Fairnessvereinbarung Mit Regeln gegen Deepfakes
Experten für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Wahlkampf legen den Parteien ein Fairnessabkommen nahe. Die Reaktion in der Landespolitik ist verhalten.
Experten für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Wahlkampf legen den Parteien ein Fairnessabkommen nahe. Die Reaktion in der Landespolitik ist verhalten.
Da wollte sich einer in seinem trüben Teich als toller Hecht darstellen: Diese Woche trat der AfD-Abgeordnete Daniel Lindenschmid in einem Shirt ans Rednerpult, auf dem eine politische Botschaft prangte: „Debatte statt Gewalt #Charlie Kirk“ stand auf der Brust des 33-Jährigen. Jedenfalls legte dies ein später via Social Media verbreitetes Foto nahe. Ganz so verhielt es sich indes nicht. Das Foto erwies sich als nachträglich bearbeitet.
Parlamentspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) hatte Lindenschmid aufgefordert, sein Jackett zuzuknöpfen, um den Schriftzug unkenntlich zu machen, denn derlei nonverbale Bekundungen sind nach den parlamentarischen Gepflogenheiten zu unterlassen – generell, nicht nur, weil Charlie Kirk ein US-Aktivist war, der Rassismus und Antisemitismus vertrat. Er verbreitete die Mär von der gefälschten Präsidentschaftswahl 2021, in deren Folge Anhänger von Donald Trump das US-Kapitol stürmten. Vor einigen Wochen wurde Kirk Opfer eines Attentats.
Die technische Manipulation von Bildern und Tönen wird schon länger als politische Waffe eingesetzt: sei es zur gezielten Täuschung im Einzelfall, sei es als Instrument, um die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge generell zu verwischen. „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke“ – so heißt es schon in Orwells dystopischen Roman „1984“. Lügen sind keine Erfindung der digitalen Welt. Dort verbreiten sie sich allerdings besonders rasant.
In der evangelischen Akademie Bad Boll treffen sich an diesem Wochenende KI-Experten aus Wissenschaft und Praxis, um über die Frage zu diskutieren, wie neue Technologien die Demokratie verändern. Vor der Bundestagswahl im vergangenen Februar hatten CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und Linkspartei formell Fairnessregeln vereinbart, mit denen ein respektvoller Umgang im Wahlkampf verbürgt werden sollte.
Man versprach sich in die Hand, nicht die Wahlplakate der Konkurrenz abzuhängen, keine Lügen sowie Fehlinformationen zu verbreiten oder den politischen Gegner verächtlich zu machen. Ein eigener Abschnitt widmete sich dem digitalen Wahlkampf. Alles mit KI-Systemen erzeugte Material, so lautete die Absprache, werde mit dem Label „KI-generierter Inhalt“ versehen. Weiter hieß es: „Deepfake-Technologien nutzen wir nicht, um politischen Mitbewerbern Aussagen in den Mund zu legen, die sie nicht tatsächlich getätigt haben.“
David Fischer, KI-Experte und Managing Partner bei der Agentur „Politagents“, resümiert: „Die Bundesparteien gaben die Fairnessregeln flächendeckend an Mitglieder und Kandidierende weiter und diese hielten sich daran.“ Eine vergleichbare Abmachung hält er für die Landtagswahl im kommenden März für sinnvoll. Die Parteien im Südwesten sollten aus ihrem „digitalen Schlaf“ erwachen. Wer zusehe, wie sich das Netz zum digitalen Schlachtfeld entwickle, gefährde die Demokratie durch Unterlassung. „Entweder die Parteien schaffen Regeln – auch für ihre Anhänger, die in anonymen Accounts die Social-Media-Kanäle befeuern – oder sie machen sich mitschuldig am zunehmenden Vertrauensverlust.“ Fischer war in seinem Vorleben als Journalist und auch mehrere Jahre als Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion tätig. Schon zur Bundestagswahl 2013 gab es koordinierte Versuche zur politischen Desinformation. Dies nach heutigen Maßstäben mit steinzeitlichen Methoden. Bezahlte Mitarbeiter saßen an Computern und tackerten händisch böswillige Kommentare ins Netz. Trollfabriken wie die „Internet Research Agentur“ (schon der Name ist ein Beispiel für den von Orwell angeprangerten „Doppelsprech“) versuchten so, im Westen Unfrieden zu stiften. Inzwischen erledigen dies KI-gestützte Bots, die kaum von echten Nutzern zu unterscheiden sind. Diese Programme, sagt der KI-Experte Fischer, erlauben eine personalisierte Ansprache, sie geben intelligente Antworten und sind in der Lage, Inhalte stark zu emotionalisieren. „Bots spülen Inhalte in die Sichtbarkeit der Nutzer.“ Starke Gefühle aber sind ein Anreiz, Botschaften zu teilen. Auf diese Weise bilden sich im Netz Strömungen, die auf kulturelle Hegemonie zielen.
