Kultur untertunnelt II Stuttgart 21: Wann ist Schicht im Schacht in der Röhre?
Wohin geht die Röhre, wenn Bagger kommen? Ein Gespräch über Subventionspolitik.
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Ein nicht genau datiertes Foto, vermutlich Ende der 50er-Jahre aufgenommen, zeigt den Wagenburgtunnel. "Die Röhre" hat es damals noch nicht gegeben. Wenn die Bauarbeiten für Stuttgart 21 weiter voranschreiten, wird der Musikclub zumindest an seinem angestammten Platz in einigen Monaten Geschichte sein. Warum das nicht nur für ihn selbst, sondern auch für Stuttgart ein herber Verlust ist, erzählt Betreiber Peter Reinhardt in der Bilderstrecke.
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Totgesagte leben länger. Dieser weise Spruch gilt wohl auch für die Röhre. Am 1. Oktober 2010 flattert den Betreibern Peter Reinhardt, Nanno Smeets und Jan Drusche so etwas wie der blaue Brief per Boten ins Haus.
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Der 1985 von OB Manfred Rommel eingeweihte Musikclub muss demnach am 31. Dezember 2010 die Gitter entgültig runterlassen. Mit ihm sterben Erinnerungen der Subkulturmacher. Nanno Smeets plaudert aus dem Nähkästchen, wenn er von einem Paar erzählt, das bei der Jubiläumssause in flagranti unterm DJ-Pult erwischt wurde.
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"Größen wie die Beatsteaks (Foto), die Fugees, Monster Magnet, Muse, Mark Lanegan, Molotov, Queens of the Stone Age, Kyuss,und die Ärzte sind bei uns aufgetreten", schwelgt Smeets in den guten alten Zeiten.
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Lachen muss der Meister der Konzerte in der Röhre, wenn er daran denkt, wie die Jungs von Melvins sich in den Tunnelgängen verirrt haben. Glasige Augen bekommt Smeets, wenn er davon erzählt, wie Mia (Foto) oder ...
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Jan Delay in der Röhre abgerockt und ganz ohne Starallüren mit den Fans gefeiert haben.
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Und jetzt soll alles vorbei sein? Schöne Bescherung im Jahr des 25. Geburtstags der Röhre. Der Name des zuständigen Amtes für Liegenschaften ist Hase. Leiter Thomas Zügel weiß von nichts. "Die Kündigung sei auf den unteren Ebenen rausgegangen", meint er kleinlaut. Auch Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann fordert Aufklärung.
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Das war im Oktober. Jetzt ist Februar und die Röhre gibt es immer noch. Bei der jüngsten "U-turn Party" haben mehr als tausend Leute in dem bunkerähnlichen Bau neben dem Wagenburgtunnel gefeiert.
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Am Eingang künden Plakate von Veranstaltungen, die erst im April über die Bühne gehen sollen. Es scheint, als seien die Clubbetreiber die lachenden Dritten im Streit um juristische Spitzfindigkeiten mit Kultur- und Liegenschaftsamt.
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Das Schreiben ist ihnen erst am 1. Oktober zugegangen, die Kündigung zum Jahresende daher unwirksam. Jetzt schwebt der 31. März als Tag des Exodus’ wie ein Damoklesschwert über den Machern der Röhre.
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Zum Lachen ist dem als grantig-kantig bekannten Peter Reinhardt daher kaum zumute. Im Lagerraum hinter der Theke kramt er in einer Mappe mit alten Zeitungsausschnitten. Schließlich findet er was er sucht und legt die archivierten Artikel aus vergangenen Jahrzehnten auf den Tisch. Von Schlammschlachten mit Eberhard Glauner, dem ersten Vorsitzenden der Musikinitiative Rock (MIR) ist da zu lesen. Dieser fordert, dass die Röhre "sauber werden muss".
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Das bunte Völkchen, das hier ein und ausgeht, die Alternativen, Punks und Gothics waren Glauner ein Dorn im Auge. Dem Gemeinderat wohl auch. "Die Stadträte haben uns nicht als Kultur gesehen", sagt Reinhardt, der nach vier Jahren Pause 1993 einen zweiten Anlauf mit der Röhre genommen hat. Dazwischen hat er mehrere Läden in der Stadt etabliert. Darunter auch die Blumenwiese und das heutige Climax, das Reinhardt neben dem Zollamt und der Röhre weiterhin betreibt.
