Seit 100 Tagen werden wir von einer großen Koalition regiert. Die Bilanz ist äußerst unausgewogen. Und dennoch gibt es Anlass, die Republik bei diesem Bündnis in guten Händen zu sehen, urteilt StZ-Korrespondent Armin Käfer.
Berlin - Selten haben sich Parteien für den Machtkampf um ihr Regierungsprogramm mehr Zeit genommen als CDU, CSU und SPD im vergangenen Herbst für ihren Koalitionsvertrag. Ihr aktuelles Handeln wird jedoch ganz wesentlich von zwei Themen bestimmt, die in diesem Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt sind. Zwei Namen genügen, um anzudeuten, was gemeint ist: Edathy und Putin. Von der Kinderporno-Affäre wussten beim Start der großen Koalition nur Eingeweihte. Die Krim-Krise war nicht vorhersehbar. Doch gerade Ereignisse wie diese offenbaren, ob ein solches Bündnis belastbar und stabil ist, und wie souverän und solide eine Regierung das Land führt.
Beide Krisen lassen auf je eigene Weise erkennen, dass die große Koalition keineswegs wie ein durch die Willkürlichkeit des Wahlergebnisses zur Zusammenarbeit verdammter Pakt von Erzfeinden agiert, der nur der nächstbesten Sollbruchstelle entgegen taumelt. Ungeachtet allen Pulverdampfs lehrt die Eda-thy-Affäre, dass auf der Chefebene der drei Regierungsparteien ein erdbebensicheres Vertrauen zu herrschen scheint. Eine Etage darunter, im Maschinenraum der großen Koalition, knirscht allerdings Sand im Getriebe. Im Vergleich mit solchen Kollateralschäden ist der Rücktritt des CSU-Ministers Friedrich leicht zu verschmerzen.
Die SPD gibt den Ton an, hat aber nichts davon
Während die Welt gebannt auf Russland und die Ukraine blickt, kann Deutschland sich glücklich schätzen, seine Interessen von Politikern wie Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier repräsentiert zu sehen. Ihre Diplomatie wird von Besonnenheit, Umsicht und kaltblütigem Abwägen bestimmt, nicht durch Affekte, Kraftmeierei und ideologische Motive – oder gar schlicht durch Dilettantismus, wie das beim vorigen Außenminister gelegentlich der Fall war. Merkel zählt zu den Profiteuren der Krim-Krise, weil dieses Thema unverhofft allen internen Zwist überlagert, die eigenen Reihen zusammenschweißt – und die Opposition spaltet.
Die SPD war mit einer Verve gestartet, als gelte es, im ersten halben Jahr der großen Koalition den Boden gut zu machen, den sie bei der Wahl gegenüber der Union verloren hat. Die Anfangszeit der Regierung erinnert insofern an die Koalitionsverhandlungen, als die Sozialdemokraten als alleiniger Stichwort- und Taktgeber in Erscheinung traten. Sie haben die wichtigsten ihrer Projekte bereits aufs Gleis gesetzt: den Mindestlohn, die Rente mit 63, die Mietpreisbremse und nun auch noch die Frauenquote. Genutzt hat ihnen das bisher freilich nichts. Ihre Umfragewerte dümpeln weiter im Keller. Und die Wahrscheinlichkeit, in absehbarer Zeit selbst das Kanzleramt besetzen zu dürfen, schwindet aus einem weiteren Grund: Die Linkspartei, mit der manche SPD-Genossen mit Blick auf die nächste Wahl anbändeln wollten, entpuppt sich in der Krim-Krise als nicht regierungsfähig – irrlichternd zwischen dem Nachwirken alter Moskau-Hörigkeit und dem Bekenntnis zu einem Konfrontationskurs gegen alles, was als Wegmarken westlicher Politik zu identifizieren ist.
Beifall erkauft – und verdient
Gemessen an der Tragweite bisheriger Beschlüsse ist die großkoalitionäre Bilanz nach der Probezeit durchwachsen: Immerhin hat sich diese Regierung vorgenommen, erstmals seit mehr als einer Generation ohne neue Schulden auszukommen. Das wäre eine historische Kurskorrektur. Andererseits versündigt sich die gleiche Regierung an den Prinzipien der Nachhaltigkeit, indem sie Wohlfühlpolitik zu Lasten der Rentenkasse betreibt und damit künftigen Generationen enorme Finanzrisiken aufbürdet. Nach einer klaren Linie sieht das nicht aus.
Gleichwohl wird die große Koalition sowohl für ihre Rentenpläne als auch für den Mindestlohn in gleicher Weise Beifall bekommen wie für ihre bedachtsame Außenpolitik unter heiklen Bedingungen. Im ersten Fall ist der Beifall erkauft, im letztgenannten wirklich verdient.