Vor 100 Jahren legte der deutsche Meteorologe Alfred Wegener dar, dass sich die Kontinente verschieben – und erntete Spott. Heute sieht das anders aus.

Bremerhaven - "O heiliger Sankt Florian, verschon das Haus, zünd andere an!", rief der Geologieprofessor Max Semper entsetzt aus. Andere Wissenschaftler sprachen von "Gedankenspielerei, Fantasiegebilden". Was war geschehen? Alfred Wegener, Meteorologe und Privatdozent für Kosmische Physik an der Universität Marburg, hatte am 6. Januar 1912 auf der Hauptversammlung der Geologischen Vereinigung im Senckenberg-Naturmuseum zu Frankfurt am Main einen Vortrag gehalten. Dessen Titel lautete: "Neue Ideen über die Herausbildung der Großformen der Erdrinde auf geophysikalischer Grundlage".

 

Doch womit hatte der 31-jährige Wissenschaftler die versammelten Fachkollegen auf die Barrikaden gebracht? "Die Großform der Erdoberfläche, genauer gesagt die Verteilung der Kontinente und Ozeane würde sich stetig ändern, weil die Kontinente wanderten", umreißt Reinhard Krause, Wissenschaftshistoriker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), den Kern des Wegener'schen Ideengebäudes. Dazu gehörte auch, dass Wegener kühn die bisher vertretenen Theorien bestritt und darlegte, dass die Erdoberfläche, wie man sie heute kennt, aus einem Urkontinent hervorgegangen sei. Er sei auseinandergebrochen und seine einzelnen Schollen hätten die heutigen Kontinente gebildet.

Früher vermutete man Brücken zwischen den Kontinenten

Das wissenschaftliche Rüstzeug hatte sich der Sohn eines protestantischen Geistlichen durch das Studium der Fächer Astronomie, Geophysik und Meteorologie in Heidelberg, Innsbruck und Berlin erworben. Nach einer Zeit als Assistent am Aeronautischen Observatorium in Lindenberg von 1905 bis 1906 war er auf Grönlandexpedition gegangen und hatte sich 1908 in Marburg habilitiert. Hier bekam Wegener 1911 zufällig ein Sammelreferat unter dem Titel "Alte Zeiten der Erde" in die Hand, wo die Ähnlichkeit in der Fauna der beiden südatlantischen Kontinente beschrieben wurde. Nachdem er die ganze erreichbare Literatur über dieses Thema studiert hatte, kam Wegener zu dem Schluss, dass die bisherige Landbrückenhypothese, wonach vorzeitliche Lebewesen auf Verbindungen zwischen Südamerika und Afrika gewandert seien, keine befriedigende Erklärung bot.

Die gängige Theorie der Erdentwicklung besagte damals, dass durch Abkühlung und Zusammenziehung des Erdkerns die äußere Kruste eingebrochen sei, die Berge sich gehoben hätten, in den Senken die Ozeane entstanden seien und diese die früheren Landbrücken bedeckt hätten. Wäre dem so, dann müssten die Gebirge gleichmäßig über die Erdoberfläche verteilt sein, argumentierte Wegener. Stattdessen kommen sie in meist schmalen, gerkümmten und lang gezogenen Gürteln vor - und an den Rändern von Kontinenten häufiger als anderswo.

Vorstellung der driftenden Kontinente

Dieser Theorie setzte Wegner seine Vorstellung der driftenden Kontinente entgegen. Für seine Version sprach zum Beispiel die Ähnlichkeit von Gesteinsformationen in Indien, Madagaskar und Ostafrika. Fossilien der Samenfarngattung Glossopteris samt der zugehörigen Flora waren sowohl in Afrika als auch in Brasilien anzutreffen. Dazu kamen die Kohlevorkommen in der Antarktis, die sich eigentlich nur unter tropischen Bedingungen hätten bilden können, und Fossilien von Bäumen auf Spitzbergen, die heute nur im Mittelmeergebiet vorkommen. Überhaupt ließen sich viele verwirrende Befunde der Geologen, Paläontologen sowie der Tier- und Pflanzengeografen mit Wegeners Theorie zwanglos erklären.

Alfred Wegener war damals so optimistisch, dass er glaubte, renommierte Forscher wie Max Semper würden durch seinen Vortrag ihre alten Theorien zur Entwicklung der Erdoberfläche aufgeben und gab den alten Denkansätzen maximal zehn Jahre. Er lag weit daneben.

Was ist der Motor?

1915 veröffentlichte Wegener die erste Fassung seines Hauptwerkes "Die Entstehung der Kontinente und Ozeane". Aber das Interesse war - wohl auch wegen des Ersten Weltkriegs - gering. 1922 erschien die dritte, völlig neu bearbeitete Auflage. Sie machte die Kontinentverschiebungstheorie auch international bekannt und steigerte die schon in Deutschland herrschende, in Teilen gehässige und polemische Ablehnung noch weiter.

Die Kritik war in einem Punkt nicht unbegründet: "Wegener konnte damals keine Kräfte oder Mechanismen benennen, die hinreichend gewesen wären, um die Verschiebung der Kontinente zu bewerkstelligen", erklärt Reinhard Krause vom AWI. Wegener nahm als Motor der Kontinentwanderung die Erdrotation und die Antriebsenergien von Sonne und Mond an. Berechnungen des britischen Geophysikers Harold Jeffreys zeigten 1924, dass die Erdkruste zu massiv und stark ist, um von solchen Kräften beeinflusst zu werden. "Man wusste einfach damals zu wenig über den Zustand und die Dynamik des Erdinnern", sagt Krause, "und dieser Mängel war sich Wegener auch bewusst." Trotzdem war Wegener von der Richtigkeit seiner Thesen überzeugt und suchte nach weiteren, vor allem klimatischen Beweisen, im grönländischen Eis. Hier starb er im November 1930, wahrscheinlich an Herzversagen.

Erst die 60er Jahre brachten Wegeners Rehabilitierung. Geomagnetische Untersuchungen bestätigten nicht nur die von Wegener postulierte Kontinentverschiebung, sondern führten zur heute grundlegenden Theorie der Plattentektonik, mit der auch Vulkanismus, Erdbeben und Gebirgsbildung erklärt werden können. So gilt Wegener im Grunde als "Vater" der Plattentektonik. "Rückblickend darf man ihn aber auch als den Kopernikus der Geowissenschaften bezeichnen", resümiert Krause, "denn er hat unser Bild von der Erde revolutioniert und dafür am Anfang eine Menge Spott und Häme in Kauf genommen."

Vier Expeditionen ins Eins

Privat: Alfred Wegener wird 1880 in Berlin geboren. Er studiert Astronomie und Meteorologie. 1906 stellt er mit seinem Bruder Kurt einen Weltrekord im Ballonfliegen auf: Sie bleiben 52 Stunden in der Luft.

Beruflich: Als Privatdozent an der Universität Marburg formuliert Wegener die Theorie der Kontinentalverschiebung. Nach dem Ersten Weltkrieg wird er Professor, erst in Hamburg, dann in Graz. Er stirbt 1930 bei seiner vierten Grönlandexpedition.

Reaktionen: Wegeners Theorie blieb bis in die 50er Jahre umstritten. Viele Wissenschaftler lehnten sie rundweg ab – auch, weil unklar war, wie sich die Kontinente bewegen sollten.

Eine Animation des Kontinentaldrifts.