Die Grünen liegen nahezu hoffnungslos hinter der CDU. In der Vergangenheit holten sie Rückstände auf, diesmal ist die Kluft krass. Allerdings entscheidet über Landtagswahlen immer stärker der Spitzenkandidat. Hat Cem Özdemir gegen Manuel Hagel doch noch eine Chance?

Die Grünen verstehen sich als eine Programmpartei. Personen sind – der Theorie nach – nicht so wichtig. Es geht um die Sache. Sollte dies jemals so gewesen sein, verhält es sich inzwischen anders. In Berlin macht sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als Kanzlerkandidat schön. Sein Auftrag lautet, die Regierungsfähigkeit der Grünen unter Beweis zu stellen. Dazu benötige er, so raunen die Realos unter den Grünen, maximale Beinfreiheit. Nur so komme die Partei aus der Ecke heraus, in die sie eigene Fehler sowie das Trommelfeuer der politischen Konkurrenz gebracht hätten. Und in Baden-Württemberg hält Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine Partei mehr als 13 Jahren an der Macht, das heißt: in der Villa Reitzenstein, der Regierungszentrale.

 

Doch Kretschmanns Tage als Regierungschef sind gezählt, sein Stern sinkt. Die Demoskopen von Infratest dimap sehen den Ministerpräsidenten schon seit einiger Zeit deutlich entfernt von einstigen Beliebtheitsspitzenwerten. Aktuell liegt seine Zustimmung bei 56 Prozent. Das sind zwar zwei Prozent mehr als bei der Umfrage im Mai. Vor fünf Jahren indes lag dieser Wert noch bei 77 Prozent. Gleichwohl rangiert der 76-Jährige weit vor dem CDU-Landesvorsitzenden Manuel Hagel (36). Obwohl Hagel rastlos diesseits und jenseits der Landesgrenzen unterwegs ist – und auch seine digitale Präsenz expansiv pflegt – fehlt es ihm noch an Bekanntheit. Zwei Drittel der Befragten müssen passen, wenn nach ihm gefragt wird. 17 Prozent äußern Zustimmung zu seinen Tun. 16 Prozent sind unzufrieden mit ihm. Für die meisten Baden-Württemberger ist er ein unbeschriebenes Blatt. Das ist einerseits ein Nachteil, andererseits verschafft ihm dies die Möglichkeit, die eigenen Leerstellen in einem Akt der Selbsterschaffung positiv zu füllen.

Dies wiederum verhält sich bei Cem Özdemir anders. Der 58-Jährige ist schon lange im Geschäft, ging durch Höhen und Tiefen und hatte zuletzt als Bundesagrarminister bei den Bauernprotesten einen schweren Stand. Mit seiner Arbeit zeigen sich 44 Prozent der Befragten zufrieden. 45 Prozent äußern sich indes als unzufrieden. Özdemir, der in Stuttgart ein Direktmandat für den Bundestag hält, polarisiert also in gewisser Weise. Stattliche 89 Prozent der Befragten kennen ihn. Damit liegt er nur vier Prozentpunkte hinter Kretschmann.

Özdemir gilt als wahrscheinlicher Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl im März 2026. Wenn er will, wird ihn der Landesverband aufs Schild heben. Die Entscheidung naht, lange kann er damit nicht mehr warten. Sein potenzieller Kontrahent Hagel will sich mit der Nominierung zum Spitzenkandidaten noch Zeit lassen, klar ist aber, dass er die Aufgabe anstrebt und erhält.

In der neuen Umfrage kommen die Christdemokraten auf 34 Prozent. Die Grünen hingegen müssen sich mit 18 Prozent begnügen. Man muss schon ins Jahr 2010 zurück gehen, um bei den Umfragen von Infratest dimap für die Stuttgarter Zeitung und den SWR auf einen schlechteren Wert zu kommen: Das waren 17 Prozent im Februar 2010. Die Grünen waren damals noch in der Opposition. Doch tut die CDU gut daran, Triumphgefühle einzuhegen. Eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl 2016 hatte sich die Partei an einem Umfragewert von 41 Prozent berauscht. Am Ende wurden es doch nur 27 Prozent – Platz zwei hinter den Grünen.

Deren Landeschef Pascal Haggenmüller mahnte dieser Tage: „Wir müssen Stärke aus unseren eigenen Themen entwickeln.“ Die Partei dürfe sich nicht vom politischen Gegner treiben lassen. Den Grünen würden Probleme angehängt, für die nun wirklich andere verantwortlich seien: zum Beispiel die fatale Abhängigkeit vom russischen Gas. Dennoch muss die Partei jetzt auf einen starken Spitzenkandidaten hoffen, der von der Wählerschaft als tüchtig, erdverbunden und glaubwürdig angenommen wird.