Die 9/11-Gedenkstätte von Architekt Michael Arad wird heute eröffnet. Der Bau des neuen World Trade Centers jedoch ist Jahre im Rückstand.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

New York - Die Touristen an der Ecke Church Street und Vesey Street recken vergeblich die Hälse. Die mit Trillerpfeifen bestückten New Yorker "Cops" scheuchen sie über die Kreuzung, bevor sie einen Blick in die Baugrube erhaschen können. Meterhohe, blickdichte Planen verhüllen den Ort, der vom Wochenende an der Mittelpunkt des Erinnerns an den 11. September 2001 sein wird.

 

Grau bepudert vom Staub der Bauarbeiten geben nur ein paar aufgedruckte Fotos erste Eindrücke preis, wie die Gedenkstätte auf dem Gelände des World Trade Centers für die Nachwelt gestaltet wird. Wer noch vor wenigen Tagen auf die Leerstelle blickte, die einst die Twin Towers füllten, den konnten Zweifel beschleichen, ob die Verantwortlichen für die meistfotografierte Baustelle der Welt zum zehnten Jahrestag der Terroranschläge etwas Fassbares vorzuweisen hätten.

Doch wer die Froschperspektive des eiligen Touristen überwindet und gegenüber im Büroturm von American Express ein paar Treppen hochsteigt, der kann durch die Scheiben erkennen, dass die Narbe des einstigen Ground Zero tatsächlich zu heilen begonnen hat.

"One World Trade Center" wird 2014 fertiggestellt

Ein Ort der Kontraste wird es auch künftig sein. Ringsum die Häuserschluchten Manhattans und das neue Gebäude "One World Trade Center". Dazwischen, bedrängt von der pulsierenden Stadt, der von Michael Arad entworfene Ort für das Gedenken. Zwei Gruben markieren den einstigen Fußabdruck der eingestürzten Türme. Sie gehen tief hinunter bis zum Grundgebirge von Manhattan.

Wasserfälle werden entlang der Wände herunterrinnen und eine kontemplative Kulisse schaffen. 437 Eichen beschatten die Gedenkstätte. Die Namen von 2982 Toten sind ringsum in Bronzetafeln eingraviert - nach jahrelangem Streit um das genaue Arrangement. Licht und Wasserreflektionen sollen die Buchstaben zum Leuchten bringen. Doch das Gebäude, in dessen Schatten die Gedenkstätte liegt, ist immer noch ein Torso.

Das "One World Trade Center", welches das Empire State Building als höchstes Gebäude von New York überragen wird, soll erst 2014 fertig werden. "Freedom Tower" heißt das Gebäude nicht mehr. Dieser Name, der vielen New Yorkern immer noch selbstverständlich über die Lippen kommt, galt als abschreckend für potenzielle Mieter, unabhängig davon, dass man sich das ins Gebäude ziehende, von Peking gesponserte "China Center" auch nur schwer als Bannerträger der Freiheit vorstellen könnte. Der größte Nutzer aber wird das US-Verlagshaus Condé Nast sein.

 1176 Fuß reichen nicht für das welthöchste Gebäude

Die ans Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung angelehnten 1776 Fuß (541 Meter) Höhe des "One World Trade Centers" werden nicht mehr, wie bei der Planung erträumt, für den Titel des höchsten Gebäudes der Welt reichen.

Auch die einst vorgesehene, mit vertikalen Gärten durchsetzte, asymmetrische Spitze, die Assoziationen an die vier Kilometer entfernte Freiheitsstatue wecken sollte, wurde gestrichen. Nur noch vage wird in der Architektur die Handschrift des Stararchitekten Daniel Libeskind, der etwa im Jüdischen Museum in Berlin mit verzwickten Linien spielte, zu erkennen sein.

Von Anfang an hat der New Yorker Architekt David Childs, ein ausgebuffter Pragmatiker, die Bauausführung übernommen und die Kanten von Libeskinds Entwurf abgeschliffen. "Wenn Sie ein Bild malen, können Sie tun und lassen, was Sie wollen", sagte Childs schon kurz vor Baubeginn in einem Interview. "Aber bei der Architektur hat man es mit Wind, Regen, Schwerkraft zu tun."

Was am Ground Zero alles gebaut werden soll

Ohnehin ist die Bebauung des einstigen World Trade Centers schon um Jahre im Rückstand. Lange waren die widerstreitenden Interessen von New Yorker Bürgern, den Eigentümern von Grundstück und Gebäuden sowie der Politik nicht unter einen Hut zu bringen.

Fast bis zum fünften Jahrestag der Anschläge schien die Neubebauung in einer Sackgasse zu stecken. Doch seit April 2006 geht es zügig voran. Die prekäre Balance zwischen Ästhetik, Gedenken und Kommerz ist für die New Yorker nur ein halber Erfolg. Zehn Monate nach den Anschlägen schmetterte eine legendäre Bürgerversammlung, an der sich 5000 Menschen beteiligten, die noch banaleren Pläne einer offiziellen Kommission ab, die so schnell wie möglich zum "business as usual" zurückkehren wollte.

Die Bürger wollten die Wunde im Herzen ihrer Stadt nämlich nicht einfach zupflastern lassen. Schnell stand fest, dass die leeren Fundamente der zerstörten Türme auf keinen Fall angetastet werden dürften. Also die halbe Fläche fürs Gedenken, die andere Hälfte fürs Geschäft - das ist der Kompromiss, der bis heute Bestand hat.

 Ästhetische Gratwanderung

Im anschließenden Wettbewerb tobte sich die Crème der international renommiertesten Architekten in gewagten Entwürfen aus. Dazu gehörte etwa die Idee, die Umrisse der zerstörten Türme als leere Gerüste wiederaufzubauen und dazwischen nur ein paar Nutzflächen und Gärten aufzuhängen.

Daniel Libeskinds Siegerentwurf, der neben einem markanten, hohen Gebäude eine Reihe sich spiralförmig nach oben windender Hochhäuser vorsah, wirkte dagegen geerdet. Wie man heute weiß, waren aber auch seine Pläne bei Weitem nicht bodenständig genug.

Wenigstens die Planer der Gedenkstätte scheinen eine Linie gefunden zu haben, mit der die Einwohner, die Touristen, die Immobilienbesitzer und die Angehörigen der Opfer leben können. Ein wenig Grün für die Lebenden, ein stiller Ort für die Toten und ein mit originalen Trümmern bestücktes Museum für die Touristen, die diesen Ort künftig wohl als New Yorker Attraktion abhaken werden, eine unter vielen anderen.

Was am Ground Zero alles gebaut werden soll

Symbole Die Gedenkstätte für die Opfer des 11. September, die 2012 durch ein Museum ergänzt wird, sowie das 105 Stockwerke hohe Gebäude "One World Trade Center" setzen den markantesten Akzent auf dem Gelände der einstigen Zwillingstürme. Dass das Hochhaus aus Sicherheitsgründen ein sechzig Meter dickes Fundament aus Beton erhält, ist ein Indiz, unter welchen besonderen Bedingungen gebaut wird.

Ensemble Daneben soll es sechs weitere Hochhäuser geben. Dazu gehört ein 72 Stockwerke hoher Turm des Architekten Fumihiko Maki, der 2013 fertig werden soll, sowie ein Gebäude von Richard Rogers, für dessen Fertigstellung bis 2014 aber noch 300 Millionen Dollar fehlen. Unsicher ist der Zeitplan für ein 88 Etagen hohes Gebäude des Architekten Norman Foster, das dem Empire State Building den Rang als zweithöchstes New Yorker Bauwerk streitig machen würde.