So wohnt Stuttgart III Das Eiernest - nur was für gesellige Typen
Gunter Reich lebt seit seiner Geburt im "Eiernest" - ein Spaziergang durch "sein" Viertel.
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Was für eine Oase im Großstadtdschungel.
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Wie in einer Ferienhaussiedlung ducken sich kleine Häuser eng an eng aneinander.
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Unwirklich, als tappe man durch die Filmkulisse von Gullivers Reisen, kommt einem das Wohnviertel „Eiernest“ in Heslach vor.
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Auf den ersten Blick schaut es so aus, als gleichen sich die Bauten wie ein Ei dem anderen. Woher auch der Name „Eiernest“ herrühren mag. Doch diese Annahme ist genauso falsch, wie das mit der identischen Optik. Das „Eiernest“, welches sich entlang der Eier-, Liebig- und Schreiberstraße erstreckt, heißt so, weil es am Rande des gleichnamigen Gewanns liegt.
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Auch ansonsten täuscht die vermeintliche Idylle im Viertel, das 1926/27 im Rahmen des sozialen Wohnungsbauprogramms der Stadt Stuttgart für städtische Arbeiter und Angestellte errichtet worden ist. Die Fassade hat Risse bekommen. Wörtlich wie sinnbildlich. Daran konnte auch eine Komplettsanierung der 176 Reihenhäuschen Ende der 1970er-Jahre nichts ändern.
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Seitdem die Siedlung 1986 unter Denkmalschutz gestellt wurde, ist nichts mehr, wie es mal war. Der Putz bröckelt. Und wo er das tut, wird nicht mit der vorgeschriebenen Farbe nachgebessert.
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Statt dem charakteristischen Eierschalenton werden die Außenwände der Häuschen grellweiß bepinselt. Fensterläden bekommen keinen moosgrünen, sondern einen graublauen Anstrich und manches Dach hat ein Fenster, wo keines hingehört.
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Die Liste der Verstöße gegen den Denkmalschutz ist lang. Gunter Reich zeigt diese bei einem Spaziergang durchs Viertel, in dem er sein ganzes Leben verbrachte.
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In der Eierstraße, im Haus mit der Nummer 86, hat er seinen ersten Atemzug getan.
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Obwohl das in den Jahren 1889 bis 1890 als katholisches Ordenskrankenhaus errichtete Marienhospital von der Haustür nur wenige Schritte entfernt ist.
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Reich kennt jeden Stein im Eiernest. Weiß um jede Veränderung - die schönen, wie die unschönen. Vor rund zehn Jahren ist ein Parkhaus in seiner unmittelbaren Nachbarschaft errichtet worden.
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Der Ausblick aus dem Dachgeschoss seines Hauses bietet seitdem Beton statt sattem Grün und rauschenden Blätterwäldern.
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Was Schönes fürs Auge hütet Reich daher in seinem Schlafzimmer wie einen Schatz. Er sammelt Miniaturzüge und –Lastwagen.
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Die Glasvitrine öffnet er nur selten, um eines seiner Lieblingsstücke zu zeigen. Die Enkel dürfen lediglich große Augen machen. Die Fingerchen müssen in den Hosentaschen bleiben.
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Wenn der Opa von jener Zeit erzählt, in der er klein gewesen ist, lauschen sie gespannt. „Ich habe mir ein Zimmer mit meinen fünf Geschwistern geteilt.“ Für Familien, die im Eiernest leben, heißt es in den Vierzimmerwohnungen mit 74 Quadratmetern oder den Dreizimmerwohnungen mit 60 Quadratmetern eng zusammenrücken.
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„Früher gab es viele Kinder im Eiernest“, erzählt Reich. Wo heute Häuser stehen ...
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... und Autos dicht an dicht parken, hatten damals Dreikäsehochs freie Fahrt. „In wenigen Schritten waren wir im Wald“, erinnert sich Reich.
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Mittlerweile seien wieder Familien ins Eiernest gezogen. „Der älteste Kindergarten im Stuttgarter Süden ist gleich um die Ecke“, sagt Reich.
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Direkt neben der Kita, hinter dem angrenzenden Spielplatz, ...
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... erstreckt sich ein langgezogener Bau. Schöne Architektur sieht anders aus. „Das ist in Kriegszeiten der Bunker gewesen“, erklärt Reich. „Wenn Fliegeralarm war, haben wir die Beine in die Hand genommen und sind die Eierstraße hoch gerannt, so schnell wir konnten“, erinnert sich Reich. Oft mussten die Bewohner des Eiernests in dem stickigen Bau viele Stunden ausharren, bis die Luft rein war und sie vorsichtig wieder ans Tageslicht kriechen konnten.
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Solche und ähnliche Erinnerungen verbindet der 69-Jährige mit „seinem Revier“. Sein Herz hängt am Eiernest. Als Erwachsener hat der selbstständige Taxiunternehmer das Häuschen von seinen Eltern übernommen und mit seiner eigenen Familie darin gelebt.
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Reich ist im Mieterbeirat der SWSG, in deren Bestand das Eiernest seit 1987 ist. Seit 2004 will die Gesellschaft die Siedlung zunehmend privatisieren. 84 Häuser, die zwischen 100.000 und 130.000 Euro kosten, sind bislang veräußert worden. Verkauft wird nur, wenn ein Mieter kündigt oder stirbt.
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Die künftigen Eigentümer werden nach Auskunft der SWSG auf den verantwortungsvollen Umgang mit dem Kulturdenkmal eingeschworen. Mit der Denkmalschutzbehörde pflege man engen Kontakt.
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Gunter Reich mag das nicht recht glauben, wenn er sieht, wo überall im Eiernest gegen die Denkmalschutzauflagen verstoßen werde.
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Wer es individuell mag und sich nicht gern in die Karten schauen lässt, sollte das Viertel nicht zu seiner ersten Adresse machen.
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Besonders im Sommer, wenn die Freiluftsaison eröffnet wird, und es sich die meisten auf ihrer vier Quadratmeter großen, überdachten Terrasse bequem machen, ist das nur was für gesellige Typen.
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Jahrzehntelang sind die Bewohner stolz darauf gewesen, dass keiner etwas besseres ist. „Alle hatten gleich viel“, erzählt Reich, dessen Vater beim Regierungspräsidium arbeitete. „Urlaub - wir hatten keinen Urlaub, wir hatten Ferien.“ Diese haben die Jungs und Mädchen aus dem Eiernest zuhause verbracht.
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Dem kinderreichen Viertel wurde von Außenstehenden ein Stempel aufgedrückt. „Asozial seien wir, hieß es“, erinnert sich Reich. Ein Stigma, das den Bewohnern heute nicht mehr anhafte.
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Vieles hat sich geändert im Eiernest. Wenn immer mehr Häuser den Besitzer wechseln, wird dieser Prozess fortschreiten, die Auflagen des Kulturdenkmals werden immer mehr verwässern, fürchtet Gunter Reich. Doch die Erinnerungen, die kann ihm niemand nehmen.