Stuttgart 21 Kuhn droht Bahn mit Bürgerentscheid
Der designierte Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn, der am 7. Januar 2013 das bisherige Stadtoberhaupt Wolfgang Schuster (CDU) ablösen wird, schließt Nachzahlungen für den Bau des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 aus – und droht mit einem erneuten Bürgerentscheid.
13 Bilder
Foto dpa
1 / 13
Foto dpa
2 / 13
Stuttgart 21 „Die Auseinandersetzung um S 21 spaltet noch immer die Bevölkerung. Die Volksabstimmung hat ergeben, dass das Land nicht mehr aussteigen soll, aber das Projekt hat dadurch nicht an Akzeptanz gewonnen. Ich bin noch immer nicht überzeugt, dass es eine gute Idee ist für fünf bis zehn Milliarden Euro einen unterirdischen Bahnhof zu bauen, der möglicherweise zu geringe Kapazitäten aufweist. Aber der Volksentscheid gilt für jeden OB-Kandidaten. Ich werde als OB dafür Sorge tragen, dass die Bürgerinnen und Bürger vor den schlimmsten Gefahren von S 21 geschützt werden. Das fängt beim Mineralwasser an, geht weiter über den fairen Umgang mit den Bewohnern des Kernerviertels und setzt sich bei den Kostenfragen fort. Stuttgart hat schon genügend Geld in das Projekt gesteckt, man denke nur an die Grundstückskäufe durch die Stadt. Sicherheit geht für mich vor Schnelligkeit beim Bau des neuen Bahnhofs. Die Spaltung der Bevölkerung wird nur langsam zu überwinden sein. Transparenz bei allem, was geschieht, ist eine Voraussetzung dafür. Und in Zukunft muss eine Bürgerbeteiligung einsetzen, ehe die Entscheidungen getroffen sind.“
Foto StZ
3 / 13
Stadtbezirke „Stuttgart besteht aus 23 Stadtbezirken. Manche mit pulsierendem urbanem Leben, manche mit dörflichem Charakter. Wichtig ist, dass man die Eigenständigkeit und Verschiedenheit der Stadtbezirke kennt und schätzt. Denn Stuttgart, das ist die Summe aller 23 Bezirke. Die Summe ist hier mehr als die Addition der Teile. Als OB werde ich mich dafür einsetzen, dass diese Vielfalt bewahrt bleibt. Alle Stadtbezirke sind mir wichtig. Besorgt macht mich, dass vor allem Stadtteile in den Außenbezirke drohen, die Infrastruktur für das tägliche Leben zu verlieren. Uhlbach hat kein Lebensmittelgeschäft mehr. Luginsland, wo ich mit meiner Familie 12 Jahre gelebt habe, hat Metzger und Lebensmittelmarkt verloren. Ich sehe es als städtische Aufgabe, Infrastruktur dieser Art zu bewahren oder neu zu schaffen. Die Stadt muss schauen, was fehlt und versuchen, Leute zu finden, die Geschäfte eröffnen. Zur Stadt der kurzen Wege gehört es, dass überall die Infrastruktur zum täglichen Leben vorhanden ist. Dazu gehören auch Kitas. Ich weiß, dass alles ist nicht einfach, aber geht nicht, gibt’s nicht.“
Foto dapd
4 / 13
Soziales „Stuttgart ist eine wohlhabende und reiche Stadt. Doch auch hier gibt es arme Menschen. Ich möchte mich als Oberbürgermeister dafür einsetzen, dass Armut in Stuttgart als etwas gesehen wird, das alle angeht. Wenn wir die Armut bekämpfen, wird die Stadt für alle reicher. Sozial ungerecht ist es, dass wir nicht genügend bezahlbaren Wohnraum für Familien mit Kindern haben. Daher braucht Stuttgart jährlich 300 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau. Dies muss die Stadt auch gegenüber privaten Investoren durchsetzen. Das zweite drängende Problem ist die Dauerarbeitslosigkeit. Obwohl die Arbeitslosenquote in Stuttgart gesunken ist, ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen dauerhaft sehr hoch. Als Optionskommune ist die Stadt für die Qualifizierung und Vermittlung dieser Menschen direkt zuständig. Die Kürzungen der Arbeitsförderung auf Bundesebene wirken sich sehr negativ auch auf Stuttgart aus. Ich werde als Oberbürgermeister einen Masterplan zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit aufstellen, bei dem auch die Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Sozialverbände und die Betroffenen einbezogen sind.“
