Auszubildende in der Region Stuttgart Das Handwerk trotzt der Krise
Am Samstag ist der zehnte Tag des Handwerks und die Kammer warnt vor einem zweiten Lockdown. Hier kommen Azubis aus außergewöhnlichen Berufsfeldern zu Wort.
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Franziska (23, links) und Elena Dangel (19) in der Werkstatt des Klempnerbetriebs
Foto Horst Rudel
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Samuel Sänger (19), Azubi in der Brauerei: „Ich sehe die Ausbildung erst mal als Grundlage für alles, was noch kommt“, sagt der 19-jährige Samuel Sänger. Deswegen hat er direkt nach dem Abitur dieses Jahr eine Lehre zum Brauer und Mälzer bei der Lammbrauerei Hilsenbeck angefangen. Die kommenden drei Jahre lernt er hier in Gruibingen (Kreis Göppingen), das deutsche Kultgetränk nach Familienrezept zu brauen. Dabei sind seine Kenntnisse aus dem Chemie-Leistungskurs im Abitur sicherlich hilfreich. „Ich habe mich schon immer für chemische Prozesse interessiert, und mein Bruder hat mich dann auf die Idee gebracht, eine Ausbildung in einer Brauerei zu machen“, sagt der junge Eschenbacher. Für seine Entscheidung, nach dem Abitur erst mal eine Ausbildung zu machen, habe er sich nie rechtfertigen müssen. „So sammle ich Berufserfahrung und erlebe, wie es ist, richtig zu arbeiten“, erklärt Sänger. Die nahe gelegene Familienbrauerei habe er vor allem ausgesucht, da es sich um einen kleinen Betrieb handelt. Der frischgebackene Azubi hofft, dass er dadurch noch mehr Einblicke in dieses außergewöhnliche Handwerk gewinnen kann. Die ersten zwei Wochen habe er bis jetzt nur beim Abfüllen der Bierflaschen mitgeholfen, aber er freue sich schon auf seinen Einsatz in der Filtration und dem Sudhaus.Aufgrund der Corona-Krise habe er allerdings kurzzeitig befürchtet, dass seine Ausbildung komplett ins Wasser fallen könnte. „Ich hatte bis dahin nur eine mündliche Zusage – das hat mich echt nervös gemacht.“ Doch nach kurzer Zeit kam die Rückmeldung der Brauerei: Sängers Ausbildung konnte wie geplant Anfang September starten. Ob er für den Rest seines Lebens Bier brauen wolle, könne er jetzt noch nicht sagen. Aber seinem Handwerk sagt Samuel Sänger eine positive Zukunft voraus: „Bier als Genussmittel wird doch immer konsumiert – auch in schlechten Zeiten.“
Foto factum/Simon Granville
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Daniel Seela (21), Azubi im Klavierbau: „Ich fand die Klavierbauer als Typen schon immer cool“, sagt Daniel Seela, Auszubildender bei Piano Hölzle in Sindelfingen. Seit er 13 Jahre alt war, half Seela jedes Wochenende in der Klavierwerkstatt seines selbstständigen Vaters aus. Spätestens in der Oberstufe des Gymnasiums steht fest: Daniel Seela will die Ausbildung zum Klavier- und Cembalobauer machen. In der ganzen Region Stuttgart ist der 21-Jährige der einzige, der sich für diesen exotischen Ausbildungsberuf entschieden hat. In seinem Freundeskreis starten alle anderen direkt mit dem Studium. „Manchmal rufen meine Freunde mich an und fragen, ob ich einen Schrank zusammen bauen kann – das ist natürliche ein Vorurteil, weil ich Handwerker bin“, sagt Seela. Denn in der Werkstatt und den Verkaufsräumen von Piano Hölzle hat Daniel Seela nicht viel mit Holz zu tun. Während seiner Arbeitszeiten repariert er Klaviere, führt Generalüberholungen durch und setzt neue Dämpfer ein. „Aber am liebsten stimme ich – das ist mega komplex.“ Als aufgrund der Corona-Krise der Ladenverkauf geschlossen bleiben musste, konnte Seela noch mehr in der Werkstatt mit seinen Meistern zusammen arbeiten. „Ich habe so gesehen sogar von Corona profitiert“, sagt er. Der Arbeitsalltag sei in diesen Wochen noch viel intensiver gewesen, und er habe extrem viel gelernt. Sorgen um seinen Ausbildungsbetrieb habe er sich nie gemacht. Er habe das Gefühl, dass seine Branche gut behütet durch die Krise gekommen sei. Wenn er daran denke, wie viele Menschen Klaviere zu Hause hätten, blicke er entspannt auf seine berufliche Zukunft. Daniel Seela ist überzeugt: „Digitalpianos werden zwar immer besser, aber das Klavier als Instrument ist einfach schwer einzuholen“.
