Sommerlesetipps Diese Bücher müssen mit in den Urlaub
Ferien! Jetzt fehlt nur noch der richtige Lesestoff – und es kann losgehen. Unsere Kulturredaktion empfiehlt, was in den Koffer gehört.
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Bücher enthalten die ganze Welt.
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Mit Juli Zeh rückt die brandenburgische Provinz ganz dicht heran an die Sofa-Leserin, die es im wirklichen Leben mit der Abstandsregel zu der dort angeblich verbreiteten Spezies des Dorfnazis sehr genau nimmt. In „Über Menschen“ (Luchterhand Verlag, 22 Euro) richtet die ostdeutsche Heimat-Romancière ihr sozio-psychologisches Brennglas abermals auf das platte Priegnitzsche Land, wohin sich die großstadt-, zeitgeist- und coronamüde Dora geflüchtet hat. Wie und was Zeh hier mal wieder über Menschen schreibt – das knallt wie Peitschenhiebe, die dem Wohnzimmer-Leser so manches Mal die klischeegetrübten Augen öffnen. Wer literarische Gegenwartsanalysen mag, ist ebenso gut beraten, dem Helden von Hilmar Klutes Roman „Oberkampf“ (Galiani Verlag, 22 Euro) ins Paris des Charlie-Hebdo-Attentats zu folgen. Noch scharfsinniger und sprachfeiner als Zeh und dazu mit subtilem Humor geht der Streiflichtredakteur der „Süddeutschen“ zu Werk und liefert ganz en passant eine Feier der Literatur frei Haus. Mehr kann man im Ferienlesesessel wirklich nicht erwarten. Ulla Hanselmann
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Uns mangelt es gegenwärtig an Geschichtsverständnis. Dabei geht’s nicht um Zahlen und Fakten. Die stehen bei Wikipedia. Aber wie Vergangenheit allein an dem Maßstäben der Gegenwart gemessen wird von einer erhöhten moralischen Warte aus – das ist unerträglich. Wie wär’s also, die Ferien mit „Die Welt neu beginnen“ (Reclam, 25 Euro) von Helge Hesse zu verbringen? In kurzen Vignetten erzählt der Autor: Was machten, was dachten zum Beispiel Goethe, Benjamin Franklin und George Washington in den „Zeiten des Aufbruchs“ von 1775 bis 1799? Marie-Antoinette etwa wusste 1783 noch gar nicht, dass sie zehn Jahre später ihren Kopf verlieren würde. Den französischen Revolutionären war 1789 nicht klar, dass die Sache bald schieflaufen würde. Am Ende der Ferien beurteilt der Leser die Gegenwart hoffentlich bescheidener. Markus Reiter
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Diesen Sommer sind wir alle ein bisschen gaga im Pandemiemurmeltiermodus. So entschweben wir in die genial verrückte Welt von Dario Fo, ins Abenteuer des Bauern Johan, der versehentlich auf dem Schiff von Kolumbus landet („Johan vom Po entdeckt Amerika“, Verlag der Autoren, 12 Euro). Das Gefühl, ein Hochstapler zu sein, schildern Bildungsaufsteiger im Online-Literatur-Projekt „Check your Habitus“, das jetzt gedruckt vorliegt (Sukultur, 4 Euro). Initiatorin Daniela Dröscher hat 2018 bereits in „Zeige deine Klasse“ klug über ihr Herkunftsmilieu geschrieben (Hoffmann & Campe, 20 Euro). Wer sich apokalyptischer fühlt, kann Erich Maria Remarque lesen, zum Beispiel „Der Himmel kennt keine Günstlinge“ (Kiwi, 12 Euro). Im Angesicht des Untergangs lässt es sich nämlich besonders schön lieben und trinken: „Sie spielten mit dem Tode, sie tobten durch die Nacht“ und so weiter. Eva-Maria Manz
