Fußball-Nationalelf Ein Jahr nach dem WM-Aus: Das hat sich getan
Vor einem Jahr ist die deutsche Nationalelf bei einer WM erstmals in der Vorrunde ausgeschieden – was hat sich seither verändert und was nicht? Eine Bestandsaufnahme mit sieben prägenden Figuren.
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Alter Kapitän, neue Ausrichtung: die Nationalelf um Manuel Neuer im Übergangsjahr.
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Joachim Löw: der Trainer im Wandel: Als die Stunde null im deutschen Fußball nach dem historischen Vorrunden-Aus angebrochen war, gab sich Joachim Löw schmallippig. Er müsse sich jetzt hinterfragen, sagte der Bundestrainer am frühen Abend des 27. Juni 2018 im Presseraum der Arena von Kasan, der einem kleinen Kinosaal glich. Die große Frage war: Bleibt der Hauptdarsteller des deutschen WM-Horrorstreifens im Amt? Darauf gab es schnell eine Antwort. Von Löw selbst, denn wer sonst sollte das entscheiden angesichts seines Vertrags bis 2022 und seines Freifahrtscheins, ausgestellt vom irrlichternden DFB-Präsidium um den damaligen Chef Reinhard Grindel? Löw, mit der Hausmacht beim DFB ausgestattet, machte weiter – oder besser: Er machte weiter wie bisher. Zumeist altes Personal, zumeist die alte WM-Taktik – erst das krachende 0:3 in der Nations League Mitte Oktober in Amsterdam gegen die Niederlande setzte den längst überfälligen taktischen und personellen Umbruch in Gang. Seither ist der eintönige Ballbesitzfußball der WM Geschichte, Löw setzt auf Tempo, auch mal auf Konter und einige frische Kräfte – und auf junge, schnelle Spieler an vorderster Front wie Leroy Sané oder Serge Gnabry.
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Leroy Sané: der Tempomacher: Als die DFB-Elf gegen Südkorea so kümmerlich ausschied bei der WM, wurde viel über einen Mann gesprochen, der gar nicht dabei war in Russland. Der Sané hat gefehlt. Der Sané wäre der Einzige gewesen, der mal was Überraschendes, Verrücktes machen kann. Eine geniale Einzelaktion, zumindest das. Das WM-Aus war eng verknüpft mit dem Lockenkopf, immer verbunden mit dieser Frage: Warum nur hat Joachim Löw diesen Edelkicker aus dem Kader gestrichen? Dass es dafür triftige Gründe gab, wurde in der allgemeinen Aufgeregtheit gern mal vergessen: Sané war im Kreise der Nationalelf nicht immer der disziplinierteste Spieler, er soll zum Beispiel nicht immer der pünktlichste Zeitgenosse gewesen sein. Obendrein waren seine Leistungen bei den Länderspielen meist ein paar Klassen schlechter als jene auf Vereinsebene bei Manchester City. Die Stunde null der DFB-Elf in Kasan markierte den Neubeginn für den Flügelflitzer von Manchester City. Denn Sané startete durch im Nationalteam – und verkörpert mit seiner Gabe, mit seinen Dribblings ganze Abwehrreihen aushebeln zu können, heute wie kaum ein Zweiter die Hoffnung auf bessere Zeiten.
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Joti Chatzialexiou: der Analyst: Dem Mann, der eher unterm Radar der Öffentlichkeit agiert, kommt eine entscheidende Rolle zu, den deutschen Fußball wieder an die Spitze zu führen. Joti Chatzialexiou ist beim DFB seit Januar 2018 der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften. Der Sohn griechischer Einwanderer sollte nach dem WM-Aus auch die Frage beantworten, warum Nationen wie England oder Frankreich so weit enteilt sind. Erste Antworten sind gefunden. Chatzialexiou spricht dabei gerne von der „Individualität“ und der „Bolzplatzmentalität“. Der Sportwissenschaftler reist viel, schaut sich auch im Ausland auf Topniveau um, aber auch im untersten Jugendbereich. Er sagt: „Die Belgier spielen im F-Jugend-Bereich viel zwei gegen zwei. Da müssen sich die Spieler in persönlichen Duellen durchsetzen.“ Was er dagegen in Deutschland sieht, macht Chatzialexiou fast sprachlos: „Ein Verteidiger durfte bei einem Jugendspiel nicht über die Mittellinie. Aber dadurch verliert er doch irgendwann den Spaß am Fußball.“ Die Fähigkeiten im Dribbling fördern, anstatt sich nur auf Systemschulungen und Taktik zu konzentrieren, das ist ein Hauptanliegen Chatzialexious’.
