100 Jahre Disney Das Trick-Imperium des Visionärs Walt Disney

Der Disney-Urcharakter: Micky Maus als Zauberlehrling in „Fantasia“ (1940) Foto: imago//s

Dem großen Träumer und wagemutigen Unternehmer Walt Disney ging es vor allem um eines: starke Geschichten mit eigener Note.

Träume, Emotionen, Drama, sanfter Witz – auf dieser Basis gründete Walt Disney (1901–1966) am 16. Oktober 1923 ein Trickfilmstudio, das schnell zum Konzern reifte. Mit seinen Animatoren feilte er die Zeichentricktechnik aus und inszenierte starke Geschichten: Märchen, Sagen, Mythen.

 

Eine urkomische Truppe sind die sieben Zwerge der Brüder Grimm in „Schneewittchen“ (1937); der Disney-Urcharakter Micky Maus verliert als Goethes „Zauberlehrling“ („Fantasia“, 1940) die Kontrolle über ein Heer wasserschöpfender Besen; wie ein psychedelischer Drogentrip wirkt „Alice in Wonderland“ (1951). Die Ausbildung des jugendliche Artus durch den Zauberer Merlin führt zu einem Zauberduell mit der Hexe Madam Mim („Die Hexe und der Zauberer“, 1963), Shakespeares „Hamlet“ bekommt in „Der König der Löwen“ (1994) eine tierische Ausprägung.

Der Erfolg gab dem Visionär recht.

Oft waren Nebenfiguren die heimlichen Helden, die empathische Grille Jiminy Cricket in „Pinocchio“, der hyperaktive Dschinni in „Aladdin“, der charmante Kerzenleuchter Lumière in „Die Schöne und das Biest“, der sarkastische Satyr Phil in „Hercules“.

Alles begann mit einem populären Kurzfilm: „Steamboat Willie“ (1928), animiert von Disneys kongenialem Mitstreiter Ub Iwerks, etablierte Micky Maus. 1931 kam Donald Duck hinzu, der zur Kultfigur wurde. Der nächste Schritt war ein abendfüllender Spielfilm, ein irrwitzig aufwendiges Vorhaben Walt Disneys, das sein Bruder Roy O. und seine Frau Lillian ihm auszureden versuchten; der Erfolg von „Schneewittchen“ (1937) gab dem Visionär recht.

Aus Trickfilmen wurden Musicals, aus Fahrgeschäften in Disneyland Realfilmstoffe. Die Reihe „Pirates of the Caribbean“ („Fluch der Karibik“, 2003–2017) reanimierte mit gekreuzten Klingen und geblähten Segeln die Goldene Ära Hollywoods und brachte eine Kultfigur hervor: den Piraten Jack Sparrow in Gestalt von Johnny Depp.

Das Trick-Imperium wächst kontinuierlich unter dem aktuellen CEO Bob Iger. 2009 kamen die Marvel-Superhelden dazu, 2012 die Weltraumsaga „Star Wars“. Die Originalfilmreihe bekam ab 2015 ihre Teile sieben bis neun, Serien wie „The Mandalorian“ und „Andor“ auf Disney+ erweitern das „Star Wars“- Universum. Der Geist des Gründers ist auch hier spürbar: Große Geschichten sollen es sein, unterhaltsam, dramatisch und jede auf ihre Weise unerhört.

Einflussreiche Schule der Animation

Neun Animatoren, „Disney’s nine old men“, haben die Zeichentrickkunst des Konzerns geprägt. Zwei von ihnen veröffentlichten 1981 das Buch „The Illusion of Life“ und darin „Twelve Basic Principles of Animation“: Ollie Johnston (1912–2008), der Prince John in „Robin Hood“ animiert hatte, und Frank Thomas (1912–2004), bei „Peter Pan“ für Captain Hook zuständig.