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So richtig weite Reisen in ferne Länder können wir uns ja nicht erlauben in diesem Sommer. Warum dann nicht am Strand von Amrum oder auf der Wiese in Oberstdorf von richtig großen Reisen lesen? Die norwegische Reporterin Erika Fatland ist für uns über 20 000 Kilometer weit immer längs der russischen Grenze durch 14 Staaten gereist und liefert auf über 620 Seiten hinreißende kleine Reportagen, Begegnungen, Porträts, Beobachtungen: „Die Grenze“, Suhrkamp Taschenbuch, 13 Euro. Das ist fast noch besser als der wöchentliche ARD-“Weltspiegel“. Und wer stattdessen lieber auf kleine versaute, dreckige, lustige, abstruse oder verschrobene Kurzgeschichten steht und sich wegen Corona noch nicht wieder nach Italien traut, dem empfehle ich das „Decamerone“ von Giovanni Boccaccio (Fischer, 18 Euro). Ernst gemeint: beste Unterhaltung. Denn trotz never ending Pandemie: Leben geht weiter! Tim Schleider
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Studenten, die vor der Hitze aufs Land fliehen, nackt im Schlamm liegen oder in einer Villa exzentrischer Freunde nichts tun außer trinken und diskutieren. Junge Arbeiterinnen, die in Turin erste Liebeserfahrungen machen und Malern Modell stehen. Das sind Figuren, die der Autor und Kommunist Cesare Pavese (1908 bis 1950) erdacht hat. Schon der erste Satz in „Der schöne Sommer“ betört: „Damals war immer Festtag.“ Also in etwa das Gegenteil dessen, was in den vergangenen Monaten über die Tage zu sagen war. Dieser melancholische „Sommer“-Text und zwei weitere Werke - „Der Teufel auf den Hügeln“, „Die einsamen Frauen“ - sind jetzt im Rotbuchverlag in einem Band unter dem Titel „Der schöne Sommer“ (29 Euro) versammelt, in neuer, eleganter Übersetzung von Maja Pflug. Ein Lesefest, auch für hässliche Sommer. Nicole Golombek
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Manche nutzen ja die Gunst der Stunde, in der die großen Kreuzfahrtschiffe stillliegen und Venedig mit nur einem Bruchteil des Touristenansturms erlebt werden kann. Wer sich in die Serenissima aufmacht, sollte auf jeden Fall einen Besuch des Peggy-Guggenheim-Museums einplanen. Und dazu gibt es keine bessere Ferienlektüre als „Der unvollendete Palazzo“ (Insel Verlag, 25 Euro) von Judith Mackrell, die erzählt, wie drei mondäne Frauen aus der Palastruine erst einen Hotspot der High Society und später das bekannte Museum erschaffen haben. Ebenfalls auf dem Bücherstapel: John Grishams „Der Polizist“ (Heyne, 24 Euro), in dem der Thrillerautor seine Leser in seine frühe Schaffenszeit in den 1980er und -90er Jahren mitnimmt, sowie Eliot Higgins’ „Digitale Jäger“ (Quadriga, 18 Euro). Der Leser erfährt hier, wie eine digitale Schwarmintelligenz dazu beiträgt, Verbrechen aufzuklären. Lukas Jenkner
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Was tun, wenn man gerade voller Vorfreude seine Urlaubslektüre zusammengestellt hat und erfährt, dass das Ferienhaus in den Bergen eben abgebrannt ist? Das ist die Situation, vor der sich die Protagonistin in Daniela Kriens neuem Roman „Der Brand“ (Diogenes, 22 Euro) befindet. Was sie stattdessen in den drei Ferienwochen ihres Urlaubs erlebt, sind Exkursionen durch lodernde familiäre Seelenlandschaften, die die Autorin so fesselnd beschreibt, dass ihr Buch in keiner Reisetasche fehlen sollte. Leider vergehen diese drei Wochen wie im Flug. Länger kann man an der Tafel von Mathias Enards opulentem „Jahresbankett der Totengräber“ (Hanser Berlin, 26 Euro) prassen. Und wenn man schon den Boden der Ewigkeit durchpflügt: Eine lohnende Ausgrabung ist Giovanni Boccaccios „Kleines Büchlein zum Lob Dantes“ (Verlag das Kulturelle Gedächtnis, 12 Euro) – im September steht der 700. Todestag des Dichters an. Stefan Kister