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Doch ab 1993 ist nicht mehr das Kultur-, sondern das Liegenschaftsamt für den Club am Wagenburgtunnel zuständig. Den bis dahin gewährten Zuschuss von 220.000 Mark im Jahr gibt es nicht mehr. Miete dürfen Smeets, Reinhardt und Drusche aber bezahlen. "Dabei fördern wir allein durch unsere Nachwuchsfestivals Emergenza oder Submission Newcomer-Bands und wären allein deshalb schon zuschusswürdig", sagt Reinhardt und reibt sich die Augen.
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Er schaut müde aus. Abgekämpft. Wenige Tage zuvor hat er die Nacht vor dem Bonatzbau durchgemacht, um die Baumverpflanzungen zu verhindern.
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Ihr Engagement gegen Stuttgart 21 sieht sein Kompagnon Jan Drusche mit als Grund für die vorzeitige Kündigung. Obwohl Arbeiten rund um den Tunnel doch erst im Herbst 2011 vorgesehen seien. Reinhardt winkt ab. "An diese Verschwörungstheorien glaube ich nicht."
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Auch den Glauben an den Kulturbegriff in Stuttgart hat der einstige Tennislehrer, Amateur-Kicker und Pionier unter den Clubbetreibern verloren. Als er mit seinem Laden "Tangente", der ersten Punkkneipe Süddeutschlands startet, hat es in der Landeshauptstadt nur das Stereo am Berliner Platz gegeben.
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"Der Bedarf war da", sagt Reinhardt. "Heute haben wir in Stuttgart die größte Clubdichte Deutschlands." Doch was die Stadt in der Kulturlandschaft für subventionswürdig halte, ist Reinhardt unbegreiflich.
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Resigniert legt der 60-Jährige die Füße, die in Turnschuhen stecken, auf den Tisch. "Es wird investiert in glatte Vorzeige-Nobeldiscos. Dann sollen die aber bitteschön auch eine noble Miete zahlen."
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Stattdessen sieht Reinhardt die Subventionsmittel besser in junge Bands investiert. "Ohne denen dafür zu viel Zucker in den Arsch zu blasen." Den Musikbegeisterten ärgert es, dass Clubs mit langweiligen Veranstaltungsreihen Kasse machen und etwa DJs aus Berlin ankarren.
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"Aber die Leute wollen scheinbar verarscht werden." In der Röhre werde dagegen Wert auf Eigengewächse gelegt. Ein Luxus, der immer weniger bezahlbar wird. Seitdem bekannt ist, dass der Club bald schließen muss, klopfen kaum noch neue Veranstalter an die Tür.
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Thomas Zügel vom Liegenschaftsamt wirft als möglichen Kompromiss eine kurzfristige Räumung bei Baubeginn ein. Auch nach bezahlbaren Räumen, in die die Röhre umziehen kann, will die Stadt schauen.
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"Zu spät", findet Reinhardt. Schließlich sei nicht erst seit gestern bekannt, dass die Bagger anrollen werden.
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Ausweichquartiere wie das frühere Theater im Depot seien auch nur Alibivorschläge. Sollen dort doch Wohnungen realisiert werden. Auch das Ambo-Kino sei im Gespräch. "Eine Luftnummer", raunzt Reinhardt. "Die Stadt weiß genau, dass die LBBW nicht will, dass da Gastro reinkommt."
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Ein Treffen mit Kulturbürgermeisterin Eisenmann steht noch aus. "Vielleicht mach ich auch nur noch einen kleinen Laden", sagt Reinhardt und streckt trotzig das Kinn nach vorne.
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Dass es einen Club der Größe und Ausrichtung wie die Röhre in Stuttgart geben muss, ist für ihn aber klar. Dass die Landeshauptstadt einen wie Reinhardt in Stuttgart braucht, hat ein Stadtmagazin einst in einer Ausgabe treffend auf den Punkt gebracht: "Reinhardt ist DIE alternative Kultur Stuttgarts."