Foto StZ
5 / 13
Hochschulstandort „Die Zusammenarbeit von Stadt und Hochschulen muss intensiviert werden, das geht nicht nur mit einem Kontaktbüro. Ich würde mich mit den Hochschulleitern an einen Tisch setzen und sie bitten, sich stärker in das öffentliche Leben der Stadt einzumischen.“ Dabei denkt Kuhn an Vorträge und Veranstaltungen. „Der Austausch muss in beide Richtungen stärker werden.“ Die Zuständigkeit für die Hochschulen liege allerdings beim Land, betont Kuhn. Als Oberbürgermeister werde er vor allem beim Wohnraum öffentlich Druck auf die Studentenwerke machen, aber auch private Vermieter ermuntern. Beim Raumbedarf solle die Stadt die Hochschulen unterstützen – „ganz pragmatisch“. Die Stadt, sagt Kuhn, müsse gemeinsam mit den Hochschulen ein Konzept für den Hochschulstandort Stuttgart entwickeln. „Ich würde sehr dafür werben, dass auch die Geisteswissenschaften in einer Stadt wie Stuttgart ihren Platz haben.“ Diesbezüglich würde Kuhn auch seinen direkten Draht zu Wissenschaftsministerin Theresia Bauer nutzen.
Foto dpa
6 / 13
Integrationspolitik „Stuttgart hat in der Integration von Menschen, die aus anderen Ländern gekommen sind, einiges geleistet. Es ist ein Erfolg aller Aktiven von der Stadt bis zum Forum der Kulturen, dass 40 Prozent Menschen mit „Migrationshintergrund“ hier eine Heimat gefunden haben. Doch Integration ist eine Daueraufgabe. Wir alle sollten einfach Stuttgarter sein – manche mit schwäbischer Herkunft, andere mit türkischen, italienischen, griechischen, kroatischen und spanischen Wurzeln. Bildung in Kita und Schule ist der Schlüssel zu dieser kulturellen Integration. Gleichzeitig ist es für den Wirtschaftsstandort ein Pfund, wenn Kinder auch die Muttersprache ihrer Eltern beherrschen. Daher müssen interkulturelle Angebote und muttersprachlicher Unterricht unbedingt ausgebaut werden. Das Betreuungsgeld der Bundesregierung setzt völlig falsche Anreize. Es ist Aufgabe des OBs, sich für Integration einzusetzen und zu vermitteln, dass diese in Stuttgart möglich ist. Und wenn neue Fragen auftauchen, etwa wie es älteren Menschen geht, wenn sie ins Pflegeheim kommen, dann müssen wir uns um die Probleme, auf die sie stoßen, kümmern.“
Foto dpa
7 / 13
Sicherheit „Stuttgart ist statistisch betrachtet eine der sichersten Großstädte Deutschlands. Dafür sorgen die 2.157 Polizistinnen und Polizisten des Polizeipräsidiums Stuttgart. Auch die Sicherheitsprävention kommt voran. Denn Sicherheit ist auch eine Frage des Engagements der Zivilgesellschaft, die hinschaut und sich verantwortlich fühlt. Aber auch in Stuttgart gibt es Bereiche, wo mehr Sicherheit wünschenswert wäre. 25.199 Verkehrsunfälle pro Jahr und 58.231 Straftaten sind ja kein Pappenstiel. Viele Leute klagen darüber, dass sie sich nachts in der Innenstadt nicht mehr sicher fühlen, wo der Start ins Wochenende sehr laut, sehr alkoholisch und nicht selten auch mit Gewalt Betrunkener begangen wird. Da es sich oftmals um Gäste aus der Region handelt, kann mit Sozialarbeit nicht viel ausgerichtet werden. Die vielen Spielkasinos tragen nicht zu einer Steigerung des Sicherheitsgefühls bei, nicht zuletzt weil sie zu einer Verödung der Innenstadt führen. Als Stuttgarter OB halte ich Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger für eine wichtige städtische Aufgabe. Ich werde mich ohne Tabus dieser Aufgabe widmen.“