Maria Pawelec vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen verweist auf sogenannte Robocalls in den USA, manipulierte Audioaufnahmen in der Slowakei, gefälschte Social Media Profile von Parteianhängern in Deutschland: „Weltweit werden zunehmende Manipulationsversuche mit Hilfe von Deepfakes im Kontext von Wahlen dokumentiert, darunter auch bei der vergangenen Bundestagswahl“, sagt sie. Eine freiwillige Vereinbarung sei umso wichtiger, da die Regelungen der EU-Verordnung zum Gebrauch von KI nur schrittweise in Kraft treten. Die für den Wahlkampf besonders relevanten EU-Transparenzpflichten für Deepfakes gelten erst vom August 2026 an.
Was in den USA bereits geschah, ist auch in Deutschland denkbar: Am Smartphone meldet sich eine dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann täuschend echt nachgestellte Stimme, die vor der Landtagswahl zur Wahl der CDU auffordert: „Sie kennen mich, ich bin ein konservativer Mensch, ich will nur das Beste für das Land.“ Oder auf Instagram erscheint ein KI-generiertes Foto, das CDU-Landeschef Manuel Hagel im Hinterzimmer vertraulich tuschelnd mit dem AfD-Ministerpräsidentenkandidaten Markus Frohnmaier zeigt.
Die Landesparteien reagieren auf die Frage nach einer Fairnessvereinbarung im Landtagswahlkampf allerdings verhalten. CDU-Generalsekretär Tobias Vogt zeigt sich immerhin aufgeschlossen: „Wir sind in unserer politischen Arbeit in einem ständigen, guten Dialog mit Kollegen von FDP, SPD sowie Grünen – und dementsprechend auch immer gesprächsoffen.“ Jede Form von Extremismus, Antisemitismus oder Rassismus habe keinen Platz im Wahlkampf“, sagt der CDU-Generalsekretär.
Generell scheint man bei den Parteien der Meinung zu sein, eine solche Vereinbarung sei nicht nötig. Die FDP lässt mitteilen: „Als demokratische Partei der Mitte fühlen wir Freie Demokraten uns stets der Fairness im Diskurs mit den politischen Mitbewerbern verpflichtet. Das gilt auch und besonders in Wahlkampfzeiten.“ Aus der SPD verlautet, man halte sich „selbstverständlich an die Regeln für einen respektvollen, transparenten und sachorientierten Wahlkampf“. Deepfakes oder manipulierte Inhalte dürften keinen Platz im Wahlkampf haben. Vom Team des Grünen-Spitzenkandidaten Cem Özdemir hieß es: „Wir wollen so übereinander reden, dass wir uns am Tag nach der Wahl nicht entschuldigen müssen. Wir gehen davon aus, dass es die demokratischen Mitbewerber auch so halten – mit Fairnessabkommen oder ohne.“