Ein Jahr Ampel in Berlin Was die wichtigsten Minister geleistet haben – und was nicht
Die Ampelkoalition regiert seit einem Jahr. Robert Habeck, Christian Lindner oder Karl Lauterbach stehen seitdem im Fokus der Öffentlichkeit: Wie fällt die erste Bilanz ihrer Arbeit aus?
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Kanzler Olaf Scholz flankiert von Finanzminister Christian Lindner (FDP), links, und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
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Habeck, der Getriebene: Robert Habeck ist dünnhäutig geworden. Die viele Arbeit, die kurzen Nächte, der Druck von allen Seiten. Es kann schon mal sein, dass er einen Fragesteller anblafft, wenn ihm die Frage nicht gefällt. Die Leichtigkeit, die er in seiner früheren Funktion als Grünen-Chef ausstrahlte, ist jedenfalls dahin. Aber wie sollte es auch anders sein: Als Habeck vor einem Jahr Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz wurde und überdies Vizekanzler, da war sein Projekt, endlich die Energiewende in Deutschland voranzubringen und Ernst zu machen mit dem Klimaschutz. Doch dann kam Russlands Präsident Wladimir Putin dazwischen. Als der seine Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren ließ, erkannte der neue Bundesminister, dass man jetzt sehr schnell und diskret die leeren Gasspeicher in Deutschland füllen musste. Mit dem Krieg wurde das Habeck-Ressort zum Krisenministerium: Gas kaufen, Flüssiggas-Terminals bauen, Versorger retten, Embargos vorbereiten, die Erdölversorgung sichern, Kohlekraftwerke wieder ans Netz bringen und Atommeiler länger laufen lassen, Waffenlieferungen beschleunigen und schließlich die Strom- und Gaspreisbremsen auf den Weg bringen. Und nebenbei den Ausbau der Erneuerbaren Energien forcieren. Nicht alles lief rund. Die Gasumlage wurde zum Rohrkrepierer, bei den Atomlaufzeiten musste sich Habeck der Anordnung des Kanzlers fügen. Untätigkeit wird man ihm aber nicht vorwerfen können: Fast 30 Gesetzesvorschläge aus dem Wirtschaftsministerium passierten von Januar bis November das Kabinett. (thk)
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Lindner in der Bredouille: Die Ampelkoalition ist ein ungewöhnliches Bündnis. Um dorthin zu kommen, mussten sich alle drei Partner bewegen. Aber für niemanden war der Weg so lang wie für Christian Lindner und seine FDP. Die Liberalen als bürgerliches Korrektiv zweier linker Parteien, die mehr Umverteilung wollen und kein Problem mit dem Schuldenmachen haben: So sehen sich die Freien Demokraten selbst. Lindner wollte vor einem Jahr unbedingt Bundesfinanzminister werden, das war für ihn eine der Bedingungen für den Eintritt in die Koalition. Doch die Realität des Kriegs holte auch ihn schnell ein. Die positive Lesart ist: Er tat während des vergangenen Jahres, was in der Ausnahmesituation zu tun war, und beschaffte das Geld, das der Staat brauchte. Die negative Lesart ist: Mit solider Haushaltspolitik, die der Oppositionspolitiker Lindner stets gepredigt hatte, hat das nicht viel zu tun. Die Rückkehr zu den Regeln der Schuldenbremse jedenfalls gelingt 2023 nur mit umfangreichen Tricksereien. Zwei gigantische Schattenhaushalte hat die Ampel bereits angelegt – einmal im Umfang von 100 Milliarden Euro zur Ertüchtigung der Bundeswehr und einmal von bis zu 200 Milliarden Euro, um einen Schutzschirm gegen hohe Energiepreise zu spannen. In dieser Situation versteht sich Lindner als einer, der Schlimmeres zu verhindern und weitere Begehrlichkeiten der Koalitionspartner abzuwehren hat. Die Wähler danken es nur bedingt. Würde heute ein neuer Bundestag gewählt, müssten die Liberalen um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. (thk)
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Baerbock ist besonders beliebt: Die 41-Jährige startete als gescheiterte Kanzlerkandidatin, die sich irgendwie ins Auswärtige Amt retten konnte. Das Haus galt in den vergangenen Legislaturperioden nicht gerade als Kraftzentrum der Regierung. Doch Annalena Baerbock hat das Beste aus dieser Situation gemacht. Die Grünen-Politikerin reist durch die Welt und versucht, die Koalition der Ukraine-Unterstützer zusammenzuhalten. Wenn es darum geht, klare Kante gegen Russland zu zeigen und den Ukrainern modernste Waffensysteme zukommen zu lassen, tritt Baerbock oft tatkräftiger auf als das Kanzleramt von Olaf Scholz (SPD). Auch in Sachen China verfolgt sie einen anderen Kurs als der Regierungschef, indem sie stärker die Rivalität mit dem Riesenreich betont. Baerbock ist inzwischen die beliebteste Politikerin Deutschlands. In ihrer Partei rätseln sie, ob sie 2025 noch einmal nach der Kanzlerkandidatur greifen oder ob sie Wirtschaftsminister Habeck den Vortritt lassen wird.
