nicht objektiv berichteten. Interessanterweise stützt man sich dabei selbst gerne auf Medien wie Nius von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt oder die Junge Freiheit.