Foto: defd/Deutscher Fernsehdienst

Zu den Prinzipien gehören Spannungsaufbau, Fokussierung aufs Wesentliche. Und schon bei den sieben Zwergen in „Schneewittchen“ (1937) ist zu beobachten , wie ihre Körper sich beim Laufen dehnen und zusammenziehen („squash and stretch“), wie ihre Bewegungen langsam beginnen, beschleunigen und sich wieder verlangsamen („slow in and slow out“).

Manche sprachen ehrfürchtig von einer „Bibel“, die Versuchung war groß, den Disney-Standard zu imitieren. Unabhängige Geister wussten schon damals: Disney hat Maßstäbe gesetzt, aber die Welt der Animation ist viel größer als Disney.

Große Musik für die Ewigkeit

Disney-Bildwelten haben Klänge, Songs, Musicalmagie. „I Wanna Be like You“, singt im „Dschungelbuch“ (1967) der Affenkönig Louie, der so gerne Mensch wäre, „Trust in Me“ („Vertrau mir“) der Python Kaa, wenn er die Hypnose-Augen anknipst und sein Opfer umschlingt. Beide Stücke stammen von den Sherman Brothers, wie auch das Schornsteinfegerlied „Chim-chim Cheree“ aus „Mary Poppins“ (1964), nicht aber „Bare Necessities“ („Grundbedürfnisse“), das Lied des Bären Balu. Das schrieb Terry Gilkyson inklusive des Wortspiels „bare“/„bear“. Heinrich Riethmüller übertrug es kongenial: „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“.

Songs aus dem „Dschungelbuch“ – hier Balu und Mogli – sind Klassiker. Foto: imago/Mary Evans Picture Library

Spektakulär gerieten der „König der Löwen“-Soundtrack (1994) von Hans Zimmer und Songs wie „Hakuna Matata“ von Tim Rice und Elton John. „Ev’rybody Wants to Be a Cat“ aus „Aristocats“ (1970): ein Jazz-Standard. „Be our Guest“, der Song des Kerzenleuchters Lumière in „Die Schöne und das Biest“ (1991): eine Musicalsternstunde. Die Welt wäre ärmer ohne die Disney-Tunes.

Der Vater von Entenhausen

Der Aufstieg des Unglücksraben Donald Duck zum globalen Sympathieträger wäre anders verlaufen oder womöglich ausgeblieben ohne den Zeichner Carl Barks. Der arbeitete in den 30er Jahren an Disney-Filmen mit, konzentrierte sich dann aber auf Comics. Barks machte aus Donald einen Kleinbürger mit großen Ambitionen und einer gewissen Hybris, der am Ende oft auf die Nase fällt – auch wegen seines Jähzorns. Die Neffen Tick, Trick und Track (Huey, Dewey, and Louie) spielten nun mahnende Mentoren, trotz ihrer Jugend erschienen sie vernünftiger als ihr Onkel.

Barks gab Donalds Heimatstadt den Namen „Duckburg“, „Entenhausen“. Er schenkte dem stets klammen Enterich einen ebenso reichen wie geizigen Onkel namens Dagobert, im Original in Anlehnung an Charles Dickens und schottische Sparsamkeit: Scrooge McDuck. Wie zur Strafe plagte Barks den Pfennigfuchser, der gern im Geld badet, mit notorisch erfolglosen Dieben, den Panzerknackern („Beagle Boys“). Und mit einer aufdringlichen Hexe namens Gundel Gaukeley („Magica de Spell“), die der fixen Idee aufsitzt, Dagoberts erster selbst verdienter Glückszehner könne ihr unendliche Macht bescheren.

Carl Barks Foto: dpa/Tor Richardsen

Barks erfand auch den Erfinder Daniel Düsentrieb (Gyro Gearloose), dessen eigentlich genialen Lösungen für Alltagsprobleme oft neue solche kreieren – ob es nun um eine Anti-Schwerkraft-Vorrichtung geht oder um Pillen zur Unterwasseratmung. Als Düsentrieb auf Oma Ducks Bauernhof ausspannen möchte, kann er nicht aufhören, die Farmarbeit technisch optimieren zu wollen – und richtet Chaos an.