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Oliver Bierhoff: der Außenminister: Zwei Monate Zeit ließen sich die Verantwortlichen der Nationalelf für ihre öffentliche Analyse des WM-Desasters. Ende August war es dann so weit, der Pressekonferenzraum in der Münchner Arena wurde zum Tribunal. Oben auf dem Podium, neben Joachim Löw, saß der DFB-Direktor Oliver Bierhoff, auch er sollte das peinliche WM-Aus irgendwie erklären. Und neue Hoffnung wecken. Abgehoben war ja der Tross der Nationalelf rund ums Turnier in Russland, wahrscheinlich so weit von der Basis entfernt wie niemals zuvor. Fürchterliche Marketingslogans (#„Zsmmn“, #„BestNeverRest“) prägten das Bild, und das Team und auch das Team ums Team wurden abgeschottet wie der Papst oder die Kanzlerin. Als Bierhoff dann in München betonte, dass er den umstrittenen Werbeclaim „Die Mannschaft“ zusammen mit den Stakeholdern analysieren wolle, als er obendrein recht patzig reagierte auf kritische Nachfragen zur Außenwirkung, da fürchteten viele, dass da nichts besser werden würde. Haben die denn gar nix kapiert? Allerdings: die Nationalelf gab sich rund um die folgenden Länderspiele volksnaher, es gab ein öffentliches Training in Berlin und Wolfsburg sowie Schulbesuche in Leipzig. Kürzlich übten die Elitekicker vor 20 000 Fans öffentlich am Aachener Tivoli. Ein Anfang ist gemacht.
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Toni Kroos: der alte, neue Chef: Der Mann, der die guten alten Zeiten verkörpert, steht nach dem WM-Desaster von Russland auch für den Umbruch. Das sieht zumindest der Bundestrainer Joachim Löw so, der für den Weltmeister von 2014 auch mit Blick auf die EM 2020 eine tragende Rolle vorsieht. Denn die Passmaschine Toni Kroos soll die Tempoabteilung in der Offensive um Leroy Sané, Serge Gnabry oder Marco Reus in Position bringen. Dass auch der Titelsammler von Real Madrid von der neuen Geschwindigkeit und der Raumaufteilung im deutschen Spiel profitiert, zeigte sich bei den jüngsten Länderspielauftritten. Denn wo Kroos beim Turnier in Russland meist nur Querpässe spielte und auch sonst kaum Überzeugendes zu bieten hatte, gingen seine Bälle bei seinen vergangenen Länderspielauftritten wieder vermehrt steil nach vorne, in die berühmten Schnittstellen. Räume erkennen und präzise Bälle reinspielen, schnelle Vordermänner in Szene setzen, das kann Kroos nach wie vor wie kaum ein Zweiter. Weshalb der alte Mittelfeldchef, wenn man so will, auch in der neuen deutschen Elf ein Fixpunkt ist.
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Reinhard Grindel: der Gescheiterte: Die Uhr des ukrainischen Oligarchen Grigori Surkis ließ Reinhard Grindels Zeit als DFB-Präsident Anfang April ablaufen. Das 6000-Euro-Geschenk war zu viel des Schlechten für Grindel, der auch sonst kaum ein Fettnäpfchen ausließ in seiner knapp dreijährigen Amtszeit. So fuhr Grindel einen peinlichen Schlingerkurs beim Aufregerthema schlechthin rund um die WM in Russland. In der Causa Mesut Özil verlangte er erst Konsequenzen nach dem Erdogan-Foto, diese wurden dann wieder einkassiert. Özil fuhr zur WM. Weil es Joachim Löw so wollte. Nach dem Aus in Russland dann meldete sich Grindel plötzlich mit Forderungen in Richtung Özil zu Wort. Am Ende stand er als Buhmann und Verantwortlicher für den skandalumtosten Rücktritt des Weltmeisters da. Dass Grindel Löws Vertrag vor der WM ohne Not vorzeitig bis 2022 verlängert hat, auch das stieß auf Unverständnis. Der DFB sucht nun einen Nachfolger, der am 27. September gewählt werden soll.
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Marco Richter: der Verrückte: Das Turnier für den Unterbau geht in die heiße Phase – und der deutsche Nachwuchs ist mittendrin. Deutschland steht im Halbfinale der U-21-EM in Italien, und das ohne eigentlich noch spielberechtigte Kicker wie Leroy Sané oder Kai Havertz. Dass der Erfolg in Italien auch ohne diese Jungs zustande kam, zeigt, dass es um den Nachwuchs ein Jahr nach der WM nicht gerade schlecht steht. Hoffnung machen auch einige Spieler im aktuellen U-21-Kader. Torhüter Alexander Nübel oder Innenverteidiger Jonathan Tah etwa – und ein Mann, der diese Dinge tut, worauf sie beim DFB gerade so scharf sind. Marco Richter vom FC Augsburg spielte bis zur U 20 nie in einer Nachwuchsauswahl – nun ist er die Entdeckung des U-21-Turniers. Weil er Dinge macht, die intuitiv sind. Einmal verfolgte der Offensivmann einen Verteidiger bis an die Eckfahne, eroberte den Ball mit einer Grätsche, fing an zu dribbeln und flankte auf Stürmerkollege Luca Waldschmidt. „Wir fordern ja die Jungs auf, dass die mal was ausprobieren“, sagt Trainer Stefan Kuntz. Der deutsche Fußball hat mit Richter mal wieder einen Instinktfußballer – nicht die schlechteste Errungenschaft beim Blick in die Zukunft.