Foto Horst Rudel
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Leon Wirsig (23), Azubi beim Bestatter: Bestatter war schon immer der Traumberuf von Leon Wirsig. „Ich hatte von klein auf eine Faszination für das Tabuthema Tod“, sagt der 23-Jährige. Immer wenn irgendwo ein Bestattungswagen vorgefahren sei, habe er sein Umfeld mit Fragen gelöchert. Noch mehr Gewissheit, dass dieser Job der richtige für ihn ist, erhielt Wirsing durch ein Schulpraktikum in Göppingen. „Mir geht es vor allem um den Dienst an den Angehörigen. Wir Bestatter können entlasten und für einen reibungslosen Ablauf sorgen“, erklärt der Göppinger. Doch nach seinem Hauptschulabschluss findet Wirsig nicht direkt einen Ausbildungsplatz – ganze zwei Jahre ist er auf der Suche. Schlussendlich landet er bei dem Bestattungsinstitut, wo er einige Jahre zuvor schon ein Praktikum gemacht hat: Schmid Bestattungen. Nur wenige junge Menschen entscheiden sich für die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. „Viele schreckt die direkte Arbeit mit den Verstorbenen ab“, weiß Wirsig. Dabei mache die Überführung von Verstorbenen nur einen Teil seiner Aufgaben aus. Die Hälfte seiner Arbeitszeit sitze er auch im Büro, um beispielsweise Trauerfeiern oder Urnenbeisetzungen zu organisieren. „Im Bestattungsinstitut sieht jeder Tag anders aus. Ich weiß nie, was als nächstes auf mich zukommt.“ An seine psychischen Grenzen sei er dabei in den letzten zwei Jahren noch nicht gestoßen – wenn, dann nur an seine körperlichen. „Für diesen Beruf muss man robust sein“, sagt Wirsig. Schließlich reagierten manche Menschen in Situationen der Trauer oft extrem – dann sei es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren. Dabei achtet der Auszubildende strikt darauf, Berufliches und Privates zu trennen: „Sobald ich nach Feierabend im Auto sitze, denke ich nicht mehr an die Arbeit.“In der Hochphase der Corona-Krise mussten er und seine Kollegen die Verstorbenen in Schutzanzügen abholen – um sich selbst und die Angehörigen zu schützen. Schlimm sei es auch gewesen, als zu Bestattungen und Trauerfeiern nur eine sehr begrenzte Personenzahl zugelassen war. „Es war für die Angehörigen echt schwierig, in einer solchen Situation zu entscheiden, wer kommen darf und wer nicht“, erinnert sich Wirsig.
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Franziska (23, rechts) und Elena Dangel (19), Azubis im Klempnerbetrieb: „Frauen im Handwerk sind nicht sichtbar genug, deswegen ist das für viele gar keine Option“, sagt die 19-jährige Elena Dangel. Das wollen sie und ihre Schwester Franziska ändern: Als „Handwerksschwestern“ teilen die beiden jungen Frauen ihren Arbeitsalltag als angehende Klempnerinnen mit 1700 Followern auf Instagram. Die Entscheidung, im elterlichen Betrieb Dangel-Metall in Lenningen (Kreis Esslingen) anzufangen, sei relativ spontan gefallen, so die ältere Schwester Franziska. Die 23-Jährige hatte zu diesem Zeitpunkt ein Bachelorstudium in BWL-Immobilienwirtschaft abgeschlossen, ihre kleine Schwester stand kurz vor dem Abitur. Beide wollen später als Klempnerinnen arbeiten, wählten aber unterschiedliche Ausbildungswege: Franziska begann 2018 eine betriebliche Ausbildung, Elena letztes Jahr ein duales BWL-Studium mit dem Schwerpunkt Handwerk – inklusive Praxisphasen im Betrieb. Viele Frauen trauten sich nicht, eine handwerkliche Ausbildung zu machen, „da es eben immer noch viel zu sehr als Männerberuf bekannt ist und viele Respekt vor der körperlichen Arbeit haben“, sagt Franziska Dangel. Obwohl die beiden Schwestern viel Unterstützung von Familie und Freunden erhielten, hätten sie anfangs auch gezweifelt. „Wir haben beide eben sehr hohe Ansprüche an uns selbst – auch als Töchter der Geschäftsführung“, so Elena. Die anfänglichen Zweifel seinen inzwischen aber verflogen. Elena ist sich nach ihren ersten Praxisphasen im Betrieb sicher: „Frauen können im Handwerk genau so viel leisten wie ihre männliche Kollegen.“ Viele würden bei Klempnerarbeiten immer an Sanitäranlagen denken, dabei mache dieser Bereich nur einen kleinen Teil ihres Arbeitsalltags aus, erklären die Dangel-Schwestern. Auf Baustellen seien sie viel öfters mit Dach- oder Außenverkleidungen beauftragt. Der Zukunftsplan der beiden Schwestern steht fest: Nachdem beide den Meister gemacht haben, wollen sie den Betrieb der Eltern übernehmen. Und das Sichtbarmachen von Frauen im Handwerk steht weiterhin oben auf ihrer Liste. „Viele haben nach der Schule absolut keine Ahnung, was sie machen wollen – man muss ihnen das Glück vor Augen führen“, sagt Elena.