Am Samstagnachmittag versammeln sich Zehntausende Demonstranten auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Sie protestieren gegen einen Rechtsruck in der Politik. Die Veranstalter vom BUND sprechen von 44.000 Teilnehmern.
Rollatoren, Kinderwagen und Rollstühle, verschiedene Sprachen, Familien, Kinder und Senioren – am Samstagabend hat sich auf dem Stuttgarter Schlossplatz eine bunte Mischung aus Zehntausenden Menschen versammelt, um gegen den Rechtsruck in der Politik und eine Zusammenarbeit mit der AfD zu demonstrieren.
Damit wollten die Veranstalter vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Baden-Württemberg „ein Zeichen für Demokratie, Zusammenhalt und den Schutz unserer Lebensgrundlagen“ setzen. Auch die Geschehnisse im Bundestag in der vergangenen Woche spielten eine große Rolle – allen voran die Entscheidung von CDU-Chef Friedrich Merz, mit den Stimmen der AfD eine Verschärfung der Migrationspolitik zu erreichen.
Veranstalter spricht von 44 000 Teilnehmern
Der BUND Baden-Württemberg zählte 44 000 Teilnehmer. Die Polizei Stuttgart äußerte sich zu den Zahlen nicht. Zur Demonstration aufgerufen hatte ein Bündnis aus mehr als 20 Organisationen und Verbänden, darunter neben dem BUND im Land der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), Verdi, IG Metall, die evangelische und die katholische Kirche sowie das Bündnis Demokratie und Menschenrechte.
Gefolgt sind Menschen aus der Region Stuttgart und darüber hinaus. Frederic Greber kam mit seiner Frau Sylvia aus Remseck (Kreis Ludwigsburg). Kreativ mit selbst gebasteltem Schild. „SchMerz hör auf“, steht auf der einen Seite, „Braun im blauen Deckmäntelchen“ auf der anderen, darüber ein Bild von AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel. „Für mich war das ein sehr schwerer Tabubruch diese Woche“, sagte der 53-Jährige. Bisher habe er die CDU eher in der Mitte verortet und sich in der Vergangenheit sogar schon überlegt, sie aus taktischen Gründen zu wählen, um eine handlungsfähige Regierung zu gewährleisten. „Jetzt wünsche ich mir einen neuen Kanzlerkandidaten“, sagte er. Hendrik Wüst oder Daniel Günther, zum Beispiel. Für realistisch hielt er diesen Wunsch aber nicht.
Auch Mira, Lisa, Alina und Desron zeigten sich wegen der aktuellen Ereignisse besorgt – und fanden deutliche Worte dafür. „Im Januar ist schon so viel Mist passiert“, sagte Lisa, die an der Universität Hohenheim studiert. „Die Demokratie hat einen Merz-Infarkt“, steht auf ihrem Plakat. Die 22-jährige Alina hat inzwischen Angst um Freunde, die keinen deutschen Pass haben oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung fürchten müssen, angefeindet zu werden. „Wir müssen ein Zeichen setzen“, sagte die 24-jährige Mira, ebenfalls Studentin in Hohenheim. „Und zeigen, dass wir viele sind.“
Sogar die ganz Kleinen hatten Plakate gebastelt. Ronja aus Stuttgart brachte ihre fünfjährige Tochter zur Demo mit, die ihr buntes Plakat mit Glitzer und Federn drauf in die Höhe hielt. Sogar einen Luftballon hatte sie dafür auseinandergeschnippelt und drauf geklebt. Ihrer Mama war es wichtig, dass die Kleine mitbekommt, dass so viele verschiedene Menschen friedlich zusammenkommen können. „Meine Tochter hat Migrationshintergrund“, sagte die 33-Jährige. „Ich will, dass sie weiß, dass sie kein Mensch zweiter Klasse ist.“
Auf der Bühne wiesen Rednerinnen und Redner auf die Bedeutung von Menschenrechten hin und sprachen sich für Zusammenhalt und den Schutz der Demokratie aus. Dass ausgerechnet die Naturschutzorganisation BUND zur Demonstration gegen den Rechtsruck aufgerufen hatte, erklärte die Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch so: „Nur im Rechtsstaat können Umwelt und Natur geschützt werden.“ Durch Rechtspopulismus und die Missachtung des Rechtsstaats seien die Würde des Menschen und seiner Lebensgrundlage massiv bedroht.
Furkan Yüksel, der als Bildungsreferent zu Antisemitismus und Rassismus arbeitet, stand vor einem Jahr schon mal bei einer Demonstration vor der Bühne. „Wir leben immer noch in einer Gesellschaft, in der man sich eher die Frage stellt, wie man rechtsextreme Wähler zurückgewinnt, als zu fragen, wie man Betroffene von Rechtsextremismus schützen kann“, sagte er. Und fügte hinzu: „Das muss sich ändern.“
„Unser Kreuz hat keine Haken“
Auch Vertreter der Kirchen äußerten sich auf der Bühne. „Unser Kreuz hat keine Haken“, sagte Karin Schieszl-Rathgeb, Ordinariatsrätin Diözese Rottenburg-Stuttgart. Kai Burmeister, Vorsitzender des DGB im Land, appellierte an alle in der CDU: „Sie haben Verantwortung in diesem Land. Bekennen sie sich zur Brandmauer und seien sie nicht Brandstifter.“
Zwischendrin sang der Musiker Patrick Bopp mit der bunten Meute Lieder wie „Bella Ciao“ und animierte dabei alle, mitzumachen – egal, ob sie singen können oder nicht. Und das Publikum sang.
„Den Menschen ist wichtig, Zusammenhalt zu spüren“, sagte die BUND-Landessvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch unserer Zeitung am Rande der Demonstration. Angemeldet hatte der BUND ursprünglich 3000 Teilnehmer – vor nicht einmal einer Woche. Sie findet es super, dass so viele gekommen sind. Wenn in Freiburg und Tübingen viele Menschen für die Demo zusammen kommen würden, müsse man in Stuttgart zeigen: „Zentral kriegen wir auch was hin“.