Foto dpa
8 / 13
Kultur „Stuttgart hat beim Thema Kultur enorm viel zu bieten. Ich bin der Überzeugung, dass es lohnt das zu sichern und Neues zu ermöglichen. Zentral ist dafür, dass der Stuttgarter Kulturdialog fortgesetzt und zu Ende gebracht wird. Es kann nicht angehen, dass dieser Dialog wegen fehlender 20.000 Euro nicht weitergehen soll. Kultur ist für eine Stadt wie Stuttgart um ihrer selbst willen zu fördern. Sie befähigt die Menschen zur Identitätsbildung, zur Kritik und Suche nach persönlichen und gesellschaftlichen Visionen. Kultur als Standortfaktor ist deshalb nicht unwichtig, aber dies darf nicht zur einzigen Begründung für kulturelles Engagement der Stadt werden. Ich werde mich dafür einsetzen, dass bestehende Einrichtungen bestehen bleiben können. Dazu gehört die Wertschätzung aller Kulturschaffenden. Denn sie leisten viel für die Stadt. Und ich werde schauen, dass neue Initiativen ihre Chancen bekommen. Das Projekt eines Filmhauses hat einen zweiten Anlauf verdient. Stuttgart sollte auf dem Gebiet des Filmes einen Aufbruch wagen.“
Foto Steinert
9 / 13
Städtebau „In der Landeshauptstadt Stuttgart gibt es 4500 Architektinnen und Architekten, und dennoch brauchen wir eine neue Baukultur. Die immer gleichen Banken-, Versicherungs- und Bürogebäude sind kein Aushängeschild urbanen Bauens, sondern einfach nur öde. Und neue Einkaufstempel brauchen wir nach dem Gerber und dem Milaneo wirklich keine mehr. Sie führen nur zu neuem Autoverkehr aus der Region in den Stuttgarter Kessel. Wir brauchen Wohnungen, insbesondere Wohnungen, die für Familien bezahlbar sind. Und wir brauchen Quartiere der kurzen Wege zwischen Wohnen, Einkaufen für den täglichen Bedarf und Arbeiten. Zur Urbanität gehören aber auch lebendige Plätze zur Begegnung und zum Verweilen. Stuttgarts neue Baukultur muss zudem kinderfreundlich sein. Die Landeshauptstadt muss künftig den öffentlichen Interessen beim Bauen den Vorrang einräumen und nicht den Großinvestoren. Nicht der Großinvestor darf bestimmen, wohin die Reise geht, sondern die Stadt muss bereits in der Bauleitplanung klar machen, was sie erwartet. Modernes Bauen müssen wir zum Beispiel bei der Neubebauung des Neckarparks umsetzen.“
Foto dpa
10 / 13
Verkehrspolitik „Unsere Stadt muss zum Eldorado beim Thema ökologische Modernisierung werden. Bei der Energiepolitik heißt das Einsparung, Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien. Stuttgart hat das Potenzial, hier viele neue Techniken zu entwickeln und anzuwenden, die auch Arbeitsplätze im Export schaffen. Auch bei den Umwelttechniken könnten wir eine Vorreiterrolle einnehmen. Die Autostadt Stuttgart braucht eine neue Verkehrspolitik, die auf nachhaltige Mobilitätssysteme setzt. Es kommt auf die Vernetzung von Fahrradverkehr, Schiene und Autos mit neuen emissionsfreien Antriebssystemen an. Nur so können wir die Feinstaubbelastung im Kessel reduzieren. Parkraumbewirtschaftung auch in Mitte und im Süden sind geeignet, um den Parksuchverkehr zu reduzieren. Außerdem möchte ich zusammen mit den Arbeitgebern der Innenstadt erörtern, wie wir es schaffen, dass mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit der Stadtbahn zu ihren Arbeitsplätzen fahren. Es geht mir darum, Ökologie und Ökonomie richtig zu verbinden. Wir können mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben.“
