Drei Jahre Corona im Kreis Böblingen Rückblick auf das Virus mit Abstand
Vor genau drei Jahren machte sich das Coronavirus auch im Kreis Böblingen breit. Die massiven Auswirkungen sind bekannt, und doch hat man manche Entwicklung vergessen oder verdrängt. Wir erinnern uns.
9 Bilder
Foto Stefanie Schlecht
1 / 9
Gespenstische Leere während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020
Foto Adobe Stock/Aglamaz
2 / 9
Der erste Aufschlag: Das Virus hat nicht lange gezögert, bis es Böblingen heimsuchte. Am 27. Februar 2020, fast genau einen Monat nach Ankunft des Erregers in Deutschland, hatte auch der Landkreis seinen ersten Patienten. Und der war ziemlich politisch: Matthias Miller, CDU-Kandidat für die damals anstehende Landtagswahl, erwischte es als Ersten. Miller brachte damit nicht nur das CDU-Parteileben im Vorfeld der Wahl ordentlich durcheinander, sondern auch die Behörden auf Trab: Einen Tag später war bereits die Corona-Hotline im Landratsamt geschaltet, die sich zu einer der am meisten gewählten Telefonnummern der kommenden Monate entwickelte. Nur eine knappe Woche danach stand auch ein Testzentrum für Verdachtsfälle bereit – eines der ersten im Land. Wie gefährlich das Virus ist, zeigte sich ebenso rasch: Am 23. März vermeldete der Landkreis den ersten Corona-Toten. (mis)
Foto Stefanie Schlecht
3 / 9
Leere Plätze: Das Wort „Lockdown“ meint das Schließen der Zellentüren in einem Gefängnis. Genau so fühlte es sich für viele auch an, als ab dem 18. März 2020 Ausgangssperren galten und alle Geschäfte des „nicht täglichen Bedarfs“ geschlossen wurden. Wer durch menschenleere Fußgängerzonen lief, kam sich vor wie in einem Endzeitdrama. Im Einzelhandel ging Existenzangst um. Die strengen Maßnahmen zeigten aber Wirkung: Mit zurückgehender Inzidenz konnten am 20. April Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmetern Fläche wieder öffnen. Mit „Homeschooling“ wurde noch ein exotischer Begriff Alltagssprache. Der Schulalltag wurde dagegen eher exotisch: zwischen chaotischen Videokonferenzen und Bibbern im Klassenzimmer. Die verschlafene Digitalisierung rächte sich jetzt. Im Herbst 2020 kam der nächste Lockdown. (edi)
Foto Stefanie Schlecht
4 / 9
Hamstern und Helfen: Im März 2020 ging nicht nur die Angst vor der Infektion um, auch die Sorge davor, ohne Lebensmittel oder Hygieneartikel zu Hause eingesperrt zu sein, trieb die Menschen um. Besonders begehrt in den Supermärkten und Drogerien waren Toilettenpapier, Nudeln, Mehl oder Hefe. Ziemlich genau zwei Jahre später folgte der Krieg in der Ukraine. Hier avancierten vor allem Öl und Mehl zur Mangelware. Die Anfangszeit der Pandemie war aber nicht nur von Eigensinn geprägt, Nachbarschaftsinitiativen wie „Buntes Böblingen“ und „Helfen statt Hamstern“ standen für Hilfsbereitschaft und Solidarität. Empathie äußerte sich auch in Aktionen wie gemeinsamen Singauftritten. Die Straßen und Plätze vor Pflegeheimen verwandelten sich immer wieder zu musikalischen Freiluftbühnen, bei denen Menschen anderen Menschen mit ihren Ständchen eine Freude bereiten wollten. (dud)
Foto Eibner/Drofitsch
5 / 9
Hohe Belastung: Wer hat sich mit wem wie lange und in welchem Abstand unterhalten? Das Böblinger Gesundheitsamt war beim Kontaktpersonenmanagement schwer gefordert. Ab Oktober 2020 halfen sogar 30 Bundeswehrsoldaten. Wurde aus dem Labor ein positiver Corona-Fall gemeldet, mussten die Infizierten angerufen, alle Kontaktpersonen erfragt und ebenfalls benachrichtigt werden. Ausnahmezustand herrschte auch in Pflegeheimen und Krankenhäusern, die Mitte März 2020 ihre Pforten schlossen. Bewohner und Patienten waren lange von der Außenwelt abgeschnitten. In den Kliniken wurden normale Pflegekräfte in Intensivpflege geschult. Besonders bei den Beatmungsplätzen kamen die Krankenhäuser an ihre Grenzen. Manche Pflegeheime hatte viele Todesfälle unter den einsamen Bewohnern zu beklagen – eine enorme Belastung für Angehörige und Mitarbeiter. (the/krü)
