Zum Ende der Sommerpause kommt es beim Autozulieferer bundesweit zu Kundgebungen gegen den Abbau deutscher Stellen. Am Stammsitz Friedrichshafen gerät erstmals auch das Rathaus ins Visier.
Zum zweiten Mal in diesem Jahr haben am Dienstag Beschäftigte des Autozulieferers ZF gegen den vom Konzernvorstand angekündigten Abbau deutscher Stellen protestiert. Am Stammsitz in Friedrichshafen zogen nach Angaben des Betriebsrats am Morgen rund 4000 Mitarbeiter vom Werk 2 vor die Firmenzentrale am Rand der Innenstadt.
Anlass war die Ankündigung des Vorstands von Ende Juli, innerhalb der kommenden vier Jahre bis zu 14 000 Stellen an den 35 deutschen Standorten zu streichen. Auch an allen anderen deutschen Standorten, von Ahrweiler über Mannheim und Passau bis Saarbrücken oder Schweinfurt, kam es zu Kundgebungen.
Mehr als zehn Milliarden Euro Schulden
Anders als beim vergangenen Friedrichshafener Protestmarsch im Januar zogen die Werker diesmal weiter vors Friedrichshafener Rathaus, dem Sitz der Zeppelin-Stiftung unter Vorsitz des Oberbürgermeisters Andreas Brand. Die kommunal geführte Stiftung und damit die Stadt Friedrichshafen ist Eigentümerin und Nutznießerin der Dividenden der ZF AG sowie der Zeppelin GmbH. Der Oberbürgermeister übt im Aufsichtsrat ein entscheidendes Stimmrecht aus.
„Eigentum verpflichtet“, rief Helene Sommer, die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, zum Rathausbalkon hinauf. Die Stiftung müsse dem Abbau in Deutschland „einen Riegel vorschieben“. Allein: Dort stand und antwortete niemand. Der (parteilose) Oberbürgermeister Brand sei dienstlich verhindert, so die Auskunft.
Brand gibt sein Amt Ende Oktober vorzeitig auf, Neuwahlen stehen an. Im Hintergrund der improvisierten Bühne vor dem Rathaus waren immerhin zwei von sieben Bewerbern um Brands Nachfolge zu sehen. In ersten Hintergrundgesprächen, war zu erfahren, klopft der Betriebsrat unter den Interessierten der ausschließlich männlichen Kandidaten schon einmal ab, auf wessen Seite sie ab Oktober stehen könnten: Beim als profitorientiert wahrgenommenen Vorstand unter ZF-Chef Holger Klein oder bei den aktuell noch rund 54 000 zunehmend beunruhigten und um ihre Arbeitsplätze besorgten Beschäftigten. Gleich noch eine Botschaft an den künftigen Wahlgewinner hatte Gewerkschafterin Sommer: „Es darf keinen Börsengang dieser ZF geben. Das Stiftungsunternehmen muss erhalten bleiben.“
Ein Börsengang wird immer wieder von Finanz- oder Automobilexperten als Lösungsvorschlag ins Spiel gebracht, um mit frischem Geld die enorme Konzernverschuldung – Mitte dieses Jahres noch immer mehr als zehn Milliarden Euro – abzubauen. Das aber lehnt auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Achim Dietrich ab. Die Stiftungsstruktur der ZF und die Jahrzehnte lang gelebte Solidarität im Innern hätten den Konzern groß gemacht. Das dürfe sich nicht ändern. Es sei schon weit genug gekommen, so Dietrich am früheren Morgen in seiner Rede vor der Firmenzentrale. Erneut berichtete er vom tiefen Zerwürfnis zwischen Betriebsrat und Konzernspitze. Der Vorstand spreche „mit gespaltener Zunge“, die Abbaupläne seien „ein Frontalangriff“ auf die deutschen Beschäftigten.
Betriebsrat will um jede Stelle kämpfen
Der auf diese Weise harsch kritisierte Vorstand äußerte sich nur knapp per Pressemitteilung. Lea Corzilius, Personalvorständin und Arbeitsdirektorin, teilte mit: „Wir als ZF können uns nicht von den schwierigen Rahmenbedingungen in der Automobilbranche abkoppeln, wie etwa dem verzögerten Anlauf der E-Mobilität und hohen Produktionskosten vor allem am Standort Deutschland.“ Ziel sei es, „möglichst viele langfristig sichere Arbeitsplätze zu erhalten“. Dietrich betonte am Montag erneut, er wolle „um jede einzelne Stelle kämpfen“.
Auf welche Weise das künftig geschehen könnte, darüber wird in den Betriebsratsbüros der deutschen Standorte längst nachgedacht. Für Oktober, so der Friedrichshafener Belegschaftsvertreter Franz-Josef Müller, der speziell Entwickler und Ingenieure bei ZF vertritt, habe der Vorstand vertiefte Detailangaben über Abbau- und Zusammenlegungspläne angekündigt. Dann werde der Protest womöglich weiter verschärft werden müssen. Metallerin Sommer sagt: Würden Werksschließungen konkret, dann sei auch „ein Streik denkbar“. Noch aber, und speziell nach diesem Tag, hoffe sie auf einen Kurswechsel der Konzernspitze.