Foto dpa
11 / 13
Kindertagesstätten „Die Erzieherinnen verdienen zu wenig und haben hohe Lebenshaltungskosten in Stuttgart“, sagt Kuhn im Blick auf den Fachkräftemangel im Bereich der Kindertagesstätten. Als Lösung sieht Kuhn erstens eine Höhergruppierung. Zweitens wolle er „eine Großstadtzulage wie in München auf jeden Fall auf die Tagesordnung bringen“ – allerdings hätten dafür auch andere Berufe Bedarf. Und: „Die Stadt muss sich überlegen, ob sie Erzieherinnen auch günstigen Wohnraum anbieten kann.“ Die Erzieherinnen leisteten in den Kitas sehr viel, aber oft beeinflusst der Personalmangel die Qualität.“ Migrantenkinder sollten auch die Muttersprache ihrer Eltern gut können – „das ist eine wichtige Integrationsaufgabe“, so Kuhn allgemein. Bei den Krippenplätzen „müssen wir noch zulegen“, so Kuhn. Die Schätzungen des Bundes seien für Großstädte wie Stuttgart nicht relevant. „Wenn ich im Januar im Amt bin, werde ich den Krippenausbau zur Chefsache machen.“ Das Problem sei nicht neu. Erst in den letzten drei Jahren habe man sich darangemacht, das zu verbessern. „Wir werden alles tun, um den Rechtsanspruch doch noch zu erfüllen.“
Foto ddp
12 / 13
Schule Am wichtigsten ist Kuhn, dass die Schulsanierungen weitergehen. „Runtergekommene Schulen ist das Schlechteste, was eine Stadt in Bezug auf Bildung machen kann.“ Aber auch die Ganztagsschulen müssten vorangebracht werden. Dabei müssten auch die Vereine ihren Platz finden. Und: „Wir müssen in die Gemeinschaftsschule einsteigen – nicht nur als Verlegenheitslösung.“ Diesen Prozess müsse die Stadt moderieren und dabei auch eigene Vorschläge machen. Nachbesserungsbedarf sieht Kuhn etwa beim Schulessen mit gesunder Ernährung, aber auch bei guten Freizeitangeboten. In der Ganztagsschule sollten Kinder um 17 Uhr mit erledigten Hausaufgaben heimkommen. „Wir müssen auch Kindheit ermöglichen“, so Kuhn. Insgesamt solle die Landeshauptstadt ein breites und vielfältiges Bildungsangebot in den Stadtteilen ermöglichen, auch mit innovativen Ansätzen, wie etwa beim Neckarpark geplant. Die Gemeinschaftsschule müsse als eigener Schultyp verankert werden, der Kindern Stress erspare, weil er nicht nach Schularten selektiere.
Foto Steinert
13 / 13
Haushalt „Stuttgarts Stadtfinanzen sind im Grundsatz recht solide. Das sollte die Landesregierung allerdings nicht zu dem Gedanken verführen, ihre eigene Haushaltskonsolidierung zu Lasten der Städte und Gemeinden anzugehen. Die guten Stuttgarter Zahlen (Schuldenstand 2011: 47,1 Millionen Euro) sind das Ergebnis langjähriger Einsparbemühungen, leider auch auf Kosten des Bestands. Die Stadt kämpft noch mit einem erheblichen Investitionsrückstand, etwa bei den Schulsanierungen und dem Ausbau von Kitas. Dies wird in den nächsten Jahren zu einem Anstieg der Neuverschuldung führen. Ich werde als Oberbürgermeister einen Ausgabenschwerpunkt setzen, nämlich bei Kindern und Schulen. Das ist der Bereich, wo Sparen ein Kaputtsparen der Zukunft bedeuten würde. Alle anderen Bereiche müssen aus dem Bestand oder bei guter Konjunktur aus Zuwächsen finanziert werden. Haushaltspolitik muss nachhaltig sein, das heißt, wir können nicht das Geld unserer Kinder ausgeben. Wir müssen sparsam sein, damit wir investieren können. Nicht in Beton, sondern in Bildung.“