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Lauterbach polarisiert: Karl Lauterbach polarisiert. Kaum ein anderer Minister hat in seinem ersten Amtsjahr so viel Kritik auf sich gezogen. Die hat zwei Stoßrichtungen. Vor allem die FDP drängt Lauterbach zum gelassenerem Umgang mit Corona. Sie sähe auch gerne, wenn endlich der Maskenzwang im ÖPNV fiele. Der Minister mahnt weiterhin zur Vorsicht. Der zweite Vorwurf richtet sich gegen Lauterbachs zweifellos recht chaotischen Arbeitsstil, der auch Parteifreunde mitunter sprachlos macht. Aber Lauterbach hat auch etwas vorzuweisen. Er hat viel angestoßen. Das größte Projekt ist seine Krankenhaus-Reform, die in ersten Vorstufen, etwa bei den Kinderkliniken, schon greift. Die eigentliche Reform hat Lauterbach nun in ihren Grundzügen präsentiert, und es ist ein großer Wurf, wenn er sie im Kern unbeschadet durchs Parlament bringen kann. Ansonsten gab es viel Detailarbeit – von der Stabilisierung der Kassenfinanzen bis hin zu den Schutzschirmen für die Kliniken und Pflege-Einrichtungen. (nwa)
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Heils taktisches Geschick: Von den SPD-Kabinettsmitgliedern hat keiner so rasch wichtige Anliegen der Sozialdemokraten verwirklicht: Hubertus Heil (50) führte den Mindestlohn von zwölf Euro je Stunde ein und setzt zum 1. Januar 2023 das Bürgergeld um – also die Reform, die die SPD von ihrem Hartz-IV-Trauma befreien soll. Dass er taktisch viel Geschick hat, mussten zuletzt die Grünen ziemlich verblüfft feststellen. So hebelte Heil bei den Gesprächen mit der CDU/CSU über das Bürgergeld kurzerhand Anliegen der Grünen aus und einigte sich entspannt mit der Union auf einen Kompromiss. Geschick und großen Rückhalt in der Partei wird er auch brauchen, wenn jetzt schwierige Aufgaben anstehen: Wie lassen sich mehr Fachkräfte gewinnen – darunter auch solche aus Staaten außerhalb der EU? Was wird aus der privaten Altersvorsorge (Riester)? Und wie wird Heils Plan bezahlt, das Rentenniveau auf Dauer bei 48 Prozent zu halten, ohne dabei die Interessen der Jüngeren zu vergessen? (bwa)
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Lambrecht muss liefern: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte öffentlich spätestens dann einen schweren Stand, als sie bei einem dienstlichen Flug ihren Sohn mitgenommen hat – und dieser ein Foto von sich im Regierungshubschrauber in sozialen Medien postete. Dabei ist der Job, den Lambrecht machen soll, ohnehin schwer zu bewältigen: Die Bundeswehr, jahrelang unterfinanziert, muss jetzt schnell nachgerüstet werden. Das gesamte Beschaffungswesen muss modernisiert werden. Mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ist zwar Geld da, doch wenn man sieht, wie stark Kanzler Olaf Scholz viele Themen an sich zieht, kann man Zweifel entwickeln, dass er seiner Ministerin voll vertraut. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Lambrecht persönlich lieber Innenministerin geworden wäre. Das Amt der Verteidigungsministerin ist nun aber so wichtig wie lange nicht mehr – und sie muss dringend schauen, dass sie es mit Autorität ausfüllt. (pet)