Als besonderes Ärgernis für Donald Duck dachte Barks sich einen Nebenbuhler aus: Der schmucke Glückspilz Gustav Gans (Gladstone Gander), dem alles zufliegt, machte der wankelmütigen Daisy nun ständig den Hof.

Ein Glücksfall für deutsche Leserinnen und Leser: Der Übersetzerin Erika Fuchs gelang das Kunststück, Barks’ mit Slangbegriffen durchsetztes Amerikanisch mit eigenem Zungenschlag und Witz zu übertragen. Von ihr stammen Sätze wie Daniel Düsentriebs Motto: „Dem Ingenieur ist nichts zu schwör.“

Das italienische Universum

Neben Kinofilmen und „Micky Maus“-Heften gab es in Deutschland ab den 60ern einen dritten Zugang zur Disney-Welt: die monatlichen „Lustigen Taschenbücher“, überwiegend bestückt von italienischen, lange unbekannten Künstlern. Wo die Amerikaner Klassiker interpretierten, parodierten die Italiener. Mit dynamischem Schwung kommt Romano Scarpas Bond-Parodie „Donald in geheimer Mission“ (1967) daher, mit elegantem Strich Giovan Battista Carpis Donald als venezianischer Bäckerlehrling (1964). Von Luciano Bottaro stammt die Musketier-Parodie „Ritter Donald de Donaldac“ (1967). Zu diesen „großen drei“ kommt der Autor Guido Martina, der rund 1200 Geschichten schrieb. Auch „Die Verwandlung“ (1969, Zeichnungen: Carpi), das erste Abenteuer mit Donald als Rächer Phantomias – eine originär italienische Erfindung.

Eine italienische Erfindung: Donald als Phantomias Foto: Egmont/Ehapa

Anfangs erschienen abwechselnd Bände mit Micky, der eine Rolle als Meisterdetektiv bekam, und Donald, der mit Onkel und Neffen auf Schatzsuche ging oder in Science-Fiction-Szenarios geriet. Mal landeten Aliens mit Flughemden, die aussahen wie Donalds Matrosenhemd, mal geriet Dagoberts Doppelgänger-Roboter außer Kontrolle. Das Votum der überwiegend jungen Leser war eindeutig: Sie bevorzugten Donald.

Der Pixar- und Dream-Works-Schock

Mit Höhen und Tiefen blieb Disney bis Mitte der 90er Jahre Zeichentrick-Marktführer. Ein kleines Studio namens Pixar, mit dem Disney geschäftlich verbandelt war, brachte dann 1995 einen Film in die Kinos, der alles veränderte: „Toy Story“, ein Abenteuer zum Leben erweckter Spielzeuge – der erste computeranimierte Spielfilm überhaupt.

Die Haie in „Findet Nemo“ können einfach nicht aus ihrer Haut. Foto: Buena Vista/Buena Vista

Der Disney-Manager Jeffrey Katzenberg hatte sich dafür engagiert, wurde 1994 gefeuert und zur Konkurrenz mit Dream Works („Shrek“, 2000). Pixar veröffentlichte „Die Monster AG“, „Findet Nemo“ und „Die Unglaublichen“, 3-D-Computeranimation war nun das Maß aller Dinge. Disney reagierte, wickelte die Zeichentrickabteilung ab und übernahm 2006 Pixar für 7,4 Milliarden US-Dollar. Seither haben Charaktere wie die Meisterkoch-Ratte in „Ratatouille“ die Leinwände bevölkert, der reiselustige Senior in „Oben“, der Aufräumroboter in der Science-Fiction-Satire „Wall-E“, die Bewohner der menschlichen Psyche in „Inside Out“.

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