Foto Eibner-Pressefoto/Roger Bürke
6 / 9
Möglichst wenig Kontakt: Einen Esstisch wie bei Putins – das hätten wir uns zu Ostern 2020 gewünscht, als die Kontakteinschränkungen bis hinein ins Familienleben wirkten. Selbst wenn Oma und Opa gleich nebenan lebten, wurden sie jetzt zu entfernten Verwandten. Es war die Zeit der selbst genähten Masken. Kamen wir uns anfangs im Restaurant oder Supermarkt noch wie Bankräuber vor, so schauten wir bald selbst mit strengem Polizistenblick auf alle, die es wagten, „oben ohne“ aus dem Haus zu gehen – oder fast noch schlimmer: die Maske unterhalb der Nase zu tragen. Selbst in der Fußgängerzone galt Maskenpflicht, und Gemeinderäte tagten in Sporthallen (Foto). Die magische Grenze bei der Inzidenz lag bei 35! Weihnachten 2020 wurde zum Fest der Einsamkeit – mit Bescherung und Weihnachtsliedersingen per Skype. Und viele dachten nur eins: Nächstes Jahr ist der Spuk garantiert vorbei. (edi)
Foto Stefanie Schlecht
7 / 9
Das große Testen: Mit seinen fünf offiziellen Schnelltestzentren war der Kreis Böblingen beim Testen ein bundesweiter Vorreiter. Bereits im Dezember 2020 öffnete in Holzgerlingen das erste der später fünf Testzentren: Es folgten Böblingen, Sindelfingen, Herrenberg und schließlich Leonberg. Ärzte und Apotheker versorgten die Bevölkerung mit Schnelltests, PCR-Tests, Express-Tests und Antikörper-Tests. Zeitweise war die Nachfrage so hoch, dass Testtermine nur mit hohem Geschick ergattert werden konnten. Phasenweise befand sich an jeder Ecke eine Teststelle – nicht immer ganz seriös. Neben der 3-G-Regelung am Arbeitsplatz brachte auch die kurzfristig eingeführte 2-G-Plus-Regelung, mit der sich auch Geimpfte und Genesene freitesten mussten, die Infrastruktur an die Grenze des Machbaren. Und den ein oder anderen Veranstalter wohl an den Rand des Wahnsinns. (mel)
Foto Stefanie Schlecht
8 / 9
Stotternder Impfstart: In Rekordzeit war Impfstoff da. Die erste Impfung im Landkreis Böblingen bekam am 27. Dezember 2020 eine 86-Jährige im DRK-Pflegezentrum Sindelfingen, für ein Kreisimpfzentrum wurde im Januar 2021 in kürzester Zeit die Sindelfinger Messehalle umgebaut. Doch auf den ersten Jubel folgte die Ernüchterung. Das Vakzin war viel zu knapp, der Ansturm nicht zu bewältigen. Die Telefon- und Online-Anmeldungen gerieten insbesondere für ältere Menschen zum Desaster, die Impfwilligen fuhren in ganz Baden-Württemberg umher, um einen Pieks zu ergattern. Erst nach gut drei Monaten normalisierte sich die Lage. Ende Mai schrieb der erste „Impfmarathon“ in Holzgerlingen Lokalgeschichte (Foto), im Dezember folgten weitere im Sindelfinger Glaspalast – was manche Hausärzte begrüßten, andere kritisierten. Zwischenzeitlich schloss Ende September das Kreisimpfzentrum in Sindelfingen – ein miserables Timing, stand doch die zweite Corona-Welle kurz bevor. Die Nachfrage nach Boosterimpfungen war im November 2021 so groß, dass sich lange Schlangen bildeten – da halfen auch extra eingesetzte Impfbusse wenig. (krü)
Foto Archiv/
9 / 9
Proteste: Testen, Impfen, Masken tragen, sich nicht treffen: So viel Einschränkung war noch nie in diesem Land. Die Proteste gegen diese Maßnahmen kamen prompt. Schon im Mai 2020 trafen sich über 1000 Menschen auf dem Bauernhof des Landwirts Jürgen Bodemer in Ehningen. Ein buntes Völkchen äußerte dort seinen Unmut über die staatlichen Vorgaben. Kaum war die erste Corona-Impfung im Arm versenkt, marschierten auch dagegen die Kritiker auf. Maske tragen, Kontaktbeschränkungen und Gefährdung des Kindswohls standen auf dem Programm weiterer Aufmärsche und Aktionen, bei denen ab und an auch Querdenker und bekannte Akteure aus dem rechten Milieu auftauchten. Zur Konstante entwickelten sich die so genannten „Montagsspaziergänge“. Zentrum war Sindelfingen mit bis zu 700 Teilnehmenden. Eine wichtige Rolle spielte bei den Protesten das Internet – als Plattform für die Mobilisierung und Agitation in einschlägigen Telegram-Gruppen. (mis)