Schwarzer Donnerstag Als die CDU die Macht verzockte
Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) eskalierte den Konflikt um Stuttgart 21, weil er glaubte, nur so noch die Landtagswahl 2011 gewinnen zu können. Das riskante Spiel verlor er.
Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) eskalierte den Konflikt um Stuttgart 21, weil er glaubte, nur so noch die Landtagswahl 2011 gewinnen zu können. Das riskante Spiel verlor er.
Wenn sich ein Tag nennen lässt, der die jahrzehntelange Herrschaft der CDU in Baden-Württemberg ins Wanken brachte, dann ist dies der 30. September 2010: der Schwarze Donnerstag. Alternativ lässt sich die Kernschmelze in Fukushima als ausschlaggebend für den Wahlsieg der Grünen anführen. Die Reaktorkatastrophe im fernen Japan zerstörte wenigstens zeitweise den Glauben an die Beherrschbarkeit der Atomenergie. Fukushima markierte das Ende jener technokratischen Modernisierungsideologie, die behauptet hatte, der Mensch könne die Erde ohne Rücksicht auf Risiken nach Belieben steuern. Politische Kräfte, die heute bei der Energiewende Technikoffenheit einfordern, hatten die Atomkraft mit riesigen Beträgen subventioniert. Wobei: Das Wort Atomkraft war verpönt, von Kernenergie sollte gesprochen werden. Das klang unschuldig. Jedenfalls erinnerte es weniger an die Atombombe. Die Sprachpolizei trat damals im konservativen Gewand auf.
Fukushima wirkte indes als externes Ereignis auf die Landespolitik im Vorfeld der Wahl 2011 ein. Den Konflikt um Stuttgart 21 hatten sich die Christdemokraten selbst eingebrockt. Das Problem der CDU lag nicht in der Zielauswahl: Für den Tiefbahnhof optierten auch andere, etwa die Hälfte der SPD, auch die FDP. Als falsch erwies sich jedoch der Weg, den der Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) einschlug, um dieses Ziel zu erreichen: Die schwarz-gelbe Koalition eskalierte den Streit absichtsvoll. Mappus wähnte, damit bei der Landtagswahl im März 2011 zu reüssieren. Er setzte darauf, die konservativen Wähler auf dem Land zu mobilisieren, die seiner Partei seit Jahrzehnten die Mehrheit im Südwesten garantierten. Land gegen Stadt, Kleinbürger gegen Stadtbürger, Ordnungsliebe gegen Chaoten: Das war – der Name trifft es hier – Schlachtplan. CDU-Generalsekretär Thomas Strobl versandte Pressemitteilungen, in denen er von einem „schwarzen Block“ schwadronierte, der Gewalt und Anarchie verbreite.
Bezogen auf die eigene Partei ging der Plan von Stefan Mappus sogar auf. Die CDU erreichte bei der Landtagswahl immerhin noch 39 Prozent und erhielt fast 200 000 Stimmen mehr als Günther Oettinger fünf Jahre zuvor, der auf über 44 Prozent gekommen war. Diese Zahlen offenbaren zugleich, weshalb Mappus sich dennoch verkalkuliert hatte: Mehr noch als die eigenen Truppen mobilisierte er die Gegenseite. Die Baden-Württemberger wollten zivil regiert werden, nicht autoritär. Die Grünen vermochten ihr Prozentergebnis verdoppeln, ihre Stimmenzahl stieg von 463 000 auf 1,2 Millionen. Ihr Spitzenkandidat Winfried Kretschmann avancierte zum ersten Ministerpräsidenten der Grünen. Inzwischen amtiert er im Südwesten länger als jeder Regierungschef vor ihm.
Kretschmann sagt immer, seine erste Wahl habe er äußeren Faktoren zu verdanken, für den zweiten und dritten Wahlsieg aber erkennt er eine beachtliche Eigenleistung. Vertrauen fassten die Baden-Württemberg vor allem nach der Volksabstimmung über Stuttgart 21 im November 2011. Kretschmann anerkannte die Niederlage der Grünen umstandslos. Das war zwar eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch viele hatten diese Klarheit offenkundig nicht erwartet. Dass Kretschmann inzwischen sehr kritisch über die direkte Demokratie denkt, hat freilich weniger mit der Volksabstimmung über Stuttgart zu tun als mit deren Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten, die sich sehr geübt darin zeigen, Menschen aufzuhetzen.
Freilich mussten sich auch die Grünen zu ihrem Agieren rund um den Schwarzen Donnerstag Fragen gefallen lassen. Cem Özdemir, damals Bundesparteichef der Grünen, kommentierte die Ereignisse im Schlossgarten mit den Worten: „Mappus wollte Blut sehen.“ Er entschuldigte sich. Der CDU-Abgeordnete Reinhard Löffler keilte zurück: „Könnte es sein, dass noch immer Gedankengut von Blutfehde aus der anatolischen Vergangenheit in ihm (Özdemir) lebendig ist?“ Auch Löffler entschuldigte sich. So war die Stimmung in jenen Tagen. Die Grünen hatten auch Mühe, sich nicht mit den „Lügenpack“-Gebrüll vor dem Landtag gemein zu machen. Die pauschale Parlamentskritik ist auch im Kontext der damaligen globalen Finanzkrise zu sehen, die die Hilflosigkeit liberaler Demokratien im Umgang mit den internationalen Finanzinteressen offenbart hatte. Was den Schwarzen Donnerstag angeht: Die Unbefangenheit, mit der jugendliche Demonstranten Polizeifahrzeuge erklommen, um dort herumzutrampeln, fanden nicht nur Nostalgiker des Untertanengeistes befremdlich.
Für die Grünen ging es im Kampf um Stuttgart 21 eben auch um Macht, weniger im Landtag als im Stuttgarter Gemeinderat, wo sie temporär zur stärksten Fraktion avancierten. Zwei Jahre später gewann Fritz Kuhn die Oberbürgermeisterwahl.